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Lara hatte gerade den Geschirrspüler ausgeräumt und noch eine Maschine Wäsche angestellt, bevor sie entschied, dass es für heute genug war. Als sie die Rollos herunterließ, war es draußen schon stockdunkel. Ein Gefühl der Einsamkeit breitete sich in ihr aus. Im erleuchteten Fenster des Hauses gegenüber erblickte sie die frisch eingezogenen Nachbarn, ein junges Paar, das sich innig umarmte. Sie seufzte tief. Michael hatte sich kurz gemeldet, das Projekt würde optimal anlaufen, berichtete er und es ginge ihm gut. Sie kam kaum dazu, etwas zu fragen, da hatte er schon wieder aufgelegt. Vanessa hatte auch keine Zeit für ein Treffen gehabt, weil sie ein weiteres Mal irgendein Date mit einem Typen hatte. Überhaupt sprach Vanessa in letzter Zeit eigentlich kaum noch über ihre Eroberungen. Früher hatte sie ihre Sexpartner wie Unterwäsche gewechselt und ihr über alles haarklein Bericht erstattet. Ob sie sich vielleicht jetzt doch mal verknallt hatte und es sich nicht eingestehen wollte? Manchmal war ihre Freundin für sie ein einziges Rätsel.
Nicht einmal das Klavierspiel hatte sie von den trüben Gedanken ablenken können. Gefrustet hatte sie deshalb eine Flasche Wein geöffnet und sich ein weiteres Mal bei »Opus« umgesehen. Das wievielte Mal am heutigen Tag? Das schien im Moment das Einzige zu sein, was ihre Stimmung aufhellen konnte. Aber heute war es eine Enttäuschung gewesen. Ein ums andere Mal hatte sie sich eingeloggt, nur um zu sehen, ob sich etwas verändert hatte. Fast hatte sie beim Warten auf das, was dann doch nicht eintrat, völlig die Zeit vergessen, aber dann war noch der lästige Haushalt zu erledigen gewesen. Nachdem sie das Licht in der Küche gelöscht hatte, ging sie ins Bad. Vielleicht sollte sie einfach zu Bett gehen, um dieses leere Gefühl für heute mit einer Portion Schlaf und einem ihrer heißen Träume zu verdrängen. Oder sollte sie doch noch mal für ein paar Minuten ins Forum gehen, um …
»Ja, um was zu tun, Lara?«, fragte sie sich selbst und schaute in den Spiegel. Um nachzusehen, ob dieser JohnnyB vielleicht doch noch zurückgeschrieben hatte? Ihr Herz klopfte etwas schneller und ihre Wangen färbten sich rosa. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hielt sich die Haare über den Kopf und machte einen Kussmund. »Ja, genau so ist es doch, oder Lara? Du findest ihn interessant.« Er hat dich schon zu unvernünftigen Gedanken verleitet, obwohl du ihn erst seit gestern kennst. Kann man das überhaupt als »Kennen« bezeichnen? Und der Traum letzte Nacht, war das vielleicht ein Omen gewesen? Hatte der Typ da nicht geheißen wie er? »Johnny«, flüsterte sie probehalber. Verdammt, er könnte ihr wirklich gefährlich werden. Die Aussage, dass er das Forum in erster Linie wegen ihr wieder besuchen wolle, hatte ihr Selbstbewusstsein gepusht. Wie er wohl aussah? Ob seine Stimme so klang, wie sie es sich ausmalte? Oh je, vermutlich war sie total bescheuert! Oder einfach nur beschwipst. Was redete sie sich da bloß ein? War sie wirklich so hungrig nach Komplimenten und männlichem Zuspruch, dass sie sich von einer unbekannten Person, die bisher für sie lediglich aus ein paar geschriebenen Sätzen bestand, so angezogen fühlte?
Der Rechner war noch an. Sollte sie doch einen weiteren Blick riskieren? Vielleicht war er ja auch weiterhin im Forum unterwegs, sehnsüchtig ausharrend auf der Suche nach ihr? Sie nahm den Laptop mit ins Bett. Er war nicht online. Aber er hatte ihr gestern diese kurze Nachricht hinterlassen. Über seine knappen bedauernden Worte war sie sehr enttäuscht gewesen. Sie hatte sich so auf eine persönlichere Nachricht von ihm gefreut. Sollte sie das jetzt auf sich beruhen lassen? War sie ihm womöglich schon zu nahe getreten? Nein, das konnte sie nicht glauben. Eine Nachricht wollte sie ihm noch zukommen lassen, wenn er darauf nicht antwortete, egal. Es war den Versuch wert. Sie fing an zu tippen:
29.05. 22:56
Betr.: Wo bist du?
Hallo JohnnyB,
ich vermisse dich, schade, dass du nicht da bist. Ich hatte mich eigentlich auf eine lange Antwort gefreut, aber gestern kam nur diese kurze Nachricht. Und heute habe ich dich noch gar nicht entdeckt. Vielleicht hattest du ja keine Zeit, mir ausführlicher zu schreiben. Ich hätte mich sehr gefreut, mehr von dir zu lesen.
Ich fühle mich schrecklich einsam. Die Hoffnung, mit dir ein paar Worte zu wechseln, treibt mich immer wieder ins Forum zurück. Leider vergeblich. Ich weiß, dass wir bislang nur über Musik gesprochen haben, aber irgendwie brauche ich auch mal jemanden, dem ich mein Herz ausschütten kann. Natürlich habe ich auch eine Freundin, mit der ich darüber rede, aber es ist etwas anderes, mit einem Fremden zu reden, der nicht voreingenommen ist. Oh je, ich will dich nicht damit belasten, vermutlich hast du selbst genug Probleme.
Aber egal, also es geht um Folgendes: Mein Mann ist vor ein paar Tagen für knapp zwei Monate geschäftlich verreist, aber statt mich darüber zu ärgern, bin ich irgendwie erleichtert. Nun ja, es läuft gerade nicht so gut zwischen uns. Obwohl ich die Freiheit ohne ihn genießen wollte, fühle ich mich jetzt aber total leer und einsam. Das Verrückte ist jedoch, nicht ihn vermisse ich, sondern … Ich weiß es nicht! Nicht einmal mein Klavier kann mich trösten. Vielleicht sollte ich besser ins Bett gehen, in meinem Kopf dreht sich alles.
Einen lieben Gruß von
Clara
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Marc hatte den Rechner endlich hochgefahren. Es war spät geworden, ganz überraschend hatte er heute einen von auswärts gekommenen wichtigen Kunden belustigen müssen. Dabei konnte er sich gar nicht auf den Small Talk konzentrieren, er dachte ständig darüber nach, ob Clara ihm wohl geschrieben hatte. Und jetzt war er endlich wieder zu Hause – und tatsächlich: Eine neue Nachricht war in seinem Postkasten. Clara hatte ihm seine unpersönliche E-Mail nicht übel genommen. Stattdessen war sie ihm sogar einen Schritt entgegengekommen. Sie wollte mit ihm über Privates reden. Eine Chance, ihr näherzukommen, die er jetzt nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. Er schrieb:
29.05. 23:27
Betr.: Bitte geh noch nicht ins Bett
Liebe Clara,
ich rede dich so an, weil ich das Gefühl habe, dich schon ewig zu kennen. Die Art, wie du deine Gedanken zum Ausdruck bringst, vermittelt mir ein Gefühl von Vertrautheit und Nähe. Auch wenn wir bisher nicht über persönliche Dinge geredet haben, so spüre ich doch deine eindrucksvolle Persönlichkeit in jedem einzelnen Wort, das du schreibst, und ich merke, dass es höchste Zeit für uns zwei ist, dass wir mehr teilen als nur die von uns beiden gleichermaßen über alles geliebte Musik.
Du hast mich nach diesem Konzert gefragt und ich hab’ dir nur sehr dürftig geantwortet. Konzertbesuche sind für mich aktuell kein Thema. Das hat aber nichts damit zu tun, dass es mich nicht interessieren würde. Bitte verstehe, dass ich dir die Gründe dafür heute noch nicht ausführlich erklären kann.
Das Gefühl, dass man nach etwas sucht, von dem man nicht weiß, was es eigentlich ist, kenne ich nur zu gut. Vielleicht erzählst du mir noch ein bisschen mehr darüber. Ich fühle mich dadurch auch überhaupt nicht belästigt, im Gegenteil. Nur zu! Ich bin ein guter Zuhörer ;-).
Liebe Grüße, bis gleich?
JohnnyB
29.05. 23:44
Betr.: Re: Bitte geh noch nicht ins Bett
Lieber Johnny,
ich darf dich doch so nennen, oder? JohnnyB ist so unpersönlich, aber wenn ich dir damit zu nah trete, dann sag es bitte. Wenn ich richtig tippe, dann habe ich das Rätsel deines Nicks bereits gelöst. Hooters, richtig? Es ist dieses Lied »Johnny B«, oder? Bedeutet dir der Name oder der Songtext etwas oder ist dir einfach nichts Besseres eingefallen? Wie gesagt, es ist eine Vermutung, vielleicht liege