Blutzoll: Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elsebeth Egholm
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Dicte Svendsen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726569643
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      »Schön«, sagte er und wünschte, das wäre sein Fall. Es bedeutete immer einen Durchbruch, wenn ein brauchbarer Fingerabdruck gesichert werden konnte. In der Regel ließ sich damit ein Verdächtiger beim Verhör festnageln. Es sei denn, man hatte es mit einem Rocker zu tun. Die sagten nie etwas.

      Alle hatten von dem Rauschgiftfund gehört. Die Polizei hatte einen brauchbaren Tipp bekommen und eine Wohnung im Zentrum von Århus durchsucht. Man hatte über ein Kilo Heroin und einiges an Hehlerware gefunden. In der Wohnung wohnte ein Libanese.

      »Habt ihr in dem Rauschgiftfall noch etwas anderes entdeckt?«

      Haunstrup zuckte leicht mit den Schultern.

      »Nicht viel. Nur ein paar Haare. Wie gewöhnlich, hätte ich beinahe gesagt. Es findet sich ja fast immer etwas, wenn man genauer hinsieht.«

      »Und in dem anderen Fall? Dem Mord im Hafen?«

      »Das Gleiche. Ein paar Fasern auf der Decke, das ist alles. Nichts Spektakuläres.«

      »Von Tieren oder von Menschen?«

      »Beides, denke ich«, antwortete Haunstrup. »Wir haben alles an die Morphologen nach Kopenhagen geschickt, eine Probe sah aus wie Struppis Haare.«

      »Struppis Haare?«

      Haunstrup lachte sein Mick-Jagger-Lachen.

      »Unser Hund. Ein Drahthaarfox.«

      Er nahm einen Umschlag und steckte den Beutel mit dem Fingerabdruck hinein.

      »Jetzt können die in der Hauptstadt sich den Kopf darüber zerbrechen.«

      Wagner stand auf. Er nickte in Richtung des Umschlags.

      »Ich hoffe, er ist registriert.«

      Haunstrup kreuzte Zeigefinger und Mittelfinger und hob sie beschwörend hoch. Wagner wusste, wie wichtig das war. Wenn die Fingerabdrücke des Täters im Archiv des CFI, des Zentralbüros für Identifikation, waren, war die Chance groß, dass sie ihn kriegten. Wenn nicht, halfen ihnen die Fingerabdrücke so gesehen gar nichts, es sei denn, sie hatten einen Verdächtigen.

      »Hast du dir die Kvium-Ausstellung angesehen?«, fragte Haunstrup, während er ein Formular ausfüllte, das dem Beutel beigefügt werden sollte.

      »Ja«, sagte Wagner und spürte plötzlich wieder die Müdigkeit. »Darüber wollte ich eigentlich mit dir sprechen. Eins der Bilder können wir vielleicht zu einem erschwinglichen Preis bekommen. Du solltest es dir ansehen.«

      Haunstrup machte einen leicht gehetzten Eindruck.

      »Wir haben alle Hände voll zu tun. Aber der Künstler hat einen guten Namen, und wenn der Preis in Ordnung ist, kannst du ruhig ja sagen. Ich bringe dich hinaus«, fügte er hinzu.

      Auf dem Weg den Gang hinunter kamen sie an der Tafel mit den verschiedenen Seilen und Knoten vorbei. Wagner dachte kurz an einen anderen schwierigen Fall, den er früher im Jahr bearbeitet hatte. Die Schwester von Dicte Svendsens Nachbarin war mit einem Seil um den Hals und einer Axt im Kopf im Moor von Kasted gefunden worden. Die Ermittlungen waren zunächst nur schwer vorangekommen, doch verschiedene Spuren, die die technische Abteilung sichergestellt hatte, hatten schließlich zur Lösung des Falls geführt. Vielleicht würde es auch diesmal so sein, dachte er hoffnungsvoll. Vielleicht würde ein Wunder geschehen, die unglückselige Frau aus dem Hafen konnte identifiziert werden, und die Verantwortlichen würden verurteilt werden.

      Haunstrup schien seine Gedanken zu lesen.

      »Das ist schlimm, was da im Hafen passiert ist. Die Obduktion war ein Schock, nicht?«

      Wagner schauderte. Er mochte gar nicht daran denken. Er und Hansen hatten zugesehen, wie Gormsen die Frau aufgeschnitten und getan hatte, was er am besten konnte. Bei dem Resultat lief es ihm noch immer kalt den Rücken hinunter.

      Er sah Haunstrup an.

      »Es ist mir egal, wie wenig du hast. Auch wenn es nur ein mikroskopisches Partikel von einem Haar oder ein Krümel von einem Brötchen ist. Wir müssen diese Teufel kriegen – so schnell wie möglich.«

      Haunstrup schien nicht überrascht, weder über den Tonfall noch über das leichte Zittern in seiner Stimme. Er legte Wagner freundschaftlich eine Hand auf die Schulter.

      »Ich kümmere mich darum. Wir nehmen uns die Decke noch einmal vor«, versprach er.

      5

      Das Fitnessstudio lag im Frichspark, wo früher die alte Frichsfabrik gestanden hatte. Statt von Gastarbeitern in blauen Overalls wurde das Gebiet jetzt von Anwälten, Wirtschaftsprüfern, Angestellten des Zollamts und Schülern der kommunalen Fortbildung bevölkert, die in den neu errichteten Gebäuden untergebracht war. Es gab auch eine Firma für Büromöbel und einen Weingroßhandel mit Lagerverkauf.

      Dicte parkte in einer der ausgewiesenen Parkbuchten und stellte die Parkscheibe ein. Sie stieg aus, warf sich die Sporttasche über die Schulter und ging eilig zu Norsk Sekvenstraening hinüber, ihrem Fitnessstudio, das neben der Fortbildungsstätte lag. Ein Blick durch die Fenster zeigte fleißige Mitglieder, die sich an diesem Montagvormittag an den Geräten abmühten, und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, was sie wohl taten, wenn sie keine Gewichte stemmten, an den Geräten trainierten oder auf den Matten lagen und sich nach einer Stunde freiwilligen Masochismus entspannten. Wie sagte sie immer zu Anne: »Das können doch nicht alles Journalisten oder Hebammen sein.«

      Anne hatte ihren Nachtdienst, sie ihre nächtlichen Termine an diversen Tatorten und ihre Artikel mit kurzer Deadline und den Überstunden, die sich dadurch anhäuften. Was taten die anderen? Was für ein Leben ließen sie zu Hause oder am Arbeitsplatz hinter sich, wenn sie sich mehrmals die Woche abmeldeten, die Uniform aus- und ihre Trainingsklamotten anzogen?

      Anne war der Meinung, dass sie zu neugierig war. Als sie die Tür aufstieß, dachte sie, dass sie das von Anne unterschied, die immer die Diskretion in Person war: das ewige Fragen. Die Neugier, die ihr Leben beeinflusst hatte und die sie oft weit weg wünschte, weil ohne sie alles viel einfacher wäre. Wie jetzt dieser Mord im Hafen. Was ging es sie eigentlich an, wer diese Frau war und wie sie dort gelandet war? Wäre es nicht viel einfacher, Holger Søborg diese Geschichte zu überlassen?

      »Hei. Wovon träumst du denn?«

      Anne schwitzte, nachdem sie auf dem Ergometer trainiert hatte. Dictes Hand fühlte bei der obligatorischen Umarmung das klamme T-Shirt.

      »Von der Frau im Hafen?«, fuhr Anne fort, die Psychologin hätte werden sollen. »Kann das nicht ein anderer machen?«

      Dicte warf ihre Tasche über die Schulter und betrat barfuß den Trainingsraum mit Anne im Gefolge.

      »Da ist kein anderer«, sagte sie über die Schulter. »Niemand Kompetentes. Wir haben Ferien«, erklärte sie.

      »Ferien«, wiederholte Anne und blieb neben ihr stehen, als Dicte ihre Karteikarte aus dem Kasten auf der Theke nahm und sich zum heutigen Training eintrug. »Ich wünschte, die Leute hätten daran gedacht, als sie in den Weihnachtsferien neue Kinder produziert haben.«

      »Woran?«

      Anne, die aus Korea kam und adoptiert worden war, sah sie mit einem Lächeln in den schrägen Augen an. Feine Lachfältchen zogen sich die hohen Wangenknochen entlang.

      »Daran, dass Hebammen auch gerne im Sommer Ferien machen.«

      »Habt ihr sehr viel zu tun?«

      Sie wusste genau, dass diese Frage überflüssig war. Die kleinen Krankenhäuser hatten ihre Entbindungsstationen geschlossen, sodass alle werdenden Mütter in den Einzugsbereich des Krankenhauses in Skejby wallfahrteten, wo Anne arbeitete.

      Die Freundin zog die schmalen Augenbrauen bis hoch unter den Pony.

      »Viel zu tun ist eine Untertreibung. Megaviel ist passender. Die Kleinen stehen in den Gebärmüttern Schlange, und am liebsten kommen sie nachts.«

      Dicte suchte nach Anzeichen von Müdigkeit bei Anne, die oft Nachtdienst