Blutzoll: Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elsebeth Egholm
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Dicte Svendsen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726569643
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jemand von der Presse da.«

      »Wer?«

      Er hörte ein Murmeln im Hintergrund, und dann kam die Antwort.

      »Eine Dicte Svendsen.«

      Aus irgendeinem Grund war er nicht überrascht. Trotzdem klang seine Stimme feindselig, als er fragte:

      »Was macht sie um diese Zeit im Hafen?«

      Der Dienst habende Beamte ließ die Frage einen Augenblick in der Luft hängen, bevor er antwortete. Wieder hörte Wagner Lärm und Stimmen im Hintergrund, als wäre die ganze Stadt wach und um halb drei in der Nacht zum Hafen gepilgert.

      »Sie wollte ihre Tochter von der Disko abholen.«

      Wagner war bereits aus dem Bett und zog sich an, das Telefon unter das Kinn geklemmt.

      »Ich bin in zwanzig Minuten da.«

      Er beendete das Gespräch.

      »Ich muss los«, sagte er, während er sein Hemd zuknöpfte.

      »Was ist passiert?«

      Er erzählte das Wenige, das er wusste. Er sah die Enttäuschung in Ida Maries Gesicht und wünschte, er könnte sie glücklich machen, doch dazu gehörte mehr, als dass er bei ihr zu Hause blieb.

      Dann rief er einen schlaftrunkenen Jan Hansen an und holte den Kollegen mit der Anordnung aus den Federn, ein paar Mann zusammenzutrommeln und so schnell wie möglich zum Hafen zu kommen. Er erreichte auch die kriminaltechnische Abteilung der Polizei und weckte seinen guten Freund, den Rechtsmediziner Poul Gormsen.

      »Willst du mit in die Disko?«

      Gormsen klang schläfrig, aber interessiert.

      »Hast du was zu feiern?«

      »Leider nein. Der Anlass ist weniger erfreulich.«

      »Ein Mord?«, fragte der Rechtsmediziner und fuhr fort. »Lass mich raten. Irgendjemandem ist ein Messer ausgerutscht?«

      Wagner fischte unter dem Bett nach seinen Schuhen und setzte sich auf die Bettkante, um sie anzuziehen. Ida Marie lag schweigend da. Er spürte ihren Blick im Nacken.

      »Sie haben eine Frauenleiche beim Showboat gefunden.«

      Gormsen sagte etwas zu seiner Frau, dann war er wieder da. Jegliche Munterkeit war aus seiner Stimme verschwunden.

      »Wir sehen uns am Tatort.«

      Wagner fuhr mit offenen Fenstern durch die Sommernacht und versuchte, in der frischen Luft wach zu werden, die nach warmem Asphalt und gemähtem Rasen duftete. Später, als er sich der Stadtmitte näherte, wurde der Grasduft von dem penetranten Geruch der ehemaligen Ölmühle abgelöst – vielleicht um ihm zu versichern, dass er nicht den falschen Weg eingeschlagen hatte und sich noch immer in Århus befand. Man sagte zwar, dass man den Gestank mit Hilfe von teuren Filtern endlich unter Kontrolle bekommen hatte, aber einige Nasen waren offenbar sensibler als andere, schlussfolgerte er.

      Das Bild von Dicte Svendsen tauchte in seinen Gedanken auf, untermalt von leiser Musik aus dem Radio. Er sah das mittelblonde Wuschelhaar vor sich, die kleine Narbe am Mund und die intensiven Augen, die zu viel verbargen, um als schön bezeichnet werden zu können. Er seufzte in die Nacht. An einem frischen Tatort in der Nacht zum Sonntag hätte er gut auf die Presse verzichten können und vor allem auf Dicte, doch das lag nicht in seiner Macht.

      Er wusste, dass es ihr nicht gut gegangen war, seit vor ein paar Monaten ein Serientäter ihr Leben bedroht hatte. Hin und wieder erzählte Ida Marie von ihrer Journalistenfreundin, die sie häufig im Fitnessstudio oder zum Mittagessen in der Stadt traf, und was sie erzählte, war nicht gerade ermutigend. Trotzdem, dachte er, als er sich der Ringgade-Ausfahrt zum Silkeborgvej näherte. Ida Marie machte sich Sorgen, aber er hatte das Gefühl, dass Dicte Svendsen robuster war, als sie aussah.

      Schon von weitem spürte er die angespannte Atmosphäre am Hafen. Gruppen junger Diskothekenbesucher liefen den Bürgersteig an der Nørreallee entlang, offensichtlich wollten sie aus dem Hafengebiet und von dem Showboat fort. Sie machten sich auf dem Weg breit, fingen plötzlich an zu drängeln, hielten dann wieder im Laufen inne und schubsten oder traten einander. Er hörte ihre erregten Stimmen in der Nacht. Schwelende Wut brandete von Zeit zu Zeit hoch und drohte sich auf die ganze Stadt auszubreiten.

      Das Gebiet um das Showboat war abgesperrt. Ein Ring von Bediensteten und rotweißes Absperrband hielten die Neugierigen vom Tatort fern. Die Techniker waren offenbar schon eingetroffen, da grelle Scheinwerfer die Dunkelheit erhellten. Er musste einem jungen Beamten seine Dienstmarke zeigen, um hinter die Absperrung gelassen zu werden. Aus irgendeinem Grund steckte ihn die Aggressivität an, und er erteilte dem Kollegen einen Rüffel.

      »Machen Sie doch die Augen auf, Mann. Dann sehen Sie, dass ich kein Randalierer bin«, hörte er sich sagen.

      Der Beamte machte einen langen Hals und sah sich seine Dienstmarke an.

      »Entschuldigung«, sagte er, klang aber trotzdem so übereifrig, dass Wagner ihm eine hätte langen können. »Ich habe meine Anordnungen.«

      »Das haben die Nazifunktionäre damals auch gesagt«, murmelte Wagner und bereute es sofort.

      »Entschuldigung, wie bitte?«

      »Vergessen Sie es.«

      Poul Gormsen, der in Risskov wohnte, hatte bestimmt den Kystvej genommen. Wagner sah ihn in seinem weißen Overall. Seine Stirnlocke wehte in der nächtlichen Brise. Aus dem Augenwinkel sah er auch Dicte Svendsen, die die Augenbraue ihres Lebensgefährten abtupfte. Irgendjemand hatte ihm einen Faustschlag verpasst, und Wagner nahm an, dass diesem jemand die Kamera nicht gefallen hatte, die an einem Riemen um Bos Hals hing.

      Gormsen sprach mit einem Mann in Uniform, in dem er den Dienst habenden Beamten Kasper Grundtvig erkannte. Beide nickten zur Begrüßung, als er sich näherte.

      »Wie sieht es aus?«

      Grundtvig nahm die Dienstmütze ab und wischte sich mit der Handrückseite den Schweiß von der Stirn. Auch Wagner fühlte sich klamm und dachte für den Bruchteil einer Sekunde, dass jetzt lange genug Sommer gewesen war. Århus glich einem heißen, entzündeten Geschwür, das jeden Augenblick aufgehen konnte. Sie brauchten Wasser. Ein ordentlicher kalter Schauer, der die Gemüter in der Stadt dämpfte, dürfte Wunder wirken. Grundtvig schüttelte den Kopf, bevor er die Dienstmütze wieder aufsetzte. Er nickte zu dem Bündel hin, das hinter einem kleinen blauen Container lag.

      »Ein Typ aus Gjellerup hat sie gefunden, als er hinter dem Container pinkeln wollte.«

      »Wie alt?« Wagner sah Gormsen an.

      »Ein junges Mädchen«, sagte der Rechtsmediziner, »um die achtzehn, denke ich. Es ist zu früh, um etwas zu sagen, aber es sieht nach einem Blutbad aus.«

      »Wie lange ist sie schon tot?«

      Gormsen zuckte mit den Schultern.

      »Nicht lange. Nicht bei der Hitze.«

      Zusammen gingen sie zu der Leiche. Die Techniker waren bereits dabei, sie im Licht der Scheinwerfer aus allen Winkeln zu fotografieren. Wagner atmete die klamme Hafenluft ein, und während er das Bündel anstarrte, wurde er von einem seltsamen Durst überfallen, der seinen Gaumen austrocknete. Er hatte sich nie an die Verletzlichkeit gewöhnt, die mit dem Tod einherging, doch bei dieser jungen Frau war das Gefühl der Exponiertheit extrem. Ihrer Schönheit haftete etwas Madonnenhaftes an, wie sie mit dem hellen, offenen Haar dalag, das die Porzellanhaut des Gesichts freigab, die nicht eine Schramme hatte. Die Augen waren geschlossen, der Hals lang, die Finger schlank. Der Mund stand leicht offen; irgendjemand musste nach dem Eintritt des Todes versucht haben, ihn zu schließen. Kein Schmuck, dachte Wagner; weder ein Ring noch eine Halskette.

      »Sie hat nichts bei sich«, sagte einer der Techniker, der ihm zur Begrüßung zunickte. »Keine Papiere, keinen Personalausweis, nichts. Sie scheint clean.«

      Clean. Sauber. Eine junge Frau ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Wagners Kehle schnürte sich zusammen.