Zwei Mal knallte es irgendwo. Micke duckte sich hinter das Steuer. Hirka zog das Messer und warf sich aus dem Auto. Die Tür traf Isac, wodurch er auf den Asphalt sank. Er griff sich an die Brust. Ein Blutfleck breitete sich um seine Finger aus. Wurde vom Hemdmuster aufgesogen. Er starrte zu ihr hoch. Verwirrt.
Es knallte wieder. Das Geräusch schien aus den Wänden der dunklen Gasse zu kommen, war nicht näher zu orten. Jemand packte sie. Sie wirbelte herum. Es war Micke. Er zog sie an sich und starrte zum Himmel. »Wer ist das? Wer zum Henker ist das?« Sie sah, wie etwas entfernt eine Gestalt die Feuerleiter hinabkletterte, das letzte Stück sprang. Micke zog einen Gegenstand aus der Innentasche seiner Jacke und drückte ihn an ihren Kopf. Es war eine Waffe. Das wusste sie jetzt. Und sie wusste, was er in der Kirche getan hatte. Er würde es wieder tun. Sie umklammerte das Messer fester.
»Ich werde dich retten«, sagte sie.
Mickes Augen flackerten. Er begriff nichts. Er hielt ihr die Waffe unters Kinn und schluchzte. Entweder er oder sie. Hirka rammte ihm das Messer in die Brust. Genau unterhalb der Rippen. Drückte es hoch. Er riss die Augen auf. Sie lehnte sich gegen ihn, flüsterte ihm ins Ohr: »Du brauchst nie mehr Angst zu haben, Micke.« Die Waffe in seiner Hand fiel zu Boden. Hirka zog das Messer wieder heraus. Von dem Geräusch wurde ihr schlecht. Er sackte zusammen und blieb gegen den Autoreifen gelehnt liegen.
Der Dritte.
Hirka drehte sich um. Der muskulöse Kerl mit dem Ölbehälter kam von der Kirche angelaufen. Er war groß. Sie würde nie allein mit ihm fertigwerden. Es knallte wieder. Er blieb auf der Stelle stehen, fiel auf die Knie. Sein Körper schwankte vor und zurück. Hinter ihm sah sie, wie Flammen aus der Kirche schlugen. Ein Alarm heulte. Dann kippte er zur Seite.
Jemand lief an ihr vorbei. Die Gestalt, die die Treppe heruntergekommen war, ging neben dem Mann am Boden in die Hocke. Sie hörte etwas knacken. Einen Augenblick dachte sie, der Mann habe dem Toten einen Finger gebrochen, doch sie konnte beide Hände sehen, darum musste es also etwas anderes gewesen sein.
Dann kamen die Sirenen. Die Polizei. Hirka hatte sie schon einmal gehört, das war das Geräusch des Untergangs. Der Endzeit. Sie presste ihre Hände auf die Ohren. Sie zitterte. Sie zitterte so heftig, dass sie das Geräusch nicht richtig aussperren konnte. Das Blut lief vom Messer zwischen ihre Finger. Der Mann, der sie gerettet hatte, erhob sich wieder und kam auf sie zu. Sie hätte ihn überall wiedererkannt. Er war es. Der Mann mit dem Kapuzenpullover. Sie hielt das Messer vor sich, während sie zurückwich.
Er ging an ihr vorbei und setzte sich ins Auto. »Komm«, sagte er, »wir haben keine Zeit.«
Hirka starrte die Flammen an. Warum musste alles brennen? Warum war alles, was sie anfasste, dem Untergang geweiht? Ihr einziger Wille war zu heilen, Dinge zusammenzusetzen. Ymsland … Sie stand auf dem Hügelkamm und sah die Hütte brennen. Vater war tot. Alle waren tot.
Sie bewegte sich wie gebannt, setzte sich zu dem Fremden ins Auto. Er startete den Motor. Der Wagen rollte vorwärts. Sie hörte einen dumpfen Aufprall und guckte nach hinten. Es war Micke. Er war umgefallen, als das Auto sich in Bewegung gesetzt hatte. Hirka legte die Hand auf die Scheibe.
»Nichts anfassen!« Der Mann im Kapuzenpullover zog ihre Hand vom Fenster weg. Der Wagen neigte sich zur Seite. »Dann finden sie uns.« Sie verstand nicht, was er meinte. Sie berührte doch den Sitz, sie saß doch darauf. Und er auch. Er sah sie an. »Polizei? Fingerabdrücke?« Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Er trug Handschuhe.
»Mich finden sie nicht«, sagte sie und umklammerte ihren Beutel.
»Die finden alle früher oder später. Warum sollten sie dich nicht finden?«
»Mich gibt es nicht«, antwortete sie.
Er lachte auf. »Wunschdenken, Mädchen.«
Er bog auf eine größere Straße ab. Zwischen eine Menge anderer Autos. Dann beschleunigte er.
Widerstand
Die Schwerter schlugen klirrend gegeneinander und Rime stand plötzlich Schwarzfeuer von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Der Gesichtsausdruck des Mesters strahlte so viel Ruhe aus wie immer. Er ließ nichts durchblicken, wenn er kämpfte. Wegen der dunklen Haut leuchteten die Augen weißer als bei anderen Männern. Vielleicht war das der Grund, warum es so schwer war, an ihm etwas abzulesen. Auf seinem kahlen Schädel war nicht ein Schweißtröpfchen.
Rime aber schwitzte. Jetzt zurückzuweichen bedeutete verlieren. Ihm brannten die Arme und das wusste der Mester. Rime sah den Anflug eines Lächelns in seinen Augen. Er biss die Zähne zusammen. Er war gefangen. Das erinnerte ihn wieder an Hirka.
Rime rammte seine Ferse Schwarzfeuer auf die Zehen. Der Mester gab ein Grunzen von sich und sprang rückwärts. Rime folgte ihm mit drei Schlägen, bis sein Schwert dem Mester an der Gurgel lag. Der Mester lachte. Und diese Heiterkeit war der einzige Grund, warum Rime die Oberhand gewonnen hatte. Die Male, die er Schwarzfeuer überrumpelt hatte, konnte er an den Fingern einer Hand abzählen, und dieses Mal gehörte nicht dazu.
»Wer hätte gedacht, dass sie dich mehr übers Kämpfen lehren sollte, als ich es konnte«, grinste Schwarzfeuer.
Rime ließ den Arm mit dem Schwert sinken. »Sie?«, fragte er, obwohl er ganz genau wusste, wer gemeint war.
»Du warst nie leidenschaftlich, bevor du sie getroffen hast.«
Rime war enttäuscht, dass der Mester ihren Namen nicht aussprach. Ihn von anderen zu hören, machte sie wirklich. Als befinde sie sich irgendwo in der Nähe. Irgendwo dort, wo er sie erreichen konnte.
Er ging zur Mitte des Raumes zurück und hob abermals das Schwert.
Schwarzfeuer kam auf ihn zu. »Und ich dachte schon, du würdest fett und faul davon werden, dass du am Tisch in Eisvaldr sitzt. Rabenträger brauchen nicht zu schwitzen. Oder hat man am Stab so schwer zu tragen?« Er begann, Rime zu umkreisen, nicht wissend, dass er eine Wunde aufgerissen hatte, die niemand sehen konnte.
Rime folgte seinen Bewegungen. »Ich habe den Stab nur ein einziges Mal getragen und das war bei der Weihe.«
»Kein Seher. Kein Stab. Kein Rabe auf der Stirn. Wie willst du führen, wenn dich niemand sieht?«, fragte Schwarzfeuer und führte einen Schlag gegen seine Seite. Rime drehte das Schwert und parierte. Er lehnte es ab, sich entmachten zu lassen.
»Das Wichtigste ist, dass sie mich hören.«
»Das zu glauben, bist du nicht dumm genug.«
Schwarzfeuer brachte eine Reihe von Schlägen an, die Rime rückwärts zwangen. Er wich der Klinge aus und es gelang ihm, den Mester zu umrunden. Schwarzfeuer belohnte ihn mit einer Verschnaufpause.
»Rime, du dienst niemandem, wenn du gegen sie arbeitest. Der Rat ist eins. Ihr wurdet für diese Aufgabe geboren.«
»Niemand ist für diese Aufgabe geboren! Kein Gott hat uns das Anrecht auf die Stühle gegeben!«
Rime schob die Falttüren auf und ging hinaus auf die Felskante. Er hatte immer geglaubt, dass er in Blindból zur Ruhe kommen würde, doch in Wahrheit hatte er noch nie Ruhe gefunden. Alles, was er hatte, waren Augenblicke des Vergessens.
Der Nebel weit unter ihm war dichter als sonst. Der Schnee hatte sich bei allen Bergen auf dieselbe Seite gelegt. Der Wind peitschte ihn von den Gipfeln und dadurch sah es so aus, als löse sich der Fels gerade auf.
Er hörte hinter sich Schwarzfeuers Schritte im Schnee.
»Du wirst den Tag hassen, an dem du gegen mich verlierst«, sagte Rime.
»An dem Tag, an dem ich gegen dich verliere, wird es aus Liebe geschehen«, sagte der Mester. Die Worte kamen unerwartet. Ausgesprochen ohne die geringste Spur von Wärme und dennoch