Die Rabenringe - Fäulnis (Band 2). Siri Pettersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Siri Pettersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783038801146
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Regenponcho. Zog sie zurück. Der große Mann drückte ihr die Hand auf den Mund. Sie hörte einen Knall. Jays kleine Schwester hörte auf zu weinen. Die zwei Männer schrien einander an. Der sie festhielt, sagte ihnen, sie sollten das Maul halten. Er roch nach verfaultem Essen.

      Plötzlich hielten zwei sie fest. Der Dritte kickte die Tür auf. Nickte. Sie zerrten sie nach draußen. Sie trat um sich, schlug, biss. Dann kamen die Tränen. Sie schleiften sie durch den Schnee, zwischen den Grabsteinen hindurch und in die dunkle Gasse hinter dem Armenhaus.

      Blut an den Händen

      Hirka saß auf der Rückbank und rüttelte an der Autotür. Sie war abgeschlossen. Aber sie musste raus. Jetzt. Bevor sie losfuhren. Solange sie noch den Kirchturm sehen konnte. Das ergab keinen Sinn, war aber das Einzige, worum ihre Gedanken kreisten. Wenn die sie erst einmal von hier fortgeschafft hatten, dann war alles vorbei. In einer unbekannten Umgebung fand sie sich nicht zurecht.

      Zwei der Männer saßen vorn und schrien sich an. Der Wagen wurde angelassen und machte einen Satz in die dunkle Gasse hinein. Der größere der beiden schlug den, der fuhr, und das Auto blieb plötzlich stehen. Hirkas Kopf prallte gegen den Sitz vor sich. Dann wurde sie wieder zurückgeworfen, doch der Beutel fing die größte Wucht des Aufpralls ab. Die Tür auf der anderen Seite baumelte offen und Hirka warf sich über den Sitz, um hinauszukommen. Sie wurde von dem dritten Mann zurückgeschubst. Es war der Mann, der ihr in der Kirche entgegengekommen war. Der, den sie Isac genannt hatten.

      Er setzte sich auf die Rückbank mit den Füßen nach draußen. »Haltet’s Maul!«, schrie er und hob die Hand. Die anderen verstummten. Hirka hatte so große Angst, dass ihr die Füße zitterten. Sie spürte, wie etwas am Fußgelenk drückte.

       Das Messer …

      Sie schaute auf ihre gelben Stiefel hinunter. Wippte mit dem Fuß ein wenig und fühlte, wie das Futteral in der Wollsocke hin- und herrutschte. Das Messer war noch da. Das ließ sie hoffen. Sie musste es nur ruhig angehen. Die beste Gelegenheit abwarten.

      Der Mann, der fahren sollte, war klein und hatte Todesangst. Sein Rattengesicht war schweißnass und er murmelte immer wieder ein und denselben Satz vor sich hin: »Das geht schief. Das geht schief.« Der andere Kerl war kräftig. Er stieß den verschwitzten Ängstlichen mehrmals wütend mit dem Ellenbogen an, wirkte aber genauso verunsichert. Das war ein gutes Zeichen. Ängstliche Männer machten Fehler. Früher oder später.

      Isac legte einen Finger an die Stirn und seufzte. Er benahm sich nicht wie die anderen. Er war ruhiger. Schien keine Angst zu haben. Sie wusste, dass er am gefährlichsten war, vor ihm musste sie sich am meisten in Acht nehmen.

      »Micke, kannst du mir einen Gefallen tun?«, fragte er den kleinen Mann, der sichtlich ängstlicher wurde. »Kannst du mich erschießen, wenn ich noch einmal auf die Idee kommen sollte, dich zu einem Auftrag mitzunehmen? Hmm? Wenn ich so blöd sein sollte, könntest du dich dann meiner erbarmen, damit es mir erspart bleibt, Zeuge zu werden, wie du so ein …«, er schlug im Takt seiner Worte mit der geballten Faust auf den Autositz, »… totales … Scheiß … Chaos … anrichtest!«

      »Er hat meinen Namen gesagt«, murmelte Micke. »Jetzt weiß sie, wie ich heiße! Man verwendet keine Namen bei einer Operation!«

      »Gott steh mir bei …« Isac verdrehte die Augen. »Das hier sollte sauber und ohne Blut ablaufen. Ohne Blut, Micke. Das hier ist kein Film! Du fährst keinen Meter, bevor du hinter dir aufgeräumt hast! Hörst du, was ich sage?«

      »Aufräumen? Was zum Henker … Wir haben sie doch! Wir sind draußen. Ich gehe da nicht mehr rein! Man geht nie zurück, Isac! Das ist Regel Nummer eins im Feld. Schnell rein, schnell raus, oder?«

      »Ich schlage ihm die Glotze ein«, flüsterte Isac und rieb sich die Nasenwurzel. Im Auto wurde es still. Die beiden anderen starrten den Mann am Steuer an.

      »Was? WAS? Wir haben das, warum wir hergekommen sind!«

      »Sie, aber nicht den Raben. Willst du ihn anrufen und ihm das erzählen?«, fragte Isac.

      Micke schluckte.

      »Nein, das dachte ich mir. Dann müssen wir einen Raben herzaubern.«

      »Können wir nicht einfach einen von denen da hinten nehmen? Das ist doch egal …«

      »Das sind Krähen, du Idiot.« Isac guckte Hirka an. »Es grenzt doch an ein Wunder, dass er überhaupt auf zwei Beinen geht, oder?«

      Sie gab keine Antwort, angewidert, dass er versuchte, sie in seinen Scherz mit einzubeziehen. Die Kerle auf den Vordersitzen waren jetzt sehr nervös. Der größere fluchte und stieg aus dem Wagen. Er zündete sich eine Zigarette an.

      »Wo ist der Vogel, mein Fräulein?« Isac lehnte sich zu ihr herüber. Er roch verfault. Seine Kleidung war sauber, aber er roch trotzdem. Von den anderen schien es keinem aufzufallen. Merkte nur sie etwas davon? Das erinnerte sie an Urd. Der Geruch aus seinem Hals beim Steinkreis in Ravnhov. Seine Männer schienen sich auch nicht geekelt zu haben. Aber es war Micke, der getötet hatte. Ohne es zu bereuen. Als sei es sein Recht, das Leben anderer zu beenden. Das von Pater Brody. Von Jay. Von Dilipa. Von einem Kind. Von einem fünfjährigen Kind … Das war nicht auszuhalten. Hirka spürte, wie ihre Lippen zitterten, und kniff sie zusammen.

      Isac zog sie ins Freie und drückte sie gegen das Auto. »Wo ist der Rabe?«

      Hirka zuckte die Schultern. »Er ist ein Vogel. Sie fliegen immer, wohin sie wollen«, antwortete sie.

      Isac kam ihr noch näher. Sie drehte den Kopf weg, um seinen Atem nicht riechen zu müssen, aber er kam mit dem Gesicht hinterher. Seine Augen wirkten blass. War er krank? Dem Geruch nach zu urteilen müsste er schon tot sein. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm, doch sie weigerte sich zu zeigen, wie sehr ihr das Angst machte.

      »Was ist nur los mit dir?«, fragte er. »Was ist nur so unglaublich Besonderes an dir, dass ich den ganzen Weg herkommen musste, um nach dir zu suchen? Was hast du, was wir nicht haben, hmm?«

      Er machte nicht den Eindruck, als erwarte er eine Antwort. Aber sie antwortete trotzdem: »Eine Seele.«

      Sie hatte nicht mit einer Reaktion gerechnet, doch Isac starrte sie eine Weile mit offenem Mund an. Dann fing er sich wieder. Warf den blonden Haarschopf zurück. Eine viel zu jugendliche Geste für einen Mann von bestimmt über fünfzig.

      »Es ist schon total schräg, wenn man einen Raben als Haustier hat«, meinte er und zog an seinen Jackenaufschlägen, als säßen sie nicht richtig. »Das bedeutet doch wohl, dass du ihn magst, oder? Und da wäre es doch schade, wenn wir diese Kirche jetzt abfackeln müssten. Ich frage mich …« Er hob ihr Kinn mit der Hand. »Wie riechen wohl verbrannte Federn? Was meinst du?«

      Der große Kerl lachte in sich hinein und warf die Kippe auf den Boden. Trat sie aus. Dann öffnete er die Wagentür und holte einen Behälter heraus. Öl, vermutete Hirka. Er begann etwas in seiner Tasche zu suchen, während er an ihnen vorbei zur Kirche ging.

      Ihre Wut besiegte die Angst. Hätten sie sie töten wollen, dann hätten sie das schon längst getan. Aber sie lebte. Das machte sie mutiger. Sie starrte Isac an.

      »Eines Tages«, begann sie, »da kommst du zu mir und bettelst mich an, dein Leben zu schonen.«

      »Aber nicht heute«, antwortete Isac und schubste sie zurück ins Auto.

      Micke rieb sich mit den Händen das Gesicht. »Isac, wir müssen weg. Wir verplempern hier unsere Zeit!«

      »Wir gewinnen Zeit, du Hirni! Wenn wir jetzt abhauen, haben wir in einer Stunde einen Massenmord in den Medien, besten Dank auch dafür. Jetzt kriegen wir stattdessen einen Brand. Wenn wir Glück haben, dann bringt uns das ein paar Stunden Vorsprung. Und wenn du noch ein Mal das Maul aufmachst, werfe ich dich ins Feuer.«

      Hirka steckte den Arm in den Stiefel.