Der brutale junge Marschall geleitete, zum Staunen seines Stabs, die beiden Putzmamsellen persönlich zu dem Krug an der Heerstrasse von Tilsit nach Tapiau und beurlaubte sich am Eingang mit einem gemessen-achtungsvollen, zurückhaltenden Handgriff an den goldbetressten Hut. Durch die scheibenlos schwarzen Fensterhöhlen des schmutzigen Wirtshofs, den die Demoisellen röckeraffend betraten, wehte der Sommerwind, durch die weissen Sparren der abgedeckten Dächer schien die Julisonne in die leeren Ställe und Scheunen, aber hinten am Schanktisch klirrten dem schwitzenden, hemdsärmeligen Litauer die Soustücke mit der phrygischen Freiheitsmütze in den Kasten wie vorher, beim Rückzug der verbündeten Heere, die adlergewappneten preussischen Groschen und die russischen Kopeken mit dem heiligen Georg. Die grosse niedere Wirtsstube war gedrängt voll. Auf deutsch, polnisch, litauisch, französisch, jiddisch, italienisch wurde gezankt und geflucht, an den Tischen geschmust, in den Winkeln wurden Wechsel gekritzelt, im Hof draussen noch, neben dem Misthaufen, Geldkatzen aufgenestelt und geheimnisvolle Säcke zugebunden.
„Alleweil sind sie doch hinter der Armee beim Pferdehandel, Märtche!“ sagte die Demoiselle Dullenkopf in der Ecke, in die sie sich vor den bunten Uniformen und schwarzen Kaftanen, den weissen Stallmänteln der Rosskämme und den flaschengrünen Fräcken der Agioteure und Negozianten hineingedrückt hatten. „Guck’! Da unterm Tisch weise sich die böse Bube heimlich als schon silberne Leuchter . .“
„. . . und die Welsche’ in den Bärenmützen schachern gar mit ganzen Vliessen, die sie den Hammeln auf der Weide abgeschore’ habe!“
„Und wir hocke’ hier im Prison! Da draussen, vor der Tür, promeniert unser Monsieur Bienassis als Schildwach’ auf und ab . . .“
„Aber er macht einen scheppen Buckel und schielt nur so verkniffe’ zu uns herüber wie die Euľ am Mittag . . . Bettinche . . . dem Oos ist nit wohl zumut’ . . .“
„Wenn ich nur wüssť, was der Marschall vorhat! . . Da! . . . Eben gibt er einem Offizier einen Befehl . .“
„Der sitzt auf und galoppiert davon . . . In der Richtung nach Tilsit . . . als ob es brennen täť! . . Jetzt sieht man ihn nicht mehr im Staub . . . Bettinche . . . warum wirst du denn auf einmal so feuerrot?“
„Ich — warum nit gar?“
„Was siehst du denn dort drüben in der Wirtsstub’?“
„Nix! Jetzt weisst du’s!“
„Ach — du liebe Zeit . .“ Das dralle Märtche schnellte halb vom Holzschemel empor. „Da sitzt er ja . . der Preuss’ von neulich . . von der Weichselfähr’ . . . Jetzt wirst du auf einmal wieder weiss wie Quarkkäs’, Bettinche — was hast du denn?“
„Ach! Lass mir mein’ Ruh’, du Gackerlies . . .“
„Jetzt sieht er dich auch! Jetzt guck’ nur, was das dem Mann für ein Pläsier macht! Da geht gerad’ die Sonne auf dem seiner Visage auf . . .“
„Schau’ doch nicht immer hin!“
„Du guckt ihm ja gerad’ fortwährend in die Augen! Und er dir! . . . Jetzt steht er auf! Er kommt hierher! . . . Jesus — der Herr Musterreiter hat sich aber arg verändert!“
Der Kandidat Juel Wisselinck trug eine Kegelmütze von vermottetem Sumpfbiberpelz auf dem scharfkantigen, bartlosen Blondkopf, und um den hageren, sehnigen Körper eine enge Joppe aus weichgegerbtem, dottergelbem, zähem Elentierleder. Mit schweren Halbstiefeln an den wollgrau behosten Beinen, sonnenverbrannt, sah er aus wie ein herrschaftlicher Urwaldförster oder Wildnisbereiter. Seine blauen Augen lachten. Er trug seine kurze, bläulich qualmende holländische Tonpipe in der einen, sein dickes, grünes Schnapsglas in der anderen Hand, pflanzte beides auf den Tisch der beiden Modeschneiderinnen, nahm unbefangen neben ihnen Platz und quetschte die zarten Finger der Demoiselle Dullenkopf mit einem stürmischen Druck.
„Dank, deutsches Mädchen!“ sprach er frisch und frei. „Neulich — am Weichselufer — war keine Zeit dazu! . . . Ich musste mich sputen, den Fluss zwischen mich und diese Pariser Canaille samt ihren Schlachzizen zu legen!“
Die Demoiselle Dullenkopf wurde wieder dunkelrot. Sie konnte sich nicht helfen: sie musste den Fremden sofort wieder Warnen . . .
„Drehen Sie sich ja nicht um!“ versetzte sie leise und schnell. „Es ist unrecht von mir . . . als Mainzerin . . als französische Citoyenne . .!“
„Sie sind deutsch von Art und Geblüt! Sie haben es herrlich an mir bewährt . .“
„. . . aber da draussen steht er ja . . . Ihr Feind von der Pariser Geheimpolizei!“
„Er hat mich schon längst bemerkt!“ Der junge Mann schob sich das holländische Pfeifchen zwischen die weissen Zähne und paffte . . . „und ist knurrend weiter gehinkt wie ein Köter, der seinen Knochen verloren hat! Seit gestern ist Friede! Da wagt sich der geheime Monsieur mitten in Preussen nicht so leicht an einen Preussen heran wie im Krieg drunten in der sächsischen Wasserpolackei!“
„Und da placieren Sie sich hier sans gêne mitten unter die Franzosen?“
„Kann ich denn anders? Ich reise in höchster Eile! Aber die Strasse nach Tapiau ist vorläufig gesperrt! Die Posten scheuchen, bis der Napoleon durchpassiert ist, jeden, der nicht Subjekt des Kaiserreichs ist, mit Pulver auf der Zündpfanne zurück!“
„Deswegen können auch wir nicht weiter!“ sprach die Demoiselle Dullenkopf. „Märtche — du Aff’ — was gibt’s denn schon wieder zu pruste?“
„Ach — das ist zu komisch, wie ihr beide euch alleweil anguckt!“ Die kleine Blonde platzte heraus. Die zarte Braune wurde wieder heftig rot. Auch die wetterversengten Wangen des Kandidaten Wisselinck durchblutete ein heisser Hauch. Er trommelte verwirrt mit den Fingern auf den Tisch, leerte sein Schnapsglas und schaute angelegentlich zum Fenster hinaus. Und ebenso die braune Mainzer Modistin in die Ecke drüben, wo ein Haufen Rosstäuscher und scharlach über dem Helm geschweifter Kürassiere einander in leidenschaftlicher Gebärdensprache die Preise ihrer kriegslahmen Gäule an den Fingern vorzählten.
Und dann schauten sich die beiden, der Kandidat und die Putzmamsell, doch plötzlich wieder durch Zufall an und kamen nicht voneinander los. Und der junge Mann stützte, träumerisch in sein Gegenüber verloren, das blonde Haupt in die hohle Hand und sagte langsam:
„Einem Mädchen wie Ihnen wollte ich schon lange begegnen. Das habe ich geahnt! Das war mir vorbestimmt. Anders als die flachsgelben Marjellen hier — dunkel und zart — und eben doch eine rechte, tapfere Deutsche! Da sieht man erst, wie gross Deutschland ist und wie reich! Ich weiss ja nichts vom Rhein da unten und von den deutschen Nationen, die an seinen Ufern wohnen! Aber wenn erst einmal wirklich Friede in Preussen ist, dann besuche ich euch, ihr Kinder! . . Und Sie zeigen mir alles, was es Schönes — sogar ausser Ihnen noch — dort am Rhein gibt! Ich darf doch kommen, trautstes Fräulein?“
Die Demoiselle Dullenkopf sah vor sich nieder. Der zarte Ausschnitt ihres weissen Empirekleides wogte heftig. Eine kaum merkliche Bewegung des braunen Kopfes konnte für ein „Ja“ gelten. Die andere stiess mit ihrem Schutenhut an das Ohr der Freundin.
„Bettinche“, flüsterte sie. „Pass’ doch Obacht! Du verliebst dich ja! Aber schon bis über die Ohre . . .“
„Hab’ ich dich gefragt?“
„Und er sich erst recht! . . . Aber das hab’ ich schon seit der Weichsel bei dir gemerkt! Seitdem hat’s dich . . . vom erste Augeblick an!“
„Märtche . .“, sprach die Braune leise und blass, während der ihr gegenüber in Nerzkappe und Elenwams befangen durch die Scheibensplitter des Fensters ins Blaue hinaussah. „So ungern ich es tu’! . . . Es ist das erstemal — aber ich muss dich an den Abstand zwischen uns erinnern . .“
„Ei was! Wir sind zwei Putzmädle vom Rhein . . .“
„Missbrauche nicht mein Vertrauen!“
„Ich bin ein rheinisch Kind — und solang wir Fastnacht