Christines Weg durch die Hölle. Robert Heymann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Heymann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711503683
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ihm. Immer näher kommen sie dem Grabe, in dem Christine nach Atem ringt.

      Jetzt endlich fährt ein eisiger Luftzug in das Loch. Die Verschüttete holt tief Atem ... und erwacht aus ihrer halben Bewusstlosigkeit. Da schlägt auch schon die Spitzhacke eines unvorsichtigen Retters dicht an ihrem Ohr vorbei.

      Sie schreit auf.

      Gerettet!

      Gerettet in letzter Stunde, denn schon sickert Blut aus ihrer Nase, schon hat sie mit dem Erstickungstod gekämpft und den Tod gefühlt, der über sie hinstreifte ... einen grausamen Tod.

      Weinend und lachend sinkt sie Michael in die Arme.

      Die Bauern gehen ins Dorf zurück. Michael trägt die Gerettete ins Schloss.

      Sie will danken und kann es nicht. Irgend etwas mahnt in ihr und klopft an ihr Herz, aber sie kann es nicht fassen.

      Sie liegt, in alle verfügbaren Pelze gehüllt, auf dem Diwan, und Michael bemüht sich, Feuer zu machen. Ein kleines Feuer, um die Hände zu wärmen und etwas Fleisch zu kochen.

      Er erzählt mit der überstürzten Hast der freudigen Erregung. Sie will zuhören und kann es nicht. Immer wieder drehen sich die Dinge um sie. Die Gedanken fliehen vor ihr, sie kann sie nicht einfangen, sie fliegen fort wie leichtbeschwingte Vögel, ins Blaue eines lichten Himmels, einer sonnigen Landschaft, bis wieder Geschrei und Toben sie aus ihrem Halbschlummer reisst.

      Diesmal wird unten am Tor gerüttelt.

      Michael tritt ans Fenster, duckt sich schnell.

      Eine Kugel schlägt krachend in die Wand.

      „Aufgemacht!“ brüllen rohe Stimmen. „Dachte ich doch, dass einer da oben versteckt ist! Los! Auf!“

      Ehe Michael sich weigern kann, brechen sie unten das schwere Tor ein.

      Schnell schieben sich seine starken Arme unter Christine. Durch eine Flucht von Zimmern jagt er mit der geliebten Last wie ein Schatten. Gespenstisch geistert der Mond hinter ihm drein. Treppen geht es empor ... überall fallen hinter ihm die Türen ins Schloss. Seine Füsse rollen Tische und Stühle davon. Weiter!

      Nun ist er im letzten Zimmer. Er hat längst für diese Möglichkeit alles vorbereitet.

      Waffen liegen schussbereit umher. Christine sinkt in die Knie.

      „Michael, wir sind verloren! Nur nicht lebend in ihre Hände! Michael! Nicht lebend!“

      In ihres Herzens Not sieht sie noch, wie Michael verändert ist. Die Güte seines Gesichtes ist weggewischt. Wie ein Tatar steht er da mit flammenden Augen, den Mund geöffnet in wilder Kampfeslust. Ja, mit einem gurgelnden Schrei antwortet er dem näher kommenden Lärm, und als könnte er sie nicht erwarten, diese Auseinandersetzung auf Leben und Tod, die doch nur mit seiner und Christines jammervollen Ermordung enden kann, stürzt er vor die Tür, an die Treppe. Hier macht sie eine Wendung.

      Christine hört ihn schiessen. Schreie ... Flüche. Er schiesst wieder. Schnell feuert er und sicher. Und Menschenkörper rollen schwer aufschlagend hinab.

      Sein Kriegsgeschrei hallt heulend durch die endlos traurigen Räume. Das Geschrei der Angreifer antwortet.

      Es sind wieder die Grünen, die zurückgekommen sind. Auf ihrer Flucht haben sie das Schloss bemerkt ... Ein Schloss, heil und stolz. Man musste es plündern, man musste es nach etwa versteckten Adeligen durchsuchen.

      In ihrer Todesnot horcht Christine doch immer von neuem auf die gellenden Schreie des Geliebten. Nie hat sie ihn so gesehen! Sie begreift: Die Natur des Vaters bricht durch, das Blut der alten Bojaren rauscht auf. Sie werden es nicht leicht haben mit dem letzten Spross des Hauses Kusmetz.

      Jetzt zieht er sich langsam vor der Übermacht zurück ...

      „Lade, Christine! Lade!“ ruft er.

      Sie sucht in dem matten Mondlicht nach der Munition.

      „In dem Kasten, nahe dem Ofen,“ schreit er. Sie hört ganze Salven, und die Kugeln der Grünen schlagen schon ins Zimmer.

      Sie schiessen nun auch von unten. Aber sie wagen nicht, sich ein bestimmtes Ziel zu suchen, aus Angst, die Ihren zu treffen.

      An die Tür gelehnt, steht Michael und feuert. Blitzschnell lädt sie: Das Gewehr, das er ihr hereinreicht, den Armeerevolver, und reicht ihm die anderen Waffen hinaus, die er längst geladen hatte, eines solchen Zwischenfalles sicher.

      Warum sind wir geblieben? schiesst es Christine durch den Kopf. Und dann ist sie doch wieder voll Stolz und todesbanger Freude: So hat wohl keiner der russischen Grafen und Fürsten seinen Boden, die Heimat, verteidigt. So ist kein Adeliger gestorben, eine Hekatombe Gefallener nach sich ziehend in das Schattenreich.

      Der Kampf geht weiter. Sie kommen nicht über die Treppenbiegung herauf, wenn sie auch Schnellfeuer geben. Die Kugeln können ihn nicht treffen, und ehe einer der verwegenen Schützen, sich um die Ecke schleichend, abdrücken kann, hat ihn Michaels Kugel schon gepackt.

      Da schlägt furchtbares Knattern Christine beinahe zu Boden. Die Tür splittert. Michael stürzt herein. Kugelt über den Boden, springt aber schon auf und feuert weiter ... ins Dunkle, Wirre hinein, in den Menschenknäuel, der sich heranwälzt.

      Sie haben eine Handgranate geworfen. Durch ein Wunder blieb Michael unversehrt. Wohl rinnen ihm Blutbäche über das Gesicht. Aber das hetzt ihn nur an. Er schreit wie ein Trunkener, und die Anderen weichen zurück vor dem barbarischen Feuer, stürzen hinunter trotz der geborstenen Tür.

      „Ein Teufel,“ sagt unten im Hof einer der Offiziere zu Machno.

      „Dann werden ihn hundert Teufel herausholen. Und das Weib lebend!“ brüllt Machno und haut mit der Peitsche wütend auf den Wagenrand.

      Wieder stürmen sie.

      Jetzt zerschlagen sie im Ansturm alles Erreichbare, schieben Matratzen und Tische vor sich her als Schutz gegen den Einen.

      „Michael, ist das Ende der Welt gekommen?“ stammelte Christine.

      Er nickt, mit allen Sinnen nach der Treppe horchend.

      Das Geheul kommt wieder näher und näher.

      „Das Ende dieser Welt, ja.“

      Ein Schrei aus Seelentiefe.

      Er wendet sich ihr zu.

      „Michael! Fliehen wir! Wir sind jung! Jung!“

      „Fliehen?“ Er lächelt. „Zu spät! Zu spät!“

      „Der Tod — —? Wir sind verloren?“

      „Ja, Christine. Es ist das Ende.“

      Ihre Arme schlingen sich um seinen Hals. Sie drängt sich an seinen Körper. Sein Blut sprudelt über sie.

      Ihre Lippen suchen die seinen. Seine Arme schlingen sich um den zuckenden Körper, Augen tauchen in Augen. Liebe empfängt zwei Seelen, Liebe einer Sekunde, die sich in ein Leben wandelt.

      „Liebste! Mein Weib!“

      „Im Tode, Michael!“

      „In einem besseren Leben!“

      „Jenseits dieser entsetzlichen Zeit und Welt.“

      „Jenseits.“ —

      Küsse überirdischer Trunkenheit. — Ein Chaos von Flüchen. — Splitter. — Braune Köpfe! Irrlichternde Augen! Gewehre!

      „Michael! Michael! Nicht in diese Hände — barmherziger Gott —“

      Blitze in ihrer Nähe.

      Die Köpfe der Machnoleute verschwinden wieder für einen Augenblick. — Todesächzen. —

      Michael steht aufrecht, mit zitternden Muskeln. Die Patronenkammer des Brownings lässt ihm noch Zeit.

      „Michael — nur das nicht — nicht lebend —“

      Er lächelt.