„Ja, großer Subedar.“
Malindi beschlich wieder dieses unangenehme Gefühl von jemandem beobachtet zu werden, den man selbst nicht sehen konnte, der aber doch über alles Bescheid wußte.
Die Anhänger der religiösen und fanatischen Sekte verließen die Hütte und führten die beiden Männer zu dem Boot.
Sie haben wirklich keine Kosten gescheut, dachte Malindi, als er das an einem winzigen Holzsteg vertäute Boot sah.
Es hatte zwei Riemen und einen kleinen Mast mit einem Segel, und es ähnelte einem der üblichen Fischerboote. Es war nur ein wenig größer und geräumiger. Ein Mann konnte in dem Boot bequem schlafen, wenn er müde war, während der andere dann an der Pinne saß. So konnten sie sich gegenseitig abwechseln.
Die beiden staunten über die Vorräte, die sich in dem Boot befanden.
Der Subedar schlug ein Stück Segeltuch zur Seite und deutete stumm mit der Hand unter die vordere Ducht, unter die ein länglicher, hölzerner Kasten eingelassen war. Der Kasten war mehrmals unterteilt und ließ sich zusätzlich mit einem Deckel verschließen. Alles war vor eindringendem Seewasser geschützt.
In dem einen Kasten befand sich als Notproviant getrockneter Fisch, daneben lagen Angelgeräte und ein Netz, wie es die Fischer vor der Küste verwendeten. Ein Kasten war voller Bananen, der andere bis obenhin mit großen Melonen gefüllt. Zwei Fässer mit Trinkwasser befanden sich im nächsten, und im anderen war Reis.
Der Subedar und seine Anhänger hatten auch Holzkohle und die nötigen Utensilien, um ein Feuer zu entfachen, nicht vergessen. Es war wirklich an alles gedacht worden, was für eine längere Reise erforderlich und lebensnotwendig war.
Zum Abschluß erhielt jeder vom großen Subedar noch eine Goldmünze.
„Das ist für den Fall größter Not, oder wenn ihr in eine sehr heikle Situation geraten solltet“, sagte er. „Versteckt es gut, und zeigt es nicht herum. Der große Geist wird über euch wachen. Wir werden euch sehnsüchtig erwarten. Ich bin sicher, daß ihr es schafft, das größte aller Heiligtümer zu uns zu bringen.“
„Wir schaffen es“, sagte Chandra zuversichtlich.
Malindi nickte aufgeregt, er konnte nichts sagen und starrte nur immer bewundernd auf das Boot und seinen Inhalt.
„Dann kann eure Reise jetzt beginnen. Habt ihr auch die Messer?“
Die Messer hatten sie – scharfgeschliffene schmale Dolche, die sie immer bei sich trugen.
Der Subedar und seine fanatischen Anhänger entließen sie mit allen guten Wünschen.
Die beiden nahmen in dem Boot Platz, verneigten sich nach allen Seiten und begannen dann zu pullen. Das Segel konnten sie erst dann setzen, wenn sie aus dem schmalen Nebenarm heraus waren. Hier ging nicht der geringste Lufthauch.
„Bringt die heilige Reliquie!“ rief der Subedar ihnen nach. „Und bringt sie bald! Wir warten auf euch!“
„Wir bringen sie!“ rief Malindi heiser. „Und wenn es unser Leben kosten sollte, wir bringen sie!“
Aber seine Worte waren nur ein bloßes Lippenbekenntnis. Wenn er den Weisheitszahn Buddhas erst einmal hatte, dann würden die anderen Männer nie wieder etwas von ihm hören. Dieser Zahn würde ihm Reichtum, Glückseligkeit und ewiges Leben bescheren. Er schauderte bei dem bloßen Gedanken daran und spürte, wie es ihn heiß und kalt überlief.
Hinter ihnen versank die morastige und sumpfige Landschaft mit ihren Mückenschwärmen und dem Geruch nach fauligem Wasser. Im Schlamm stand ein magerer Wasserbüffel, der ihnen nachsah.
Das fanatische Geschrei achteraus verklang langsam. Jetzt hörten sie nur noch das Schwirren der Mücken und Stechfliegen und das gräßliche Summen, wenn sie sich näherten.
Es war so heiß, daß der Sumpf längst hätte ausgetrocknet sein müssen. Gnadenlos brannte die Sonne von einem milchig-blauen Himmel herunter.
Das sumpfige Wasser hatte die Farbe von Gold und Silber, und es reflektierte die Sonnenstrahlen so stark, daß sie nur eine unbestimmte, glitzernde Fläche sahen.
Eine knappe halbe Stunde pullten sie angestrengt und schweigend. Der Schweiß lief ihnen in Bächen über die Gesichter, aber es half nicht, ihn abzuwischen.
Hin und wieder blickte Malindi auf die Ausbuchtung in der einen Ducht, wo die Wundernadel leicht zitterte. Er wandte den Blick wieder ab und pullte verdrossen weiter. Es paßte ihm nicht, daß in dieser Nadel magische Kräfte steckten und ihn jemand beobachten konnte. Aber er ließ sich nichts anmerken.
Der große Subedar sollte nicht mißtrauisch werden.
Nach einer Ewigkeit, wobei ihre Körper nur so trieften, hatten sie es endlich geschafft und den stickigen Flußnebenarm verlassen.
Sie blickten auf den Golf von Mannar und atmeten erleichtert auf.
Hier war alles ganz anders. Die Luft roch frisch nach Salzwasser, und einen laue Brise, schlug ihnen in die Gesichter. Gegen das Brackwasser war es hier im Golf herrlich erfrischend.
Sie zogen die Riemen ein und ließen sich ein paar Augenblicke treiben, bis der Schweiß auf ihren Körpern verdunstete und sie freier atmen konnten.
„Jetzt können wir endlich das Segel setzen“, sagte Malindi, froh drüber, nicht mehr pullen zu müssen und auch die lästigen Stechfliegen hinter sich zu haben. „Ich denke, es wird eine prächtige Überfahrt.“
Chandra Muzaffar reckte sich. Sein Blick fiel auf die Nadel, und er verneigte sich leicht vor ihr.
„Das Auge Subedars wird auch weiter über uns wachen“, sagte er feierlich. „Ohne die geheimnisvollen Kräfte würden wir es allein nicht schaffen.“
„Wie lange werden wir bis zur Küste brauchen?“
„Bei gutem Wind etwa zwei bis drei Tage. Vielleicht werden es auch vier Tage. Die längste Strecke ist der Küstenabschnitt bis Negombo.“
Malindis Blick fiel wieder auf die Nadel. „Ob der große Subedar auch unsere Worte hören kann?“
„Natürlich kann er das“, sagte Chandra überzeugt. „Er kann uns sehen und jedes unserer Worte hören. Manchmal glaube ich, daß er auch unsere Gedanken lesen kann.“
Er sah nicht, wie Malindi heftig schluckte.
Nein, das kann nicht wahr sein, überlegte er. Wenn der große Subedar Gedanken erfassen konnte, dann hätte er ihn wohl nicht auf die Reise geschickt und sich der ganzen Mühen unterzogen. Der Subedar hätte dann ja wissen müssen, daß er, Malindi, für diese Aufgabe unbrauchbar war, weil er den Weisheitszahn für sich behalten wollte.
Zum ersten Male kamen ihm Zweifel an den Fähigkeiten des Subedar. Vielleicht war er gar nicht so groß, wie er immer vorgab? Vielleicht konnte er sie nicht mal sehen und gab das nur vor, um sie einzuschüchtern und zum Gehorsam zu zwingen.
„Warum grinst du so?“ fragte Chandra.
„Ich bin froh, daß das Abenteuer beginnt und wir beweisen können, was in uns steckt, und ich bin froh darüber, daß wir das Meer erreicht haben und eine kühle Brise unsere Körper kühlt.“
„Ja, darüber bin ich auch froh. Wir werden wie Helden gefeiert werden, sobald wir mit dem Zahn des großen Erleuchteten zurückkehren. Jetzt aber sollten wir den Mast aufrichten und das Segel setzen.“
Sie trieben dicht unter der Küste. Die Sonne stand fast im Zenit, und Chandra beugte sich über die Nadel und die geheimnisvollen Zeichen auf dem Brettchen, die jetzt, da er sie kannte, längst nicht mehr so geheimnisvoll waren.
Die zitternde Nadel gab ihm die beruhigende Gewißheit, daß alles in Ordnung war und der Subedar über sie wachte. Sie zeigte mit ihrer bläulichen Spitze nach Norden und blieb immer auf diesen Punkt ausgerichtet, während das Boot sich um die Nadel bewegte. Es war