Vor Beginn seiner Reise schon hatte er über sich und sein Boot eine Broschüre drucken lassen, in die die genaue Route seiner geplanten Weltumseglung eingezeichnet war – ein Verstoß gegen den Kodex der Hochseesegler auf dem Trockenen, und Bardiaux wurde entsprechend belächelt und verspottet.
„Welches Navigationssystem benutzen Sie denn auf Ihrer Reise?“ fragte ihn ein französischer Admiral in Le Havre.
Bardiaux hatte sich zwar schon mit genügend Literatur über Navigationssysteme und ihre praktische Anwendung versorgt, war aber noch nicht dazu gekommen, sie zu lesen. Darum antwortete er: „Ich weiß noch nicht, das wird sich erst auf der Fahrt herausstellen.“
Der Admiral wandte sich verächtlich ab und meinte unter dem gehorsamen Lachen der Umstehenden: „Wenn der heil um die Welt kommt, will ich kein Admiral mehr sein.“
Ein Segler hatte Bardiaux prüfend gefragt, wie dieser und jener Knoten heiße, den man da oder dort mache, und, als Bardiaux mit den Achseln zuckte, entsetzt ausgerufen: „Aber Sie sind ja gar kein Segler!“
Gewiß, Bardiaux mag damals noch kein erfahrener Yachtsegler gewesen sein, aber er hatte neben seinen vielen Erfahrungen im Faltboot einige menschliche Qualitäten, die für die Einhandfahrt auf dem Meere wichtiger sind als der Name eines Knoten. Freimütig bekannte er nach seiner Tour de monde: „Noch heute gibt es genügend Dinge, die ich zwar nicht mit ihrem seemännischen Fachausdruck kenne, mit denen ich aber in der Praxis oft genug zu tun hatte.“
In Dakar erlernte Bardiaux die astronomische Navigation und segelte gleich darauf in Rekordzeit nach Rio de Janeiro. Dort war zur gleichen Zeit ein französisches Schulschiff der Kriegsmarine vor Anker gegangen, und eine Zeitung in Rio kommentierte: „Zwei französische Boote in Rio eingetroffen. Das eine bemannt mit einem Mann, das andere mit 164 Ärmelstreifen“ – womit die Rangabzeichen der Offiziersanwärter gemeint waren.
Im Südwinter segelte Bardiaux von Ost nach West um das berüchtigte Kap Hoorn, nachdem er vorher in der gefährlichen Straße von Le Maire zweimal in einer Hohlsee gekentert war, als ihn die Strömung mit sieben Knoten Geschwindigkeit nach Westen riß und gleichzeitig der Wind mit 30 Knoten Geschwindigkeit aus Westen heranfegte. Nach dieser beispiellosen Leistung mußte er sich in Südchile ein ganzes Jahr lang von seinen Erfrierungen erholen.
Ein anderes Mal kam er mit einem blauen Auge davon, als er im Pazifik auf ein Riff lief. Dort war er auch von seiner geplanten Route abgewichen, weil er eine Einladung nach Neu-Seeland angenommen hatte. Weiter fuhr der Unermüdliche durch den Indischen Ozean nach Kapstadt, durch die Kariben nach New York und endlich über die Azoren nach La Coruña. Seine Leistung gewinnt noch an Bedeutung, wenn man bedenkt, daß er bereits im fünften Lebensjahrzehnt steht.
Das Geheimnis seines Erfolges? Vielleicht die Tatsache, daß er als früherer Faltbootführer ein weitaus engeres Verhältnis zum Meer hatte, als ein Yachtsegler es je haben kann.
Wenige Tage nach meiner Begegnung mit Bardiaux lief in La Coruña die „Nausikaa“ ein, ein 8,60 m langer Seekreuzer unter der Flagge des schweizerischen „Cruising Club“. Die Besatzung: drei junge Schweizer, die zur Verwirklichung ihres großen Traumes, auf eigenem Kiel nach Amerika zu segeln, jahrelang als Nachttaxifahrer zusätzliche Rappen verdient hatten. Ohne Sextant, ohne Logge, ohne kompensierten Kompaß waren sie gestartet, nur einen Wunsch hatten sie: irgendwo in Amerika ankommen!
Inzwischen erfuhr ich, daß ihr Traum doch nicht in Erfüllung gegangen ist, denn in Casablanca sind sich die drei in die Haare gekommen und haben die Fahrt aufgegeben.
Nebel am Ende der Welt
Als ich endlich La Coruña verließ, schien sich alles gegen einen Landfall in Vigo verschworen zu haben: erst Flaute, dann dickster Nebel bei fünf Windstärken, so daß man die Dampfer nicht mehr richtig hören konnte. Von Backbord ertönte ein Nebelhorn, von Steuerbord, von vorne, von achtern – ein Getute wie bei einer Verkehrsstockung! Meine Brille war stets beschlagen. Einmal sah ich das Licht eines Dampfers hoch über mir, so unheimlich nahe erschien es mir.
Es war Nacht, ich befand mich am „Ende der Welt“, beim sturmumwehten Kap Finisterre, dem nordwestlichsten Punkt der Iberischen Halbinsel.
Als es Tag wurde (aber was heißt im fetten Nebel Tag?) tastete ich mich wie ein Blinder an der mit unzähligen Riffs und Felseninseln gespickten Küste nach Süden vor. Hörte ich die Brandung zu laut grollen, gab ich Fersengeld und hielt aufs offene Meer zu. So kam ich schließlich in die Gegend, in der ich nach der Nordeinfahrt für Vigo suchen mußte. Und jetzt hatte ich Glück: in der hohen Atlantikdünung sah ich immer wieder einen Fischer aus den Wellentälern heraufschießen.
„Wo ist die Einfahrt nach Vigo?“ schrie ich ihm zu, und er brüllte zurück: „Aqui“ – hier!
Die Einfahrt ist etwa eine Seemeile breit, doch konnte ich weder das Festland auf der einen, noch die Felseninseln Cies auf der anderen Seite ausmachen. Plötzlich tauchte aus dem Nebel eine Boje vor dem Bug auf. Auch hatte der Wind in der Bucht nachgelassen, und endlich zeichnete sich hinter dem Nebelschleier die Silhouette der bergigen Bucht von Vigo ab. Unter Motor erreichte ich schließlich den Yachtclub.
Am Tage darauf kreuzte die große französische Yacht „Hygie“ auf, die zusammen mit mir von der Nachbarstadt EI Ferrol abgefahren war. Aber sie hatte zehn Besatzungsmitglieder an Bord, der Eigner trug also weit mehr Verantwortung als ich, und da er keinen Fischer getroffen hatte, war er dem einzig richtigen Entschluß gefolgt: er hatte draußen geankert und abgewartet.
Das ist ja immer wieder das Faszinierende und das Verruchte am Meer: gestern nervenaufreibende Flaute, heute wütender Sturm, morgen prächtigstes Segelwetter! Voraussagen treffen kann nur der Erfahrene, und auch ihm glückt es nicht immer.
Segelgepäck einer Lady
Ein paar Tage später traf per Flugzeug meine Verlobte ein, und wir unternahmen die schicksalsschwere Fahrt nach Madrid, von deren zweitem Teil schon die Rede war. Als wir, ein frischgebackenes Ehepaar, wieder in Vigo ankamen, empfing uns die Stadt mit scheußlichen Regengüssen, doch focht uns das wenig an.
Ich pullte Ilse zu unserem Boot, um ihre Sachen zu verstauen. Vorsorglich hatte ich ihr schon etwas Platz eingeräumt, doch viel Erfahrung mit den Bedürfnissen junger Damen schien ich nicht zu haben, sonst hätte ich mich nicht gewundert über das, was nun geschah. Und ich wunderte mich sehr. Da kam ein Fläschchen zum Vorschein … und noch eines, und noch eines und immer mehr.
Verwirrt und im Unklaren über den Zweck so vieler Flaschen fragte ich sie: „Sind die roten Bottels da alle für das Boot?“ Ich wurde belehrt, daß es sich um Nagellack handele, der mit dem jeweiligen Kleid harmonieren müsse. Der Kleider aber waren es noch mehr!
In meinen Briefen hatte ich Ilse immer wieder gewarnt vor dem, was sie auf dem Meer erwartete. Nichtsegler – Ilse kannte Segelboote bisher nur aus der Feme – glauben, eine Segelfahrt sei etwas Herrliches, die reinste Erholung, der beste Urlaub. Das stimmt auch – wenn man jeden Abend wieder an Land ist. Sobald man jedoch mehrere Tage auf dem Meer bleibt, nachts Wache schieben und tags Reparaturen machen muß, hört es mit der Segelherrlichkeit auf. Ilse würde es noch erfahren – – –
Ich ging an Deck, um an einem Sonnensegel zu nähen. Nach wenigen Minuten ließ ich meine Arbeit im Stich und stieg wieder hinunter. Ilse war immer noch beim Auspacken.
„… Und dann habe ich noch dieses Gedicht von einem Nachthemd. Ist es nicht wunderbar? Und, wenn du unbedingt willst, habe ich für dieses Rosa sogar einen Nagellack …“ Ob sie es ernst meinte, weiß ich bis heute nicht. Ich ließ mich fassungslos auf eine Stufe des Niederganges fallen: „Niña! Was soll denn bloß all dieser … dieser Krimskrams?“
Niña? Sie schaute mich mit großen Augen verständnislos an. Und seitdem heißt