ERSTES KAPITEL
FLITTERWOCHEN IM ZYKLON
Schlafwagen Madrid – Vigo.
Durch eine kahle, karstige und öde Landschaft brauste breitspurig der Expreß.
Plötzlich klopfte es an die Tür unseres Abteils.
„Pasaportes!“ forderte eine Stimme im Amtston. Meinen Paß bewahrte in Vigo die Hafenpolizei auf, die mir indessen eine Genehmigung für die Reise nach Madrid ausgestellt hatte. Der Grund war auch aufgeführt: zwecks Heirat. Als der Hüter der Ordnung das las, zwinkerte er mir verständnisvoll zu und verschwand.
Mir fiel ein Schild ein, das ich einmal in den USA an einem Schlafwagenabteil gesehen hatte: „Frisch verheiratet.“ Auch hier wäre es am Platze gewesen.
Ilse und ich waren vor wenigen Stunden getraut worden, nachdem wir ein Labyrinth von Amts wegen passiert hatten. Und nun wartete in Vigo eine schwere Aufgabe auf meine frischgebackene Frau: sich mit meiner zweiten großen Liebe anzufreunden.
Vom Einbaum zur Yacht
Diese Liebe war die LIBERIA IV, eine kleine rote Yacht und mein viertes Boot, das den Namen LIBERIA trug.
Liberia erhebt den Anspruch, ein „Land der Freiheit“ zu sein; dort hatte ich einige Jahre als Arzt gearbeitet und geschwitzt, dort hatte ich mir die beiden ersten Boote selbst gebaut. Die Geschichte Liberias heißt Kampf mit den Elementen, heißt Urtümlichkeit und Härte.
Eine Ausnahme hatte die erste LIBERIA gemacht, ein liberianischer Einbaum. Sie war weich wie Butter gewesen; die Insekten hatten sie im Dschungel vor meinen Augen verzehrt, zum Hohn der Chemie mit ihren schädlingsbekämpfenden Produkten. Meinem Hausboy war die brillante Idee gekommen, die Schädlinge auszuräuchern. Er ließ das Feuer schwelen, und diese anstrengende Arbeit setzte ihm so zu, daß er schläfrig wurde. Als ich abends nach Hause kam, stand das Boot lichterloh in Flammen. Und der Boy schnarchte dazu in seiner Kammer – – –
Die LIBERIA II hatte anfangs ähnliche Neigungen gehabt. Da aber war mein Zorn erwacht, und ich hatte sie über den Atlantik geknüppelt.
Auch dieses Boot war ein Einbaum gewesen, das schmalste Schiff der Geschichte, das je ein Meer bezwang. In ihm wollte ich als Arzt brennende Seenotfragen lösen; unter extremsten Bedingungen am eigenen Leib erproben, wie sich ein Schiffbrüchiger physiologisch und psychisch verhalten muß, wenn er überleben will.
Der Einbaum legte 5000 Seemeilen zurück, ohne Unfall. Er erreichte sein Endziel Haïti – was will der Mensch noch mehr?
Man kann nie wissen, was er will. Zu meiner eigenen Überraschung entschloß ich mich, den gleichen Versuch noch einmal zu unternehmen, dieses Mal in einem Serienfaltboot, einem Klepperboot, der LIBERIA III.
Diese zweite Atlantiküberquerung war ebenfalls kein Segelabenteuer, sie war ein medizinisches und darüber hinaus ein psychologisches Wagnis: zum ersten Mal hatte sich hier ein Mensch mit Hilfe des Autogenen Trainings, einer Art Selbsthypnose, auf ein normalerweise undurchführbares Unternehmen vorbereitet, um zu beweisen, daß im Unterbewußtsein ungeheure Kraftreserven schlummern, die bei übermenschlichen Anstrengungen sinnvoll genutzt werden können und zu ganz außergewöhnlichen Leistungen befähigen.
Nach 76 Tagen war ich an meinem Endziel eingetroffen, St. Thomas in der Karibischen See. Fünfzig Pfund hatte ich abgenommen, der Puls war bis auf 32 gesunken, die Gelenke waren etwas versteift, doch konnte ich gehen: ich kletterte allein aus meinem Boot. Erwartet man einen Freudentanz nach diesem grausamsten aller Selbstversuche?
Die Fahrt war ein großer Erfolg – heute werden in den Vereinigten Staaten und in Rußland die Shephards und Gagarins auf ähnliche Weise vorbereitet.
Die LIBERIA III kann sich rühmen, das kleinste Boot zu sein, das je über einen Ozean segelte. Aber ich möchte jeden davor warnen, etwas Ähnliches zu unternehmen. Die Aussichten, lebend drüben anzukommen, sind minimal. Mehr als zehn Jahre hatte ich mich auf diese Fahrt vorbereitet, zweimal zuvor war ich gestartet und wieder umgekehrt. Weltrekorde kann man heute nicht mehr auf Anhieb erringen. Man braucht viel mehr dazu als Mut und guten Willen.
Jetzt lag in Vigo die LIBERIA IV, das seefeste, rundliche Gegenstück ihrer zwei winzigen Vorgänger. Sie war neun Meter lang, 3,20 Meter breit und besaß bei vollen Tanks einen Tiefgang von 1,80 Meter.
Die Bootswerft Heinrich Hatecke in Freiburg an der Niederelbe hatte sie für mich gebaut, die Güldnerwerke versahen sie mit einem Motor. Verschiedene Firmen, das Hydrographische Institut in Hamburg, das Amt für Seeverkehr, das Meteorologische Institut, das Institut für Netz- und Materialforschung, der Germanische Lloyd und nicht zuletzt meine Freunde von der „Seglervereinigung Freiburg“ halfen sie ausrüsten.
Um eine Daumenbreite
In Cuxhaven war die Reise losgegangen, und bald hätte sie dort auch ein Ende gefunden: ein Küstenmotorschiff wollte die LIBERIA IV mit aller Gewalt versenken – am hellichten Tage! Wenn es dem Kapitän der „Niederrhein“ aus Duisburg-Ruhrort nicht geglückt ist, so war das bestimmt nicht sein Verdienst.
Die LIBERIA IV lag am frühen Abend bekalmt1 da, als die „Niederrhein“ von achtern aufkam. Da kein Wind herrschte, hatten wir doppelt das Recht, beachtet zu werden. Der Dampfer kam bedrohlich auf die LIBERIA zu.
Nun wird’s aber Zeit, daß er ausweicht, dachte ich bei mir, mein Mast ist gute zwölf Meter hoch, den muß man doch sehen! Jedoch der Kapitän sah nicht. Es war kein Meter zwischen uns, als wir aneinander vorbeifuhren – die berühmte Daumenbreite!
In der Nordsee gab es dann harte Böen, im Kanal dicke Erbsensuppe und in der Biskaya den üblichen Weststurm. Mir fiel ein, was der deutsche Seglerkönig „Hein Mueck“ erklärt hatte, als ich mich von ihm verabschiedete: „Doktor, das Boot wird Sie nicht im Stich lassen, solange Sie das Boot nicht im Stich lassen.“ Graf Luckner sagte dasselbe anders: „Männer bezwingen Ozeane, nicht Boote!“
In der Biskaya brach die Motorenwelle. Motor und Umsteueranlage waren nicht ausgefluchtet gewesen; der Dorfschmied in Freiburg hatte sich besser auf das Beschlagen von Pferdehufen als auf moderne Motoren verstanden. Bei seinem Sohn wird’s wohl umgekehrt werden, aber solange konnte ich nicht warten.
Bei bestem Zylinderhutwetter warf die LIBERIA IV im nordspanischen Hafen La Coruña schüchtern ihren Anker. Sie hatte Glück im Unglück, denn dort traf sie den „Seefalken“, einen deutschen Hochseeschlepper, dessen erster Ingenieur mir half, Umsteueranlage und Motor millimetergenau auf Vordermann zu bringen. Der „Seefalke“ lag im geschützten Hafen La Coruña und war stets bereit, in Seenot geratene Dampfer aus ihrer mißlichen Lage zu befreien und abzuschleppen.
Allein um Kap Hoorn
Ich lag bereits ein paar Tage in La Coruña, als an einem Spätnachmittag eine schnittige weiße Yacht in den Hafen einlief. Es war die „Les 4 Vents“ von Marcel Bardiaux, der von nichts geringerem als von einer achtjährigen Weltreise zurückkehrte und nun auf dem Wege nach Frankreich war.
Da die Angestellten des Yachtclubs schon Feierabend gemacht hatten, bot ich Bardiaux meine Hilfe an. Wir vertäuten sein zehn Meter langes Boot an der LIBERIA IV und waren bald in Fachsimpeleien vertieft.
Bardiaux ist in Wassersportkreisen als einer der hervorragendsten Segler bekannt. Sein sportlicher Werdegang ist ebenso aufregend, wie seine