Als wir von einem unserer Ausflüge auf St. Croix zu unserer LIBERIA zurückkamen, saß auf der Reling ein brauner Pelikan. Er war so tief in Gedanken versunken, daß er erst verstört aufflog, als wir unmittelbar neben ihm waren. Im Flug glich er einer Witzblattfigur: vorne nichts, in der Mitte ein plumper Körper, auf dem der Hals mit einem langen Schnabel ruht, und achtern auch nichts, es sei denn ein Stummelschwanz.
Überall in den Kariben haben wir Pelikane gesehen. Manchmal gehen sie gemeinsam auf Jagd, indem sie in „Schlachtordnung“ Schulen von Fischen ins seichte Wasser treiben und dann plötzlich mit ihrem gewaltigen Kehlsack, der als Kescher dient, zufassen. Da sie in ihrem Fangsack bis zu 15 Liter Wasser halten können, wird sich wohl so mancher Fisch hineinverirren.
Wir haben sie indes nur aus der Luft jagen sehen. Sie flogen flach über dem Wasser und ließen sich, sobald sie einen fetten Brocken entdeckt hatten, mit geöffnetem Schnabel auf das ahnungslose Opfer fallen. Es gab einen Aufprall, als hätte ein Turmspringer einen Bauchklatscher gemacht, das Wasser spritzte nach allen Seiten, und dann sah man den Schwanz des Vogels wieder aus dem Wasser kommen, gefolgt vom Kopf.
Im Vergleich zum gewandten Tölpel, der die Kunst des Stoßtauchens beherrscht, ist der Pelikan ein tolpatschiger Anfänger. Seine Jungen sind noch häßlicher als die Alten, und sie schreien in ihrer Jugend so viel, daß sie im Alter noch die Ohren voll haben und meist schweigen.
Wieder rüsteten wir zur Weiterfahrt. Ganz entgegen unserer bisherigen Gewohnheit segelten wir dieses Mal bei Tage los und kamen am Abend in dem mir so vertrauten Charlotte Amalie an, dem Hafen von St. Thomas. Kaum war der Anker in die Tiefe gesunken, als auch schon Bekannte an Bord gestiegen kamen.
St. Thomas hat sich in den letzten Jahren immer mehr auf den Fremdenverkehr eingestellt, neue Piers sind errichtet, unzählige Häuser und Hotels aus dem Boden gestampft und sogar neue Straßen angelegt worden. Im Yachtclub wimmelt es von schnittigen Yachten, die den Touristen zur Verfügung stehen.
Deutsche luden uns zu einer Inselrundfahrt ein. Unser erstes Ziel war French-Town im Westen der Bucht. Hier hatten sich vor Jahrhunderten bretonische Fischer von der Insel St. Barts angesiedelt und eine kleine Ortschaft um eine Kirche herum errichtet; sie nannten ihre Siedlung schlicht Carénage, weil sie hier ihre Boote bauten und kielholten. Die Englisch sprechenden Eingeborenen verstanden jedoch nicht, was die braungebrannten Fischer redeten und nannten diesen Ort deswegen „Cha-Cha-Town“, ähnlich ihrem „Cha-Cha-Baum“, der Samenkapseln trägt, die im Winde das lautmalerische Cha-Cha erzeugen.
Auch diese Nachkommen der Bretonen haben sich wie die auf Les Saintes erstaunlich reinrassig gehalten, obwohl ihre Haut manchmal von der Sonne so braun gegerbt ist, daß man Mulatten in ihnen vermuten könnte. Die Alten unter ihnen sprechen noch heute kein Englisch, die Frauen flechten seit altersher Hüte, Körbe und Reusen, während die Jugend heute überall in den Geschäften der Stadt arbeitet und den bunten Kistenhäusern ihrer Eltern einen moderneren Anstrich geben möchte.
Auf der Nordseite der Insel suchten wir nach seltenen Muscheln und badeten in einer geschützten Bucht. Zum erstenmal hatte Niña Zeit und Lust, sich mit dem Unterwasserleben zu beschäftigen, und wenn sie auch nur mit Maske und Schnorchel an kleinen Riffs ihre Tauchversuche unternahm, so war sie doch voller Begeisterung, wie alle, die jemals in den Tropen den Kopf unter Wasser gesteckt haben.
Über das „Mountain-Top-Hotel“ fuhren wir in die herrliche Magens Bay, suchten nach Scherben aus der Zeit der Kariben, schlenderten durch Mangrovenwälder, in denen riesige Landkrabben Vertiefungen in der Größe von Kaninchenlöchern ausgebuddelt hatten und gingen in den Botanischen Garten, in dem afrikanische Affenbrotbäume neben indischen Feigenbäumen standen. – St. Thomas ist ein Paradies für den reichen Touristen. Es bietet ein ideales Klima, tief eingeschnittene, von Palmen umsäumte Buchten, mondäne wie entlegene Strandplätze mit weißem Korallensand und türkisfarbenem Wasser; und von nahezu allen Hotels genießt man eine majestätische Aussicht auf die Nachbarinseln und das Meer. Wer sich die Inselwelt genauer ansehen will, mietet sich eine der vielen Hochseeyachten, die an der neuen Pier des Yachtclubs von St. Thomas in unübersehbarer Zahl darauf warten, die Besucher der Insel an jeden erwünschten Punkt der Antillen oder sogar der Welt zu bringen.
1 Altes Längenmaß der Seeschiffahrt: der zehnte Teil einer Seemeile, also 185,2 m.
ZEHNTES KAPITEL
ES GEHT UM KOPF UND KRAGEN
Kurz vor Mitternacht starteten wir nach San Juan, der Hauptstadt von Puerto Rico. In der engen Virgin Passage stießen wir nachts auf ein seltsames Lichtergewirr, das sich bei näherem Hinschauen als ein Schlepper mit zwei Dampfern erwies, die gerade von einem anderen Dampfer überholt wurden. Zum dritten Male passierte es uns, daß wir auf dieser Fahrt Hochseeschleppern begegneten, ein Beweis dafür, wie wichtig es ist, die Lichterführung genau zu kennen.
Tangwiesen im Ozean
In den Morgenstunden des nächsten Tages holte ich mit dem Kescher Sargassokraut aus dem Meer, schüttete die Krautbüschel über der Plicht aus und ließ Niña von den vielen Garnelen kosten, die aus dem Tang herausfielen. Nach anfänglichem Widerstreben überwand sie sich und probierte die Tierchen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Wohlgeschmack zu loben.
Als ich auf den letzten 500 Seemeilen meiner Faltbootfahrt keine Lebensmittel mehr hatte (bei der ersten Kenterung waren die Konserven aus dem Boot gefallen), waren mir vor allem die köstlich schmeckenden Garnelen von größtem Nutzen gewesen. Aber in diesem gelbbraunen Sargassokraut halten sich nicht nur Garnelen auf, sondern noch viele andere Tiere: Krebse, Schnecken, Fische und wenn auch seltener, Seepferdchen.
Von dem Sargassum-Tang berichtete schon Kolumbus auf seiner ersten Fahrt; seine Matrosen befürchteten nämlich, die Tangwiesen, durch die sie am Ende ihrer Reise segelten, deuteten auf verborgene Klippen, an denen sie zerschellen könnten. Kolumbus ließ daraufhin loten, fand aber keinen Grund.
Das Gebiet in dem das Sargassokraut vorwiegend treibt, das Sargasso-Meer, erstreckt sich als ovales Gebilde zwischen den Jungferninseln im Süden und den Bermudas und Azoren im Norden. Es ist eingekeilt zwischen Golfstrom und Passatgebiet, vergessen von den Strömungen, vernachlässigt von den Winden. Und welche Schauermärchen sind nicht von diesem Sargasso-Meer in Seemannskreisen erzählt worden! Wracks sammelten sich dort, hieß es, Schiffe hätten sich in den Tangwiesen festgefahren! Nun, ich bin einmal mit einem Dampfer durch das ganze Sargasso-Meer gefahren; es ist eine Fahrt wie durch andere Meere auch, mit dem einen Unterschied, daß man überall auf die gelben Tangbüschel stößt. Aber nicht einmal ein Faltboot würde sich in diesen Tanghaufen festfahren können!
Über die Herkunft des Tangs sind sich die Gelehrten nicht einig. Die einen meinen, es stamme von den Küsten, die anderen glauben, es vermehre sich vegetativ im Meer und bekäme keinen Zuwachs durch abgerissenes Küstenkraut. Dann wäre das Sargasso-Kraut also wie eine Amöbe unsterblich; schon Kolumbus’ oder Drakes Schiffe könnten das Kraut gestreift haben, das ich gerade aus dem Wasser geholt hatte.
Seepferdmännchen in Wehen
Obwohl ich etwa zehn Netze voller Sargassokraut aus dem Wasser fischte, förderte ich kein Seepferdchen darin zu Tage. Dafür hatten wir aber schon auf mehreren Inseln kleine Seepferdchen als Andenken erworben. Man findet sie vor allem in ruhigen Gewässern, im Gras und im Tang. Es gibt an die 50 Gattungen, so groß wie ein kleiner Finger und länger als ein ausgewachsener Fuß.
Der Kopf des Seepferdchens sieht tatsächlich wie ein Pferdekopf aus, sein Körper wie der eines mittelalterlichen Panzerpferdes, denn er ist von etwa 50 knochenartigen Ringen umgeben. Im Sargassokraut nimmt das Tierchen eine gelbe Farbe an, im Seegras eine grüne und in der Nähe von bestimmten Korallensträuchern eine flammend rote.
Aufregend verläuft die Brautwerbung, die Tage dauern kann. Das Weibchen verfolgt dabei das Männchen! Auf dem Höhepunkt des Brunsttanzes „umarmen“ sich die beiden; das