„Gottseidank – du bist’s!“ rief sie, als sie mich sah. „Ich habe eine furchtbare Nacht gehabt! Stell’ dir vor, kaum war ich ins Bett gegangen, da rüttelte es an den Türen, polterte es gegen die Fensterläden und plumpste es aufs Dach, daß mir angst und bange wurde. Ich rief nach Josset, aber sie antwortete nicht. Dann habe ich dir mit der Lampe Blinkzeichen gegeben, aber du hast wohl schon geschlafen, und ich hätte den Weg zu dir durch den Dschungel nicht mehr gefunden. Der Spuk ging immer weiter; der Wind heulte, das Meer donnerte zu Füßen dieser verflixten Hütte, und schließlich sprang mit lautem Knarren die Tür am Kopfende des Bettes auf. Da hatte ich endgültig genug. Ich wanderte ruhelos durch das Haus. Der einzige Raum, den man abschließen konnte, war der Duschraum. Dort habe ich mich schließlich auf den Boden gelegt und den Riegel vorgeschoben. Erst als es dämmerte, bin ich wieder ins Bett zurückgeschlichen. Mein Gott, kann eine Nacht lang sein! Da, schau mal hier ins Bett: da wimmelt und krabbelt es nur so von winzigen roten Insekten. Und auch das Bettzeug riecht noch muffiger als bei uns an Bord. Scheußlich, sag’ ich dir!“
Arme, kleine Niña, die sonst so tapfer ist! Und skeptisch. Und nicht an Geister glaubt …
Josset verabschiedete uns: „Sie sahen das Beste und das Schlechteste von Pigeon Island“. Mit dem Schlechtesten meinte sie aber nicht etwa Niñas Erlebnisse, sondern die vielen Touristen, die am Sonntag von Martinique und von Port Cast ries in Yachten angesegelt kamen.
Am Nachmittag segelten wir weiter, den Schatz hatte ich nicht entdecken können, und das war gut so, sonst hätte Pigeon Island doch eine seiner vielen Attraktionen verloren.
Die letzten Indianer
In der Nacht segelten wir an Martinique vorbei, das einer der großen Knotenpunkte des Karibischen Touristenverkehrs ist. Doch Niña kannte es schon. Wir hatten uns als nächstes Ziel das urwüchsige, regenreiche Dominica ausgesucht; nachmittags liefen wir am Nordwestende dieser Insel in die riesige Prinz Rupert-Bay ein und warfen vor dem halb verfallenen Dorf Portsmouth Anker.
Als wir uns der Mole näherten, rief eine Schar von Kindern, schon bevor wir aussteigen konnten, mit ausgestreckter Hand nach „Pennies“. Das erstaunte uns, weil Dominica die fruchtbarste der Westindischen Inseln ist und dazu noch, im Gegensatz zu den anderen Inseln, unterbevölkert. Alles wächst in Dominica, ob man düngt oder nicht, ob man den Boden pflegt oder sich selbst überläßt – man braucht nur wenig zu arbeiten, um ernten zu können.
Portsmouth ist ein sauberer Ort, dessen Häuser jedoch an Skorbut zu leiden scheinen, denn überall fehlen Ziegel, Bretter oder Fensterscheiben. Wir waren nach Portsmouth gekommen, um von hier aus zu dem berühmten Indianerreservat zu gelangen, das auf der Ostseite der Insel liegt und nur sehr mühselig zu erreichen ist. Nach langem Suchen fanden wir schließlich den Sohn des Drogisten, der gegen hohe Entlohnung bereit war, uns bis in die Nähe eines neu erbauten Flugplatzes zu fahren, von wo aus wir laufen wollten. Unser Führer war ein Schwarzer, dessen Wurzeln nach Afrika wiesen. In der Neuen Welt leben rund 50 Millionen Menschen afrikanischer Abstammung.
Wissenschaftler haben auf den Antillen die verschiedensten afrikanischen Kulturkreise abgrenzen können: Einflüsse der Fanti-Aschanti-Kultur aus der Goldküste, dem heutigen Ghana, lassen sich auf den ehemals britischen Antillen nachweisen; auf den französischen Inseln dominieren Kultureinflüsse aus Dahome, und auf den spanischsprechenden findet man vorwiegend Sitten und Gebräuche, deren Ursprungsland Nigeria ist.
Ohne die Sklavenimporte nach der Neuen Welt wäre der wirtschaftliche Aufschwung in Amerika nicht denkbar gewesen; das Wohlergehen ganzer Länder basierte auf der billigen Arbeitskraft der Afrikaner, Industriezweige blühten auf, die neue Naturprodukte verarbeiteten: Zuckerrohr und Baumwolle, in kleinem Maße auch Tabak und Indigo.
Bereits ein Menschenalter nach der Entdeckung Amerikas waren die Indianer auf einigen Karibischen Inseln nahezu ausgestorben, geflohen oder gefangen und in die Bergwerke und Plantagen der Spanier abtransportiert. Da wollte der spanische Bischof Las Casas der zum Aussterben verurteilten Rasse helfen und empfahl, Afrikaner zur Arbeit heranzuziehen. Er hat diese gutgemeinte Empfehlung später bitter bereut.
In unserer heutigen Zeit kann man den Sklavenhandel mit seinen schändlichen Auswüchsen nicht mehr so recht verstehen, zieht man nicht in Betracht, daß in Europa noch Feudalsysteme herrschten und die meisten Menschen der ländlichen Bevölkerung Leibeigene waren, als sich die Portugiesen dem afrikanischen Sklavenhandel zu verschreiben begannen. Später stiegen die Spanier und vor allem die Briten ganz groß in das Sklavengeschäft ein.
Nicht sehr bekannt ist auch, daß es im 17. Jahrhundert oft mehr Todesfälle auf den Auswanderschiffen als auf den Sklavenschiffen gab. Die Kapitäne der einen Schiffe erhielten für jeden heil herübergebrachten Afrikaner ein Handgeld, die der anderen sparten das Verpflegungsgeld der an Bord gestorbenen Emigranten! Was haben die königlich privilegierten Pfeffersäcke aus England, aber auch aus Neuengland, nicht für Geld mit dem schwarzen Elfenbein verdient! Erst als sich damit keine rechten Geschäfte mehr machen ließen, schafften sie den Sklavenhandel ab – und ernteten sogar noch Applaus dafür, weil die Spanier und Portugiesen in kleinem Rahmen weitermachten.
Die letzten Ureinwohner der Antillen-Inseln, die Kariben-Indianer, deren Nachkommen wir nun aufsuchen wollten, hatten sich auf einigen der Inseln verzweifelt gegen die europäischen Eindringlinge gewehrt. Wer von ihnen nicht im Kampfe fiel oder Selbstmord beging, erlag meist den Krankheiten, die von der Alten Welt in die Neue eingeschleppt wurden. Tuberkulose, Pocken und Malaria forderten viel mehr Opfer als die Feindseligkeiten. Heute findet man nur noch selten auf den Karibischen Inseln ein Gesicht, in dem sich indianische Züge entdecken lassen. Auf Dominica jedoch gibt es ein Reservat, ein „Naturschutzgebiet“ für Indianer.
Da wir erst am späten Morgen eine Transportmöglichkeit gefunden hatten, mußten wir uns beeilen, wollten wir noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein. Auf einem primitiven Weg ging es bergauf und bergab, bald durch Morast, bald über vulkanisches Gestein, mal unter Mangobäumen hindurch, dann wieder in der grellen Mittagssonne. Wir dampften, die Hemden klebten an der Haut. Fragten wir in einer Hütte, ob das Dorf der Kariben nicht endlich bald käme, hieß es stets: „Hinter dem nächsten Berg!“
Dann stießen wir auf eine Gruppe von Indianern, die aus einem Gummibaum einen Einbaum geschlagen hatten und ihn nun durch Aufsetzen einer Planke zu einer echten indianischen Piroge umbauen wollten. Gedichtet wurde mit Asphalt, die Breite des Bootes etwas erweitert, indem man Wasser hineinschüttete und die Bordwände mit Hilfe von Querstäben dehnte.
Keiner dieser Indianer war reinblütig, alle hatten sie einen Schuß afrikanischen Blutes in ihren Adern. In ihrer Nähe wuschen und badeten Frauen und Kinder, die vorwiegend indianisch aussahen, aber trotzdem von fremden Blutbeimengungen nicht frei waren. Erst als wir in dem Dorf Salybia auf den neugewählten König stießen, hatten wir einen reinrassigen Indianer vor uns.
Bretterbude als Königspalast
Der König des Reservates war gerade erst vor wenigen Wochen gewählt worden und wartete noch auf die Bestätigung seiner Würde durch die Engländer. Von königlicher Haltung war bei ihm nichts zu sehen, er war ein junger, schüchterner und verlegener Mann, der außer seiner Reinblütigkeit nichts Königliches an sich hatte. Seiner Hütte gegenüber lag der kleine Krämerladen seines Onkels, in den wir ihn zu einem Drink einluden.
Mehrere hundert Indianer, meist Mischlinge, leben in dem Reservat und verdienen sich durch Landwirtschaft und Ackerbau ihren Unterhalt. Die Königshütte – sie wurde durch große Balken gestützt – bestand aus zwei Räumen: einem Schlafzimmer mit einem Doppelbett, einem Schrank und einem Stuhl, und einem Wohnzimmer, in dem ein Tisch und zwei Stühle standen. Alle Wände waren mit Bildern, zum Teil aus Zeitungen ausgeschnitten, beklebt. Eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm und einem halben Dutzend Kinder am Rockzipfel stellte uns der König später als seine Schwester vor. Wie ihr Bruder war auch sie ein weicher, pastöser, blasser Typ, den man geographisch in den koreanischen Raum einordnen möchte. Eine andere Schwester des Königs arbeitete als Hausmädchen in Guadeloupe.
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