Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659820
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ohne Zahl und Ende zerwühlte Staat, während man, eben ein wenig zur Ruhe gekommen, auf die Rückkehr der zur Entlehnung von Gesetzen nach Athen abgeordneten Gesandten wartete, durch schwere Hungersnot und Pest verheert wurde? Wo waren sie, als das Volk, wiederum während einer Hungersnot, den ersten Marktvorstand wählte und Spurius Mälius, der bei Zunahme der Hungersnot Getreide an die hungernde Menge austeilte, dadurch in den Verdacht kam, nach der Königswürde zu streben, und auf Betreiben des Marktvorstandes und auf Befehl des altersschwachen Diktators L. Quintius von dem Reiteroberst Quintus Servilius ermordet wurde, worauf eine heftige und gefährliche Gährung unter der Bürgerschaft erfolgte? Wo waren sie, als das vielgeplagte Volk beim Ausbruch einer furchtbar wütenden Pest den unnützen Göttern Polstermahle darbringen zu sollen glaubte, eine neue, noch nie dagewesene Einrichtung? Es wurden dabei zu Ehren der Götter Polster ausgebreitet; daher der Name dieses Gottesdienstes oder vielmehr dieser Gottesschändung. Wo waren sie, als das römische Heer zehn Jahre hintereinander unglücklich kämpfte vor Veji und eine schwere Niederlage nach der andern erlitt, bis endlich Furius Camillus rettend eingriff, den nachmals die undankbare Bürgerschaft verurteilte? Wo waren sie, als die Gallier Rom einnahmen, plünderten, in Brand steckten und mit Erschlagenen über und über bedeckten? Wo waren sie, als das berüchtigte Pestjahr die ungeheure Verheerung anrichtete, deren Opfer auch Furius Camillus wurde, welcher den undankbaren Staat früher gegen die Vejenter verteidigt hatte und nachmals an den Galliern rächte? In dieser Pestzeit veranlaßten sie die Einführung der szenischen Spiele und brachten damit eine neue und andere Pest, zwar nicht über die Leiber, wohl aber — was weit verderblicher ist — über die Sitten der Römer. Wo waren sie, als abermals eine schlimme Pest hereinbrach, wie man glaubte durch Giftmischerei von Frauen, deren über Erwarten viele, und zwar aus vornehmen Häusern in einem sittlichen Zustand erfunden wurden, der der schlimmsten Pest spottete? oder als beide Konsuln mit ihrem Heere von den Samnitern in den caudinischen Pässen eingeschlossen und genötigt wurden, mit dem Feinde einen schmählichen Vertrag zu schließen, der sechshundert römische Ritter zu Geißeln machte und den Rest ohne Waffen, ohne Oberkleid, nur mit je einem Gewande am Leibe, unter das Joch der Feinde zwang? oder als, während die übrige Bevölkerung unter schwerer Pest zu leiden hatte, auch im Heere viele durch Blitzschlag den Tod fanden? oder als sich Rom, wiederum zur Zeit einer unleidlichen Pestseuche, den Äsculap als vermeintlichen Heilgott von Epidaurus zu berufen und beizuziehen gezwungen sah, wohl deshalb, weil Jupiter, der König aller Götter, der schon lang auf dem Kapitol seinen Sitz aufgeschlagen hatte, in seiner Jugend vor Liebesabenteuern nicht zum Studium der Medizin gekommen war? oder als die Lucaner, Bruttier, Samniter, Etrusker und die senonischen Gallier gleichzeitig als verbündete Feinde auftraten, zunächst die Gesandten erschlugen, dann ein ganzes Heer mit seinem Prätor, mit sieben Tribunen und 13.000 Soldaten vernichteten? oder als nach langen und schweren städtischen Unruhen, die zuletzt zu feindseliger Auswanderung der Plebejer auf den Janiculus führten, das Unheil so drohend wurde, daß man mit Rücksicht darauf einen Diktator wählte, ein Schritt, zu dem man sich nur bei äußerster Gefahr entschloß, und zwar in der Person des Hortensius, der nun, nach Zurückführung der Plebejer, in seinem Amte starb, was bisher unerhört war und den Göttern um so mehr zum Schimpfe gereichte, als doch Äsculap schon da war? Hernach mehrten sich allenthalben die Kriege so sehr, daß die Proletarier — so genannt, weil sie, wegen Armut zum Kriegsdienst unfähig, durch Erzeugung von Nachkommenschaft [proles] ihren Beruf erfüllten, zum Kriegsdienste ausgehoben wurden. Auch Pyrrhus, König von Griechenland, damals mit höchstem Ruhm gefeiert, trat, von den Tarentinern zu Hilfe gerufen, als Feind der Römer auf. Ihm verkündete allerdings Apollo auf die Anfrage über den Ausgang des Unternehmens echt diplomatisch einen so zweideutigen Orakelspruch, daß er, mochte es so oder anders gehen, immer als Seher gelten mußte [er sprach nämlich: „Pyrrhus wird Rom besiegen können“] und demnach, ob Pyrrhus von den Römern besiegt würde oder umgekehrt, ohne Gefahr für seinen Seherruf die Entscheidung nach der einen oder andern Seite abwarten konnte. Welch entsetzliches Blutvergießen folgte dann auf beiden Seiten! Doch behielt Pyrrhus „die Oberhand und hätte schon beinahe Apollos Sehergabe in dem für ihn günstigen Sinne rühmen können, wenn nicht alsbald die Römer in einem zweiten Treffen Sieger geblieben wären. Und mitten im Wüten des Krieges brach auch noch eine schwere Seuche unter den Weibern aus; sie starben in schwangerem Zustand, bevor sie die reife Frucht zur Welt brachten. Da wird sich wohl Äsculap damit entschuldigt haben, daß er nicht Hebamme, sondern Oberarzt sei von Beruf. Auch das Vieh ging unter ähnlichen Umständen zugrunde, so daß man schon glaubte, das animalische Leben werde aussterben. Und wie? wenn jener denkwürdige, unglaublich strenge Winter, bei dem der Schnee selbst auf dem Forum vierzig Tage lang furchtbar hoch lag und der Tiberfluß von Eis starrte, in unsere Zeiten gefallen wäre, was würde man sagen, wie voll den Mund nehmen? Wie? abermals eine entsetzliche Pest, lange wütend, unzählige dahinraffend! Als sie sich mit erneuter Heftigkeit ins zweite Jahr hinzog, ohne daß Äsculaps Gegenwart etwas geholfen hätte, wandte man sich an die sibyllinischen Bücher. Bei dieser Art von Orakel glaubt man gemeinhin, wie Cicero in seinem Werke über die Weissagung erwähnt[171] , eigentlich den Auslegern, die das Zweifelhafte deuten, wie sie können oder wollen. Damals wurde als Ursache der Pest angegeben, daß sehr viele heilige Gebäude in den Händen von Privatleuten seien; so ward Äsculap einstweilen von dem schweren Vorwurfe der Unkenntnis oder der Untätigkeit entlastet. Aber warum waren diese Gebäude vielfach mit Beschlag belegt worden, ohne daß jemand es hinderte? Doch nur deshalb, weil man sich an den Troß der Gottheiten lang genug ohne Erfolg gewendet hatte und so die Stätten allmählich von den Verehrern verlassen wurden, so daß sie als leere Stätten ohne jeden Anstoß doch eben zum Gebrauch der Menschen in Anspruch genommen werden konnten. Sie wurden ja auch, nachdem sie damals zur vermeintlichen Verscheuchung der Pest sorgsam zurückgefordert und erneuert worden waren, später neuerdings ebenso vernachlässigt, ihrem Zweck entfremdet und kamen in Vergessenheit; sonst hätte man es nicht der großen Gelehrsamkeit Varros zuschreiben können, daß er in dem Abschnitt über die heiligen Gebäude so viele unbekannte erwähnt. Allein es war nun wenigstens, wenn auch nicht für die Verscheuchung der Pest, so doch für eine artige Entschuldigung der Götter gesorgt.

       18. Die schweren Verluste, die die Römer durch die punischen Kriege trafen, ohne daß die Götter ihr Flehen um Schutz erhörten.

      

      Nun erst in den punischen Kriegen, als zwischen den beiden Reichen der Sieg lang ungewiß hin- und herschwankte und zwei sehr starke Völker mit äußerster Tapferkeit und Machtentfaltung einander bekämpften, wieviele kleinere Reiche wurden da zertrümmert, welch ansehnliche und vornehme Städte wurden zerstört, wieviele Gemeinwesen bedrängt, wieviele zugrunde gerichtet! Wie oft wurden die Sieger, bald die Römer, bald die Punier, wieder geschlagen! Welch ungeheures Menschenmaterial wurde verbraucht, sowohl an Soldaten in Waffen als auch an Bevölkerung, die keine Waffen führt! Welche Unzahl von Schiffen sodann wurde in den Seegefechten vernichtet oder durch Unwetter aller Art in den Grund versenkt! Wollte ich den Versuch machen, alles zu erzählen und zu erwähnen, so wäre auch ich eben ein Geschichtsschreiber. Damals nahm der römische Staat, von mächtiger Furcht durchfiebert, zu eitlen und lächerlichen Abhilfen seine Zuflucht. Auf Befehl der sibyllinischen Bücher erneuerte man die Säkularspiele, deren Feier von hundert zu hundert Jahren angeordnet gewesen, aber in glücklicheren Zeiten in Vergessenheit geraten und ausgefallen war. Die Priester führten auch heilige Spiele zu Ehren der Unterweltgötter wieder ein, die ebenfalls in den vorangegangenen besseren Jahren außer Gebrauch gekommen waren. Natürlich verlangte es damals bei der Erneuerung auch die Unterwelt, ihre Spiele zu haben, da sie mit einer solchen Schar von Toten bevölkert wurde, während doch wahrhaftig die armen Menschen schon in den wütenden Kämpfen und den blutigen Feindseligkeiten und den verlustreichen beiderseitigen Siegen den Dämonen großartige Spiele und der Unterwelt einen fetten Schmaus darbrachten. Kein Ereignis aber im ganzen ersten punischen Krieg war beklagenswerter als jene Niederlage der Römer, deren Folge die Gefangennahme des Regulus war, dessen wir schon im ersten und zweiten Buch[172] gedacht haben, eines wirklich großen Mannes, des Besiegers und Bändigers der Punier, der auch den ersten punischen Krieg zu Ende geführt hätte, wenn er nicht aus übertriebener Ehr- und Ruhmsucht den erschöpften Karthagern allzu harte und unannehmbare Bedingungen auferlegt hätte. Wenn die ganz unerwartete Gefangennahme dieses Mannes, seine ganz unverdiente Knechtschaft, seine Schwurtreue bis zum äußersten und sein