Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659820
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       16. Die Ereignisse unter den ersten Konsuln, von denen der eine den andern verbannte und bald darauf, mit schrecklichen Morden beladen, an der Wunde, die ihm ein verwundeter Feind beibrachte, zugrunde ging.

      

      Lassen wir nunmehr auch die Zeit an unsern Augen vorüberziehen, da nach Sallusts[163] Worten „Recht und Billigkeit herrschte, solange bis die Furcht vor Tarquinius und der gefährliche Krieg mit Etrurien ein Ende nahm“. Solang nämlich die Etrusker dem Tarquinius bei dem Versuche, wieder zur Herrschaft zu gelangen, ihre Unterstützung gewährten, wurde Rom durch einen schweren Krieg erschüttert. Deshalb — also unter dem Druck der Furcht, nicht aus Liebe zur Gerechtigkeit — sei das Staatswesen, sagt er, nach den Forderungen von Recht und Billigkeit geleitet worden[164] . Eine kurze Spanne Zeit, und doch wie unheilvoll war das Jahr, in welchem nach Abschaffung der Königsgewalt die ersten Konsuln gewählt wurden! Brachten sie doch ihr Jahr gar nicht zu Ende. Denn Junius Brutus vertrieb seinen Amtsgenossen Lucius Tarquinius Collatinus aus Amt und Stadt; bald hernach fiel er selbst im Kampfe, seinen Feind[165] im Tode mitreißend, nachdem er früher schon seine eigenen Söhne und die Brüder seiner Gemahlin hatte hinrichten lassen, weil er in Erfahrung gebracht hatte, daß sie sich zur Wiedereinsetzung des Tarquinius verschworen hatten[166] . Vergil[167] hat nachmals dieses Vorkommnis rühmend erwähnt und sich im selben Atemzuge mit Rührung darüber entsetzt. Zuerst sagt er:

      „und die Söhne, die Stifter neuer Empörung,

      Wird der Vater fürs Heil der Freiheit mit Strafe belegen“,

      um gleich darauf auszurufen:

      „Ach der Unsel'ge, wie über die Tat auch künftig die Welt denkt“.

      Wie immer die Nachwelt, meint er, diese Begebenheiten betrachtet, d. h. so sehr man sie auch rühmen und preisen möge, wer seine eigenen Söhne dem Tod überliefert hat, ist unselig. Und er fügt wie zum Troste für den Unseligen bei:

      „so siegt doch

      Liebe zum Vaterland und die überschwängliche Ruhmgier“.

      Scheint es nicht, als ob an diesem Brutus, der seine Söhne in den Tod sandte und seinen von ihm durchbohrten Feind, den Sohn des Tarquinius, selbst von diesem durchbohrt, nicht überlebt hat, während der alte Tarquinius ihn überlebte, die Schuldlosigkeit seines Amtsgenossen Collatinus gerächt worden sei, dieses trefflichen Bürgers, den nach der Vertreibung des Tarquinius dasselbe Los getroffen hat wie den Tyrannen Tarquinius? Soll ja Brutus ebenfalls zu Tarquinius blutsverwandt gewesen sein. Aber auf Collatinus lastete eben die Gleichheit des Namens, da auch er Tarquinius hieß. Nun so hätte man ihn drängen sollen, den Namen zu wechseln, nicht aber das Vaterland aufzugeben; und schließlich hätte in seinem Namen dieses Wort einfach weggelassen und er bloß L. Collatinus genannt werden sollen. Aber was ihm ohne irgend eine Einbuße hätte entzogen werden können, wurde ihm deshalb nicht entzogen, damit der erste Konsul seiner Würde und ein trefflicher Bürger des Bürgerrechtes verlustig gehe. Ist das auch „Ruhm“, die fluchwürdige und für den Staat ganz nutzlose Ungerechtigkeit des Junius Brutus? Hat ihn auch hiezu verleitet „Liebe zum Vaterland und die überschwengliche Ruhmgier“? Schon war doch der tyrannische Tarquinius vertrieben, da wurde als Konsul zugleich mit Brutus gewählt L. Tarquinius Collatinus, der Gemahl der Lucretia. Wie richtig benahm sich das Volk, daß es auf die bürgerlichen Tugenden des Mannes sah, nicht auf seinen Namen! Und wie ruchlos handelte Brutus, daß er seinem Genossen in diesem ersten und neuen Amte, dem er doch bloß den Namen zu entziehen brauchte, wenn er an diesem Anstoß nahm, das Vaterland und die Würde entzog! Und zu einer Zeit geschahen diese schlimmen Dinge und traten diese unheilvollen Ereignisse ein, da im Staate „Recht und Billigkeit herrschte“. Lucretius sodann, der an des Brutus Stelle nachgewählt wurde, starb noch vor Ablauf des Jahres. So brachten endlich P. Valerius, der Nachfolger der Collatinus, und M. Horatius, der für den verstorbenen Lucretius nachgewählt worden war, dieses Unglücks und Schreckensjahr hinaus, das fünf Konsuln gehabt. Unter solchen Auspizien führte Rom die konsularische Würde und Amtsgewalt in sein Staatsleben ein.

      

       17. Roms Heimsuchungen nach Einführung der konsularischen Gewalt und die Gleichgültigkeit der Götter dabei.

      

      Nachdem dann die Furcht etwas nachgelassen hatte — nicht als hätten die Kriege aufgehört, aber sie lasteten nicht mehr so schwer auf dem Volke — und damit die Zeit zu Ende gegangen war, in der „Recht und Billigkeit herrschte“, trat ein, was Sallust[168] kurz in die Worte zusammenfaßt: „Hernach plagten die Patrizier das Volk durch herrisches Wesen, verfügten über Leib und Leben geradeso wie die Könige, vertrieben die Leute von ihrer Scholle und führten allein unter Ausschluß der Übrigen das Regiment. Da sich das Volk durch diese Grausamkeiten und vorab durch Wucher schwer bedrückt fühlte, während es doch bei den beständigen Kriegen die Last der Steuern und des Kriegsdienstes mitzutragen hatte, griff es zu den Waffen und besetzte den heiligen Berg und den Aventin; damals erwarb es sich den Volkstribunat und andere Rechte. Erst der zweite punische Krieg setzte den Zwistigkeiten und dem Kampfe ein Ziel.“ Wozu soll ich also viele Zeit opfern mit der Darstellung und den Lesern ein gleiches Opfer zumuten? Sallust hat ja in Kürze darauf hingewiesen, wie traurig es um dieses Gemeinwesen stand, da in einem so langen Zeitraum, die vielen Jahre bis zum zweiten punischen Krieg[169] , Kämpfe nach außen ebenso wie innere Zwistigkeiten und Bürgeraufstände eine fortwährende Beunruhigung hervorriefen. Demnach waren die erfochtenen Siege keine wahren Freuden von Glücklichen, sondern leerer Trost für Unglückliche und verführerische Lockungen für rast- und ruhelose Leute, immer wieder neue Leiden auf sich zu nehmen, ohne einen Gewinn daraus zu ziehen. Mögen wir edle und einsichtige Römer diese Äußerungen nicht verübeln; ich brauche sie darum freilich nicht zu bitten und zu mahnen; denn es ist ganz ausgeschlossen, daß sie grollen. Denn was ich da sage, ist weder im Ton noch dem Inhalte nach unangenehmer als das, was ihre Schriftsteller sagen, nur daß ich in der Kunst der Darstellung und in der verfügbaren Muße weit hinter diesen bleibe; und sie haben sich seinerzeit abgemüht, diese Mitteilungen ihrer Schriftsteller dem Gedächtnis einzuprägen, und halten auch ihre Söhne dazu an. Die mir aber grollen, wie würden sie mich ruhig hinnehmen, wenn ich mich der Worte des Sallust bediente? „Es entstanden“, sagt er[170] „sehr häufig Wirren, Aufstände und zuletzt Bürgerkriege, veranlaßt dadurch, daß einige Mächtige, denen ein großer Teil der Bevölkerung anhing, unter dem Deckmantel der Patrizier- oder der Volksinteressen nach der Herrschaft strebten; und bald unterschied man gute und schlechte Bürger nicht nach Verdiensten um das Gemeinwesen — es waren eben alle ohne Unterschied sittlich verkommen —, sondern wer das größte Vermögen besaß und durch unrechtmäßige Mittel zu bedeutender Macht gelangt war, wurde für einen guten Bürger erachtet, weil er für die Erhaltung des jeweiligen Zustandes eintrat.“ Wenn es nun diese Geschichtsschreiber für eine Pflicht edlen Freimutes hielten, die Übelstände im eigenen Staat, den sie oft genug in hohen Tönen zu rühmen sich veranlaßt glaubten, rückhaltlos anzuerkennen, obwohl sie einen anderen, wahrhaften Staat, in welchen Bürger für die Ewigkeit Aufnahme finden sollen, nicht kannten, was liegt uns, deren Freimut umso größer sein muß, je besser und sicherer unsere Hoffnung auf Gott ist, zu tun ob, wenn man das gegenwärtige Unheil unserm Christus zuschreibt, um schwache und ungebildete Geister dem Staate zu entfremden, der allein ewiges und seliges Leben gewährt? Und doch bringen wir auch gegen ihre Götter keine ärgeren Dinge vor als wiederum ihre Schriftsteller, die sie lesen und rühmen; sie sind unsere Quellen, nur daß wir sie weder ganz auszunützen noch in der Form zu erreichen imstande sind.

      Wo also waren diese Götter, die vermeintlich wegen des armseligen und trügerischen irdischen Glückes verehrt werden müssen, wo waren sie, da die Römer, denen sie ihre Verehrung in gleißnerischer Arglist aufdrängten, von solchem Mißgeschick heimgesucht wurden? Wo waren sie, als der Konsul Valerius bei der Verteidigung des von Verbannten und Sklaven erstiegenen Kapitols das Leben lassen mußte und die Sache so stand, daß er leichter den Tempel