Schlagartig durchschoss Mr. Moore der entsetzliche Gedanke, dass er ja selbst die Tür hinter sich verriegelt hatte, als er in Jacks Zimmer eingetreten war.
Er hörte noch, wie der Diener mehrmals klinkte und schließlich fortging, dann fiel Mr. Moore in tiefe Ohnmacht. –
Inzwischen genoss Jack in vollen Zügen das erschlichene Glück, nun doch in der Musikhalle sein zu können. Er war noch rechtzeitig in das Vergnügungslokal gekommen; die Vorführung mit Ajax begann erst.
Jack nahm einen Logenplatz und lehnte sich in atemloser Spannung über das Geländer. Seine Augen waren weit geöffnet und verfolgten staunend jede Bewegung des großen Affen. Der Dompteur bemerkte bald den Jungen mit dem hübschen Gesicht, der so ganz Feuer und Flamme für den Affen zu sein schien. Nun gehörte es zu den Glanzleistungen des Affen, dass er gewöhnlich während der Vorstellung eine oder mehrere Logen betrat und dort offenbar nach einem lange vermissten Bekannten suchte, wie der Dompteur jedes Mal erklärend vorausschickte. Der Mann nahm sich diesmal fest vor, den Affen in die Loge mit dem hübschen Jungen zu schicken, der zweifellos zu Tode erschrecken würde, wenn der zottige, wuchtige Affenkoloß so nahe an ihn heranrückte.
Als dann schließlich der Affe die Schwingschaukel verließ, und Beifallsstürme eine Wiederholung oder Zugabe heischten, lenkte der Dompteur die Aufmerksamkeit des Affen auf den Jungen, der zufällig als einziger in seiner Loge saß. Mit einem Satz sprang der große Menschenaffe von der Bühne zu dem Jungen. Doch wenn der Dompteur sich auf eine komische Szene gespitzt hatte, die durch die Todesangst des Knaben besonders gewürzt werden sollte, hatte er sich gewaltig geirrt. Ein Lächeln hellte die Züge des Jungen auf, als er seine Hand auf den zottigen Arm seines Besuchers legen konnte; der Affe fasste sein Gegenüber bei beiden Schultern und forschte mit ernsten, fast durchbohrendem Blick lange in dessen Gesicht, während der Junge den Kopf streichelte und mit leiser Stimme auf ihn einredete.
Niemals hatte Ajax jemanden so lange gemustert wie jetzt. Er schien zwar ein wenig unruhig, aber nicht im Geringsten gereizt, murmelte dem Jungen irgendetwas Unverständliches zu und liebkoste ihn dann, wie der Dompteur es nie bei Ajax mit einem anderen Wesen erlebt hatte. Schließlich kletterte der Affe in die Loge hinein und schmiegte sich dort dicht an den Jungen. Das Publikum war begeistert, und der Jubel wuchs erst recht, als der Dompteur, da die für die Vorführung des Ajax bestimmte Zeit verstrichen war, den Affen aus der Loge herauslocken wollte, und das Tier darauf einfach nicht reagierte.
Der Direktor, wütend ob dieser Störung seines Programms, ließ dem Dompteur sagen, er solle sich mehr beeilen. Doch als dieser nun die Loge betrat, um den widerspenstigen Ajax herauszuzerren, wurde er mit weitgeöffnetem Rachen und drohendem Geknurr empfangen.
Das Publikum raste vor Entzücken. Der Affe wurde mit Beifallsstürmen überschüttet, man jubelte dem Jungen zu und ließ Spott und Hohn auf den Dompteur und den Direktor niederprasseln, der unglücklicherweise auch noch vor das erregte Publikum getreten war, um dem Tierbändiger beizustehen.
Schließlich wusste der Dompteur vor Verzweiflung keinen anderen Ausweg, als sich die Peitsche aus seiner Garderobe zu holen; denn so viel war ihm klar, dass diese offensichtliche Widerspenstigkeit das wertvolle Tier für künftige Schaustellungen unmöglich machte, wenn er sich nicht auf der Stelle Gehorsam erzwang. Er kehrte also mit der Peitsche in die Loge zurück, doch, als er Ajax damit nur einmal drohte, musste er sich im selben Augenblick auch schon zwei wütenden Feinden gegenübersehen: Der Junge war aufgesprungen, hatte einen Stuhl gepackt und stand kampfeslustig neben dem Affen – bereit, seinen Freund zu verteidigen. Kein Lächeln spielte mehr auf seinem schönen Antlitz, in seinen grauen Augen flackerte ein unbestimmtes Etwas und machte den Dompteur unsicher. Neben ihm stand der riesige Menschenaffe, brummend und nicht minder kampfbereit. Was bei dem geringsten Anzeichen eines offensichtlichen Angriffs geschehen musste, mag sich jeder selbst ausmalen. Dass der Dompteur auf jeden Fall gehörig durchgebleut worden wäre, wenn es damit überhaupt abging, war bei der Haltung seiner beiden Gegner mehr als klar.
*
Der Diener war leichenblass, als er in das Greystoksche Bibliothekzimmer hineinstürzte und meldete, dass er die Tür zu Jacks Zimmer verschlossen gefunden habe. Mit zitternder Stimme berichtete er weiter, er habe auf sein wiederholtes Anklopfen und Rufen keine Antwort bekommen. Es sei nur ein ganz eigenartiges Pochen vom Zimmer her zu vernehmen gewesen, und dann habe es so geklungen, als bewege sich ein Körper unten auf dem Fußboden.
Lord Greystoke nahm vier Stufen auf einmal, als er die Treppe zum oberen Korridor hinaufstürmte. Die Lady und der Diener folgten in größter Eile. Der Lord rief seinen Sohn einmal laut bei seinem Namen, und, als keine Antwort kam, warf er sich mit der ganzen Wucht seines Körpers und unter Einsatz aller seiner Muskeln, die nicht das geringste von ihrer alten Kraft eingebüßt hatten, gegen die schwere Tür. Krachend barsten die Eisenteile, das Holz splitterte in großen Fetzen auseinander, und das »Hindernis« flog nach innen und deckte dumpf dröhnend Mr. Moore, der noch immer bewusstlos dicht hinter der Tür lag.
Tarzan sprang hinein, und im nächsten Augenblick flutete das grelle Licht von einem halben Dutzend elektrischer Lampen durch das Zimmer.
Es dauerte immerhin einige Minuten, bis man den Lehrer entdeckt hatte, da er unter den Trümmern der Tür nahezu völlig verschüttet lag. Man zog ihn hervor, befreite ihn aus seinen Leinenfesseln und entfernte den Knebel aus dem Munde. Durch reichliche Kaltwasserumschläge wurde