„Dann zeig doch mal, was du dir da mit Tinte auf den Arm gemalt hast!“
Heide wurde puterrot und schlug die Arme in Abwehr fest übereinander.
„Du willst nicht? Auch gut! Ich kann es genau so gut beschreiben …
„Das ist eine Gemeinheit!“ Heide stiegen Tränen in die Augen.
„Aber du darfst von mir behaupten, daß ich für Ben Simon schwärme, ja? Du darfst dir alles erlauben! Aber wenn ich dir mit gleicher Münze heimzahlen will …“
„Was hat sie sich denn nun wirklich auf den Arm gemalt?“ wollte Jochen wissen.
Ursel kicherte. „Ein großes Herz …“
„Sei still!“ schrie Heide. „Sonst spreche ich nie mehr ein Wort mit dir!“
„Und drinnen steht: ‚I love Ben Simon!“’ fuhr Ursel unbarmherzig fort.
„Wenn das wirklich wahr ist“, sagte Axel langsam, „dann bist du mindestens so verruckt wie Klaudia!“
Heide sprang auf. „Nein, bin ich nicht. Für mich ist es nur ein Spaß … ja, nichts weiter, das kann ich auch beweisen, denn sonst hätte ich meine Party doch nicht gerade auf den Samstag gelegt!“
„Vielleicht hast du jetzt erst erfahren, daß dein Ben da im Fernsehen auftritt?“ rief Rainer dazwischen.
Heide ging gar nicht darauf ein, „Ich gebe ja zu, daß ich ihn süß finde“, sagte sie, „was ist schon dabei?“ Sie wandte sich an die Jungen. „Er ist wirklich ein süßer Boy, das muß ich euch schon sagen, auch wenn ihr platzt. Aber schwärmen für den … nee, das kommt bei mir nicht in die Tüte. Ich bin nicht so verrückt wie Klaudia.“
„Mir scheint, ihr habt alle beide ’ne Meise“, sagte Axel, „möchte bloß mal wissen, was ihr an dem albernen Fatzken süß findet.“
„Er ist überhaupt nicht süß“, sagte Klaudia, „einen süßen Jungen würde ich nicht einmal angucken. Er ist ein ganz ernst zu nehmender Mensch, eine tragische Erscheinung …“
„Was?“ rief Heide, nun ehrlich verblüfft.
„Er ist von tragischer Einsamkeit umwittert“, beharrte Klaudia, „er hat sein Ziel erreicht, er ist berühmt geworden, aber das hat ihn nicht glücklich gemacht.“
„Wo hast du denn das gelesen?“ wollte Ingrid wissen. „Überhaupt nicht. Das spüre ich, wenn ich ihn nur ansehe. Er ist ein einsamer und unglücklicher Mensch. Und deshalb liebe ich ihn.“
Sie nutzte die Verblüffung der anderen und wandte sich zur Türe. „Tschau“, sagte sie mit umflorter Stimme, „bis morgen dann. Wenn du Lust zu lernen hast, Jochen … du weißt ja, wo du mich finden kannst.“
Und draußen war sie, ehe ihre Klassenkameraden noch recht begriffen, was sie gerade vernommen hatten.
Fast eine Katastrophe
Das wurde eine schlimme Woche für Klaudia. Durch ihr Bekenntnis zu Ben Simon hatte sie sich von ihren Freunden und Freundinnen isoliert. Man sprach jetzt in jeder Pause über die bevorstehende Party bei Heide, und Klaudia wurde das Herz schwer, weil sie sich selber ausgeschlossen hatte.
Wenn sie trotzdem einmal einen Rat gab oder einen Vorschlag machte, bekam sie zu hören: „Halt du dich raus. Du kommst ja doch nicht. Also was geht’s dich an?“
Aber auch wenn Klaudia ihre Absage hätte rückgängig machen können, sie hätte es nicht getan, denn Ben Simon ging ihr über alles. Sie fühlte sich sogar innerlich erhoben, weil sie ihm dieses Opfer bringen konnte. Gerne hätte sie mehr, viel mehr für ihn getan.
Ben Simon galten ihre letzten Gedanken, wenn sie abends schlafen ging, und Ben Simon fiel ihr ein, wenn sie morgens aufwachte. Sie mußte sich Sehr zusammennehmen, um wenigstens im Schulunterricht nicht dauernd an ihn zu denken. Ben Simon verfolgte sie bis in ihre Träume.
Am Samstagnachmittag saß sie – schon in Erwartung, in wenigen Stunden ihr Idol zu sehen – gemütlich mit ihren Eltern und ihrer zehnjährigen Schwester Sylvie, die noch die Volksschule besuchte, im Garten des Arzthauses bei Kaffee und Kuchen. Da fragte Dr. May: „Klaudia … Sylvie! Wer von euch beiden bringt mir wohl ganz rasch das Fernsehprogramm?“
Die Schwestern sprangen gleichzeitig auf und rannten um die Wette ins Haus – Klaudia hatte die längeren Beine, aber Sylvie war die Sportlichere von beiden. Im gleichen Augenblick griffen beide nach der Programmzeitschrift, die auf dem Fernseher lag – und in schöner Eintracht zogen beide die Hand wieder zurück.
„Wir wollen sie doch nicht zerreißen“, sagte Sylvie.
„Sehr wahr gesprochen“, stimmte Klaudia zu, „knobeln wir lieber.“
„Ach was, wir können die Zeitschrift doch genauso gut gemeinsam Vati bringen … jeder hält einen Zipfel!“
„Ein bißchen albern, Kleine“, sagte Klaudia gönnerhaft, „aber … na ja … ich will keine Spaßverderberin sein!“
Sie probierten ein bißchen herum, dann kamen sie überein, die Zeitschrift auf den flach ausgestreckten Händen in den Garten hinauszutragen, und so knieten sie vor ihren Vater nieder wie zwei diensteifrige kleine Pagen.
„Brav gemacht“, lobte Dr. May.
Er nahm ihnen die Zeitschrift ab und schlug sie auf. „Also, was hätten wir denn da? Sehr gut, ein richtiges Familienprogramm … ‚Don Carlos’ von Schiller, übertragen aus dem Residenztheater München! Was sagst du, Mariechen? Da können die Mädchen doch mitsehn.“
Seine Frau lächelte. „Weil heute Samstag ist.“
Klaudia hatte sich langsam erhoben; sie traute ihren Ohren nicht. „Das kann doch nicht euer Ernst sein“, sagte sie tonlos.
Dr. May blickte von der Zeitschrift auf. „He, was ist los mit dir? Du machst ja ein Gesicht, als wäre dir die Petersilie verhagelt.“
Klaudia holte tief Atem. „Vati, bitte … müssen wir denn ‚Don Carlos’ sehen?“
„Müssen? Nein, davon kann gar keine Rede sein. Ich nehme es dir nicht übel, wenn du zu Bett gehst.“
„Aber ich will nicht … ich will …“ Klaudia kämpfte darrum, ihre Stimme in der Gewalt zu halten.
„Sie möchte lieber Ben Simon sehen!“ platzte Sylvie heraus.
„Ben Simon? Wer ist denn das?“
„Aber, Klaus“, sagte seine Frau, „nun tu doch nicht so! Ich weiß, du interessierst dich nicht für Schlager und so etwas. Aber Ben Simon müßtest du doch kennen. Wenigstens dem Namen nach. Er ist ein neuer Stern am deutschen Schlagerhimmel.“
„Aha! So ein junger Heuler!“
Klaudia legte den Arm um die Schultern ihres Vaters und schmiegte sich an ihn. „Er ist kein Heuler, Vati, ganz bestimmt nicht! Er singt wunderbar. Hör ihn dir nur einmal an … ich bin ganz sicher, er wird dir gefallen!“
„Er singt ‚If I don’t love you so much’ und ‚Werd’ ich dir jemals begegnen‘“, fügte Sylvie hinzu.
„Na, das klingt ja umwerfend“, sagte Dr. May.
„Bitte, Vati, laß uns die Schlagerparade sehen, ja?“ schmeichelte Klaudia.
„Ich bin wirklich kein Haustyrann …“
„Hurra! Hurra! Vati ist einverstanden!“ schrie Sylvie begeistert dazwischen.
Er streckte die Hand aus und zog sie zu sich. „Im Ernst, Sylvie, liegt dir auch so viel daran, diesen Burschen zu sehen?“
Sylvie wußte nicht sogleich eine Antwort.
„Denk jetzt einmal nicht an Klaudia, denk nur an dich: Welches Programm würdest