Das kleine Buch vom Meer: Leuchttürme. Olaf Kanter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Kanter
Издательство: Bookwire
Серия: KLEINES BUCH VOM MEER
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783945877838
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des Turms übernahm. In einer Zeit, in der es viel um Zweckmäßigkeit und weniger um Schnörkel ging, ziemlich bemerkenswert. Eigentlich war eine Bauzeit von zwei Jahren vorgesehen, doch daraus wurde nichts. Der Transport der Materialien über See machte mehr Probleme als gedacht; die Bausteine kamen aus Poulgallec, der Kalk aus den Öfen von Marans, der Portlandzement aus Boulogne-sur-Mer und der Granit aus Brest. Es mangelte an versierten Maurern und Fliesenlegern, und obendrein wurden die Arbeiten von einem schweren Unfall unterbrochen. Als eine Kette brach, stürzten sieben Arbeiter zehn Meter in die Tiefe. Einer erblindete, weil er mit Säure in Kontakt kam.

      So wurde der Turm mit zwei Jahren Verspätung am 7. Oktober 1897 eingeweiht, dem fünften Todestag seiner Stifterin. Er steht auf einem Hof, 80 mal 60 Meter, verziert mit Steinbildern von Ankern und fünfzackigen Sternen. 307 Stufen sind es bis hinauf zur Laterne, was die schnellsten Läufer bei einem Wettbewerb in weniger als 50 Sekunden schaffen. Wie fast alle Türme wird er heute vollautomatisch betrieben. Die letzten Wärter schieden im Oktober 2007 aus dem Dienst, kurz nach den Feierlichkeiten zum 110. Geburtstag.

      Wir sitzen an diesem kalten Sommermorgen im Nebel auf dem Turm. Die Türen der Fischerhäuschen gehen auf. Männer treten hinaus, stellen die Kragen ihrer Jacken auf, die meisten stecken sich erst mal eine Zigarette an. Einige tragen kleine Taschen, einer hat einen Kaffeebecher, aus dem es dampft. Dann gehen diese Männer schweigend die Pier runter, steigen in ihre Boote und fahren hinaus in dieses Grau, das sie so schnell verschluckt. Sie verschwinden wie hinter einem Vorhang, der sich hinter ihnen schließt, und bald schon wird das Tuckern der Diesel leiser.

      Das Nebelhorn brüllt, und wir sprechen darüber, welchen Mut und welche Erfahrung es braucht, dieses Leben zu leben. Jeden Tag hinauszufahren in dieses Nichts, das die Boote verschlingt, in eine graue, weite, wilde Welt, an diesem Morgen nur durchdrungen vom Horn eines Leuchtturms, der ihnen bei der Heimreise wieder den Weg zeigen wird.

       MUCKLE FLUGGA

      Position: Nordspitze der Shetlandinseln

      Koordinaten: 60°51’19,5’’N, 000°53’7,4’’W

      Baujahr: 1855-1858

      Feuerhöhe: 66 m

      Kennung: Blitz (2), weiß, 20 s

      Wenn das Licht am Ende des ersten Seetages dünner wird, kommt die Silhouette von Shetland in Sicht. Knapp 24 Stunden ist die Islandfähre „Norröna“ vom Hafen Hirtshals in Dänemark dann unterwegs, immer auf einem nördlichen Kurs. Wir sind mit unserer Islandreise, der „Skua-Tour“ an Bord, die wir nach der großen Raubmöwe des Nordatlantiks benannt haben. Torshavn auf den Färöer und Seydisfjördur, ein Fischerdorf tief in einem Fjord an der Ostküste Islands gelegen, sind unsere Ziele, doch eigentlich geht es bei dieser Reise um die 1640 Seemeilen zwischen den Häfen. Es geht um die Seele des Nordatlantiks im Winter, wenn er majestätisch wild ist und rau. Von Kapitän Schwandt stammt der Satz, dass es keinen Ort gibt, an dem man sich so klein und unbedeutend fühlt wie auf dem Nordatlantik im Sturm. Das trifft es genau.

      Ich liebe diese Reise, auf der wir immer Wind und Welle erleben. Beaufort sieben bis acht, Wellen bis sechs Meter Höhe sind kein Problem für das Schiff, denn die „Norröna“ wurde für den Nordatlantik gebaut. Ein starkes, breites Schiff mit hohem Freibord, das von vorne aussieht wie ein schwimmender Keil. Die meisten Passagiere stehen stundenlang an Deck und beobachten diese Landschaft aus Grau und aus Blau und weißer Gischt.

      Leuchttürme gehören zu dieser Reise. Bei der Abfahrt der weiße Turm von Hirtshals, auf einer Düne. In Thorshavn dann ein kleiner Turm, wie hingestellt für Instagram-Herzchen auf der alten Festung gleich neben dem Hafen. Der schönste Leuchtturm und erste Höhepunkt der Reise ist mein Sehnsuchtsort. Ich freue mich jedes Mal darauf, wenn Muckle Flugga Lighthouse in Sicht kommt.

      Er steht auf einem Felsen, an einer Ecke der kleinen Insel Muckle Flugga, die an einen Fantasyfilm erinnert. Unten schlagen die Wellen gegen den Fels. Im rötlichen Abendlicht, wenn es aussieht, als ob der Allmächtige mit Photoshop experimentiert, hat die Szene eine Schönheit, die beinahe theatralisch wirkt. Einigen Passagieren, die hinaus aufs Deck kommen, steht im ersten Moment buchstäblich der Mund offen. Eine Passagierin meinte zu mir, es sei das Schönste, was sie gesehen habe. Was fasziniert mich so an diesem Ort? Er ist so wild, so abgeschieden, so fernab von allem. Muckle Flugga ist der nördlichste Leuchtturm Schottlands und war bis 1995, solange Leuchtturmwärter auf der Insel lebten, der nördlichste besiedelte Ort Großbritanniens. Ein unwirklicher Ort und der Beweis, was Menschen mit ihrem Willen schaffen können. Welche Qual mag es gewesen sein, diesen Turm zu errichten? 1855 wurde mit den Arbeiten begonnen und am 1. Januar 1858 in Betrieb genommen, als „North Unst Lighthouse“ (erst seit 1968 trägt der Turm den heutigen Namen). Drei Leuchtturmwärter lebten auf Muckle Flugga, zwei Teams wechselten sich permanent ab. Man versorgte sie zu früheren Zeiten mit einem Boot, später dann mit einem Hubschrauber.

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       HELGOLAND

      Mich verzaubert dieser Ort und die Vorstellung, wie es damals auf Muckle Flugga gewesen sein mag. Es ist aber mehr als nur ein romantischer Rückzugsort. Nach einem Tag auf See ist es auf der Islandfähre das erste Mal, dass wieder Land in Sicht kommt. Ich habe durch Muckle Flugga besser verstanden, welche Bedeutung Leuchttürme für Seeleute haben.

      Welche Erleichterung es ist, ein Feuer über der See zu sehen.

       HELGOLAND

      Position: Deutsche Bucht

      Koordinaten: 54°10’54,6’’N, 007°52’56,6’’O

      Baujahr: 1952

      Feuerhöhe: 82 Meter

      Kennung: Blitz, weiß, 5 s

      Ich wurde davon wach, dass etwas gegen das Hotelfenster schlug, ein kleiner Ast vermutlich, oder ich hatte das nur geträumt. Der Sturm zog noch immer über die Nordsee und den Roten Felsen. Eigentlich hatten wir nur über das Wochenende auf Helgoland bleiben wollen, doch nun ging keine Fähre rüber aufs Festland, und es wehte so heftig, dass auch der Flieger nicht von der Düne abheben konnte. Obendrein kündigte der Wetterbericht Eisregen an und warnte vor jeder Autofahrt.

      Wir saßen also auf Helgoland fest. Es war herrlich.

      Ich lag nun wach im Bett. Draußen heulte der Sturm, und ein brummender Ton lag in der Luft. Insulaner haben mir später erklärt, dass er von einer Antenne auf Oberland kommt, die ab einer gewissen Windstärke, so um die neun, zu schwingen beginnt. Der Lichtkegel des Leuchtturms huschte am Fenster vorbei. Es hatte etwas Beruhigendes, ich zählte die Sekunden zwischen dem Signal. Fünf Sekunden.

      Ich weckte meine Frau und erklärte ihr, dass wir unbedingt zum Leuchtturm hochmussten. Das war doch irre romantisch! Ihre Begeisterung hielt sich zunächst in Grenzen, doch wenige Minuten später machten wir uns auf den Weg.

      Die Treppe hinauf aufs Oberland kann einem lang vorkommen, vor allem in Sturm und kaltem Regen. Immerhin waren wir wach, als wir oben ankamen. Helgolands Gassen haben etwas Unheimliches in einer Sturmnacht. Wir bogen einmal falsch ab, an der Kirche, fanden schließlich aber den Weg und standen vor dem Leuchtturm.

      Faszinierend war die Reichweite seines Lichtstrahls. 28 Seemeilen (fast 52 Kilometer) weit schleudert der Turm in klaren Nächten sein Signal hinaus in die Nacht. So weit wie kein anderer Leuchtturm in Deutschland. Wenn die Wetterbedingungen stimmen (es muss klar sein und ein bisschen feucht), dann sieht man das Licht von Helgoland noch in Sankt Peter-Ording oder Harlesiel am Festland. 35 Millionen Candela ist das Licht stark. Die Lichtstärke einer Kerze entspricht einer Candela. Es sind also umgerechnet 35 Millionen Kerzen, die Schiffen auf Helgoland den richtigen Kurs anzeigen.

      Eine Schönheit ist der Turm auf dem Oberland nicht. Viereckig, schlicht, aus Stahlbeton, mit rotem Backstein verkleidet, und auf dem Dach keine schöne Haube, sondern eine Menge Antennen für Radar, Seefunk und Flugfunkfeuer. Die Nazis ließen