Das kleine Buch vom Meer: Leuchttürme. Olaf Kanter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Kanter
Издательство: Bookwire
Серия: KLEINES BUCH VOM MEER
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783945877838
Скачать книгу
EIN LICHT ÜBER DEM MEER

      Erst vor Kurzem erlebte ich wieder die Magie eines Leuchtturms. Ein Sturm zog über die Insel Ameland, und wir spazierten durch die Dünen. Das Tosen der Brandung war zu hören. Der Turm warf sein Licht hinaus in die Nacht, und ich stellte mir vor, wie es für die Fischer und die Seeleute da draußen auf der Nordsee sein mochte. Welches Gefühl der Sicherheit ihnen dieses Licht schenkte.

      Leuchttürme sind nicht nur Seezeichen. Es gibt wohl kaum ein besseres Symbol für das Meer und die Seefahrt, das jeder sofort versteht. Sie sind Fixpunkte in einer Welt, die manchmal aus den Fugen gerät. Sie sind gelegentlich schwer erreichbar, oft geheimnisvoll und stehen immer an Küsten oder auf Inseln, wo die See besonders gefährlich ist. Wenn Kinder vom Urlaub am Meer nach Hause kommen, dann malen sie einen Leuchtturm. Leuchttürme wecken Emotionen.

      Die andere Seite: Leuchttürme stehen oft an Positionen, die nicht exponierter sein könnten. An steilen Küsten, auf Riffen, die bei Flut überspült werden, auf unsicheren Sänden. Sie sind den Elementen ausgesetzt, Wind, Brechern, Gezeitenströmen. Wie sie errichtet wurden, welchen extremen Umständen ihre Erbauer ausgesetzt waren, ist noch mal eine ganz eigene Geschichte. Wie bei den Stevensons, einem schottischen Clan, der sich selbst an den unmöglichsten Plätzen ans Werk machte, um Licht an die gefährlichen Küsten ihrer Heimat zu bringen.

      Der Arbeitsplatz auf diesen Türmen war, auch wenn Romantiker das gerne verklären, eine Zumutung. Oftmals mussten die Leuchtfeuerwärter viele Monate auf ihrem Posten ausharren, weil widrige Umstände verhinderten, dass die Ablösung landen konnte. Die Einsamkeit – und der Umgang mit einem gefährlichen Betriebsmittel – hat manche Wärter buchstäblich in den Wahnsinn getrieben.

      Wir erklären in diesem Buch, wie die Linsen auf den Türmen das Licht bündeln. Wir erinnern uns daran, wie Leuchttürme Filmemacher und Schriftsteller inspiriert haben. Wir erzählen von den höchsten, skurrilsten, von den ältesten und den schönsten Leuchttürmen. Und wir berichten von den bewegendsten Momenten, die wir unter ihrem Lichtstrahl erlebt haben. Wir erinnern uns an eine warme Sommernacht auf einer Robbeninsel. Wir besuchen einen Leuchtturm, der an die Schicksale vieler ertrunkener Seeleute erinnert. Aus der Perspektive eines Seglers schildern wir, was es bedeutet, wenn der Leuchtturm endlich am Horizont erscheint.

      Von Pidgeon Point in Kalifornien bis zu den Shetlands im wilden Nordatlantik, von der rauen Bretagne bis zu den lieblichen Schären der Ålands haben wir Leuchttürme besucht. Roter Sand und Westerheversand, den bekanntesten Leuchttürmen Deutschlands, widmen wir eigene Geschichten. Fast alle Türme in diesem Buch haben wir persönlich besucht, und wenn nicht, dann fanden wir Menschen, die sich mit ihnen auskennen.

      Die Auswahl fiel subjektiv aus und war rein emotional. Denn es geht uns nicht nur um Wissen und genaue Fakten, sondern auch um ein besonderes Gefühl.

      Dieses Buch soll wie ein Besuch auf dem schönsten Leuchtturm sein.

      Wir wünschen einen schönen Aufenthalt mit unserem zweiten „Kleinen Buch vom Meer“!

image

      Kameraden, vorbei ist das Fasten,

      Ich sehe den Leuchtturm durchs Glas.

      Schon flattern um unsere Masten

      Die Möwen. Im Wasser schwimmt Gras.

      Schon steigen die Türme vom Hafen

      Wie Kräuterkäse grün aus dem Grau.

      Old sailorboys, heute Nacht schlafen

      Wir alle an Land bei der Frau.

      Vielleicht noch tanzen wir heute

      Und saufen, soviel uns behagt.

      Wir haben als Fahrensleute

      Solang dem Vergnügen entsagt.

      Hei ho! Macht euch sauber, Matrosen!

      Bald tritt auf den Kampfplatz der Stier.

      Die besten Hemden und Hosen

      Warten steif auf die Mädchen am Pier.

      Schon seh ich die Tücher sie schwenken.

      Denn jeder von uns ist ein Held

      Und naht sich mit Auslandsgeschenken.

      Hei ho! Heut’ abend rollt Geld!

      JOACHIM

      RINGELNATZ

image

       MEINE SCHÖNSTEN MOMENTE AM LEUCHTTURM

       VON STEFAN KRUECKEN

       Seit ich reisen kann, fahre ich ans Meer. Mit Leuchttürmen verbinde ich besondere Erlebnisse: Stunden, die für immer in Erinnerung bleiben. Drei kleine Geschichten vom Leuchtturm.

       PHARE D’ECKMÜHL

      Position: Finistère, Bretagne

      Koordinaten: 47°47’53,5’’N, 004°22’22’’W

      Baujahr: 1893–1897

      Feuerhöhe: 64,80 m

      Kennung: Blitz, weiß, 5 s

      Der neue Tag dämmert noch nicht, vielleicht ist es halb fünf, als wir in die Gassen auf der Pointe de Saint-Pierre rollen. Graue Häuser, gebaut für eine Stadt direkt am Meer. Der große Leuchtturm hat uns gerufen. Sein Nebelhorn war weit zu hören, bis in unser Ferienhaus, einige Kilometer entfernt. Wir parken den Wagen direkt am Turm und setzen uns auf eine Mauer an der Mole.

      Der große Leuchtturm, ein wuchtiger Bau aus grauem Granit, einer der höchsten in Europa, wirft seinen Strahl über das Dorf, aber weit kommt er an diesem nassen Sommermorgen nicht. Der Nebel, der wie eine schwere Decke über allem liegt, wird immer dichter.

      In diesem Dorf Saint Pierre gibt es drei Leuchttürme, was nicht wirklich erstaunt, denn die Küste gilt als eine der gefährlichsten der Bretagne. Dass er einst so hoch gebaut wurde, noch höher, als es eigentlich geplant war, lag an einem ungewöhnlichen Erbe. Die Marquise Adélaïde-Louise d’Eckmühl de Blocqueville bestimmte in ihrem Testament, dass ein Vermögen in Höhe von 300.000 Francs zur Errichtung eines Leuchtturmes verwendet werden sollte. Zu Ehren ihres Vaters, des Herzogs von Auerstädt und Prinz von Eckmühl, sollte der Turm den Namen d’Eckmühl tragen. Den für einen Franzosen seltsam klingenden Titel hatte der Adlige in der Schlacht nahe dem Dorf Eggmühl bei Regensburg im Jahr 1809 erkämpft.

      Doch der Gedanke, dass ihr Vater wegen der Toten eines Schlachtfelds ins kollektive Gedächtnis der Nachwelt einging, behagte der Marquise nicht. Ein Leuchtturm, dessen Licht das Leben von Menschen auf See rettete und an der bretonischen Küste leuchtete, sollte sein Ansehen aufpolieren. Sie verfügte also in ihrem Testament:

       „Les larmes versées par la fatalité des guerres, que je redoute et déteste plus que jamais, seront ainsi rachetées par les vies sauvées de la tempête.“

       Die Tränen, die durch die Unvermeidlichkeit von Kriegen vergossen werden, die ich mehr denn je fürchte und hasse, werden durch die Leben, die vor dem Sturm gerettet wurden, wiedergutgemacht.

      Eine weitere Bedingung der Stifterin war der richtige Standort: Der Turm musste solide gebaut und dort errichtet werden, wo er lange Zeiten überstehen konnte. Die vorgelagerten Klippen der Bretagne, an die im Herbst und Winter wilde Stürme schlagen, schieden damit ebenso aus wie andere exponierte Stellen. Eine Kommission wurde eigens gegründet, die nach gründlicher Untersuchung den Standort Pointe de Penmarc’h festlegte. 122 Meter östlich des alten Leuchtturms, auf dem Grundstück, auf dem das Haus des Wärters