Irgendwann machte es klick. So wollte ich nicht leben. Die Worte von damals hallten in meiner Seele nach. Ich wollte ein Leben voller Abenteuer. Farbenfroh. Ich wusste: Ich muss weg. Ausbrechen aus der Kleinstadtidylle, ausbrechen aus Erwartungen, die an mich gestellt wurden, ausbrechen aus dem überschaubaren Weltbild, das so überhaupt nichts mit dem zu tun hatte, wonach ich mich sehnte.
Es war ein Schritt auf das Wasser. Ein bisschen so wie in der Szene aus dem Prolog: Es schien unmöglich, die Hindernisse und die »Ja-Abers« türmten sich vor mir auf, doch auf der anderen Seite des Ufers war das verheißene, ersehnte Land! Also wagte ich mich Schritt für Schritt hinaus und erlebte Wunder und offene Türen. Finanzen wurden zur Verfügung gestellt, Unmöglichkeiten aus dem Weg geräumt und ich wurde zur Weltenbummlerin: von Franken an den Bodensee, von dort nach Amerika und dann nach Wien. Ich genoss das Abenteuer und mein so ganz anderes Leben. Noch immer wusste ich nicht genau, wo die Reise hingehen sollte, aber ich blühte auf und dachte, ich sei im farbenfrohen Leben angekommen. Das musste es sein, was die Prophezeiung aus meiner Jugend besagt hatte. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es so weitergehen können.
Aber es kam anders: Nachdem ich geheiratet hatte, fanden mein Mann und ich uns plötzlich da, wo keiner von uns beiden jemals hinwollte: in einem 08/15-Leben. Ein normaler Job, ein normaler, vorhersehbarer Alltag, langweilige, enge Umstände. Ich sah mich Zerbruch, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit gegenüber. Erlaubte Gott sich einen Scherz? Hatte er mich das Abenteuer schmecken lassen, nur um mich dann in ein tristes Dasein fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel? Mein Mann und ich zogen sogar in die Stadt zurück, aus der ich vor Jahren als blutjunges Mädchen weggezogen war, um die Welt zu erobern. Mein Leben zerfiel in viele Scherben und ich versuchte, mich mit den Bruchstücken zu arrangieren. Die Worte, die mir als 13-jähriges Mädchen zugesprochen worden waren, klangen mittlerweile wie Hohn in meinen Ohren. Würde ich jemals meinen Traum leben können?
Wüstenzeit
Ich war in der Wüste angekommen. Die folgenden zwölf Jahre waren tief geprägt von dieser einen Frage: »Hast du mich vergessen, Gott?« Ich konnte nicht verstehen, dass mein Leben von nun an so verlaufen sollte. So ganz anders, als ich es geplant hatte. Und eigentlich dachte ich auch, dass es anders war, als Gott es geplant hatte. Warum sollte er all diese Wünsche und Träume in mich hineinlegen, nur um mich dann mit dem genauen Gegenteil zu quälen? Warum hatte ich all diese Sehnsüchte und Hoffnungen, nur um immer wieder mit der harten, tristen Realität konfrontiert zu werden? War das das Leben? War das das »Leben in Fülle«, von dem Jesus in Johannes 10,10 spricht?
Ich begann widerwillig zu glauben, dass ich von Gott nicht erwarten konnte, mich mit einem schönen, farbenfrohen, abenteuerlichen Leben zu segnen. Ich sah mich um: Die meisten Menschen in meiner Umgebung lebten ähnlich. Angepasst und ordentlich. Ich entdeckte wenig wilden Glauben, verrücktes Vertrauen. Der Alltag war abgesteckt wie ein fein säuberlich getrimmter englischer Rasen. Keine Überraschungen, keine unvorhersehbaren Wendungen. Und so begann ich zu glauben, dass das Leben einfach so sein musste – langweilig und vorhersehbar. Wenn man ganz ehrlich und konsequent weiterdachte, brauchte man Jesus dafür eigentlich nicht einmal. Das schaffte man auch ganz gut alleine. Es war ein geteerter, breiter, leicht ansteigender Weg – so wie ein Wanderweg, den man mit Kinderwagen gut bewältigen kann. Ich sehnte mich zwar weiterhin nach den schmalen, steinigen, verschlungenen Pfaden – sie sind zwar nicht einfach, aber voller wunderschöner, echter Herausforderungen.
Obwohl ich mich immer mehr mit den Umständen in meinem Leben arrangierte, betete ich ab und zu ein verrücktes Gebet: »Herr, mach mein Leben außergewöhnlich.« Ich betete es leise oder schrieb es nur in mein Tagebuch. Es kam mir fast vermessen vor, so einen Wunsch zu haben. Aber es passte zu der Verheißung, die ich vor vielen Jahren bekommen hatte, und ich wollte daran festhalten, dass Jesus ein verheißenes Land für mich erobert hatte. Dass er mich dorthin führen würde und dass die Zeit jetzt nur die Vorbereitung für die Realisierung meiner Träume war.
Auf dem Wasser gehen
Während einer großen christlichen Konferenz wurden mein Mann und ich von einem Satz, der häufiger wiederholt wurde, tief getroffen: »Wenn nicht jetzt, wann dann?« Dieser Satz brachte Saiten in uns zum Schwingen, die schon längst verstummt waren. Es lag etwas Neues in der Luft, Aufbruch und Neuanfang. Ich bin so dankbar, dass mein Mann daraufhin den Mut hatte, seinen Job zu kündigen und Gebetshausmissionar im Gebetshaus Augsburg zu werden. Wir hatten keine Agenda, wussten nicht, was daraus entstehen konnte, aber wir standen plötzlich vor diesem reißenden Fluss und wussten: Das verheißene Land liegt am anderen Ufer. Wir waren sicher, dass es an der Zeit war voranzugehen. Ja, wir hätten unser Lager diesseits des Flusses aufschlagen können. Ja, wir hätten in der Wüste verweilen können, wo es zwar unangenehm war, aber vertraut. Aber etwas in uns zog uns auf die andere Seite und seitdem ist unser Leben nicht mehr so, wie es einmal war.
Über zwanzig Jahre, nachdem ich bei dem Jugendevent diese Zusage für mein Leben erhalten hatte, verwandelte sich mein Leben plötzlich in eine Achterbahnfahrt. Es war verrückt, es war spannend, es war immer wieder Angst machend – aber vor allem war es herrlich schön! Dafür wurde ich geschaffen. Für dieses Leben wurde ich vor Anbeginn der Welt designt. Das war in meiner DNA: verrückter Glaube, der Berge versetzt. Es war ein Sprung von der Klippe oder der Schritt in ein reißendes Gewässer. Es war die aberwitzige Entscheidung, die kaum jemand verstehen oder nachvollziehen konnte. Aber mit einem Mal pulsierte das Leben durch meine Venen und ich begriff, wofür ich gemacht worden war.
Es war die Erfüllung unserer Träume, das Entdecken unserer Berufung.
Der Preis
Doch obwohl ich heute das Leben leben darf, wonach ich mich immer gesehnt habe und von dem ich als junges Mädchen geahnt habe, dass es in mir angelegt ist, ist es doch ein Leben, das mir alles abverlangt. Immer wieder komme ich in Situationen, in denen ich mir ein ganz normales Leben herbeiwünsche. Nett und zurückgezogen, harmlos und heiter. Manchmal spüre ich den geistlichen Kampf, der um mich tobt, fast körperlich. Manchmal sehe ich, wie meine Kinder vom verrückten Lebensstil ihrer Eltern herausgefordert sind, und ich hinterfrage meine Entscheidungen. Manchmal sitze ich mit meinem Mann auf dem Sofa, sprachlos und überfordert, und die einzige Konstante, auf die wir zurückfallen können, ist Jesus.
So wie Israel im verheißenen Land mit Riesen und feindlichen Völkern konfrontiert war, so fällt auch unser verheißenes Land uns nicht einfach in die Hände. Es ist ein Kampf um jeden Quadratmeter, um jedes Stückchen Erde. Immer wieder sehe ich mich der Boshaftigkeit des Feindes gegenüber, der nichts lieber sehen möchte, als dass ich mich wieder zurückziehe und kapituliere. Es ist blindes, fast trotziges Vertrauen in die Güte des Herrn und all seine Verheißungen. Ja, ich glaube, dass Gott mein Versorger ist – auch wenn das Konto leer ist. Ja, ich glaube, dass Gott mein Rechtsprecher ist – auch wenn sich Menschen über mich erheben und mich anklagen. Ja, ich glaube, dass Gott für mich ist und nicht gegen mich – auch wenn ich mich einsam und verlassen fühle. Ja, ich glaube, dass Gott gute Gedanken über mich hat, Gedanken des Heils und nicht des Unheils – auch wenn jeder Schritt mühsam ist und mir alle Kraft abverlangt.
Der Kampf um unsere Berufung ist ein Glaubenskampf. Und unser Glaube wird in der Wüste geläutert und gestärkt. Die zwölf Jahre, die mein Mann und ich im Vorfeld durchlebt und oft durchlitten haben, haben das felsenfeste Fundament gebildet, auf dem wir heute stehen und arbeiten und kämpfen. Und immer wieder schickt mich Gott zurück in die Wüste, um mich an alte, bereits gelernte Lektionen zu erinnern oder mich neue zu lehren. Es ist ein ständiges Wachsen näher an sein Vaterherz, ein ständiges Wachsen im Vertrauen und in der absoluten, bedingungslosen Hingabe. Wer in seiner Berufung leben will, muss bereit sein, die Wüste zu durchqueren und auch immer wieder dorthin zurückzukehren.
Nichts