Parallel wurde in den Medien das Porträt eines opferbereiten Idealisten ohne Eigennutz skizziert, der „nicht nur sein Vermögen“, sondern sein „Herzblut“ für den Brenner hingegeben habe.6 Ficker habe „Gott & nicht dem literarischen Kommerz zu dienen gesucht“, hieß es.7 Hans Kestranek schlug 1949 eine „gross[e] ‚Apologie‘“ in Form einer Geschichte des Brenner vor, um das Bild eines Verlegers zu zeichnen, der nie daran gedacht habe, „aus der Literatur ein Geschäft zu machen“.8 Ficker dagegen fürchtete zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf das „Grabesschweigen, das sich um den ‚Brenner‘ auftürmt, und die Verlegenheit, der sein konsequent festgehaltenes Konzept begegnet“,9 als „Verleger-Dilettant, der sein Vehikel geschäftlich nie recht aufzäumen konnte, abdanken zu müssen“.10 Schon 1935 hatte er resigniert festgestellt: „ohnmächtiger hat noch kein Herausgeber eine Zeitschrift besorgt“.11
Das Jahr 1950 bildete einen ersten Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung Fickers, der seinen 70. Geburtstag feierte und zugleich den 40. Jahrestag der Brenner-Gründung.12 Hier nur einige Schlagworte, mit denen versucht wurde, seine Persönlichkeit zu fassen, vor allem seine moralische Integrität und Unbestechlichkeit im literarischen Urteil: „Stimme der lauteren Menschlichkeit und eines unbestechlichen Gewissens“,13 „Diener am Wort“,14 „Vorkämpfer für Geistesfreiheit und Religiosität“,15 „Vermittler und Erreger religiöser Unruhe und religiösen Dranges“.16 In der privaten Glückwunschkorrespondenz, bei deren Auswertung zu bedenken ist, dass dem Andenken des Betreffenden Schadendes meist ausgeklammert und Positives besonders hervorgehoben wird, fallen verstärkt Äußerungen auf, die Ficker zum Führer in orientierungsloser Zeit stilisieren. So ist etwa Franz Theodor Csokor, Präsident des Österreichischen P.E.N.-Clubs, „stolz“ darauf, in ihm einen Mann von „Klarheit und Haltung in dieser verworrenen Zeit bei uns in Oesterreich zu besitzen“.17 Für Otto Basil war der Herausgeber des Brenner „ein charakterliches und literarisches“ Vorbild.18 1955, im Jahr des Abzugs der alliierten Besatzungsmächte, häuften sich zum 75. Geburtstag Fickers die Einreihungen seiner Person in die österreichische Geistesgeschichte. Unterrichtsminister Heinrich Drimmel dankte für Fickers „Wirken“, durch das er „eine der überzeugendsten Verkörperungen österreichischer Geistigkeit in unserem Jahrhundert“ geworden sei.19 Csokor fasste Fickers Stellenwert für seine Generation unter dem Begriff des sittlichen Vorbilds, das er „einem durch zwei Weltkriege geprüften Geschlecht“ bedeute, zusammen, dessen „strahlende Weisheit“ „über alle Verwandlung hinaus“ „unveränderlich“ bleibe, wie bei den „Schneehäupter[n] der Berge“ um Innsbruck.20 Dieser Wunsch nach Beständigkeit im Wandel wird auch später immer wieder sichtbar, z.B. in Aussagen wie: Ficker sei „ein echtes Zeugnis der Dauer im Wechsel“.21
Ficker war übrigens 1950 unter dem Vorbehalt als Juror für den Österreichischen Staatspreis vorgeschlagen worden, dass er wohl „in Anbetracht seines Alters und der Beschwerlichkeit mehrmaliger Reisen nach Wien“ ablehnen würde: „Wegen des ehrenden Charakters der Berufung wäre jedoch an ihn heranzutreten“,22 heißt es in der Akte der Republik zur Ernennung des Preisrichterkollegiums. 1954 wurde Ficker dann von Seiten des Bundesministeriums für Unterricht ein „untrügliches Urteil in literarischen Fragen“ bescheinigt.23 Sichtbarer Ausdruck für diese Wertschätzung war seine Berufung als Juror des Trakl-Preises.
Wie reagierte Ficker auf die Huldigungen? Das Lob fand er als „zu hoch gegriffen“, er rechtfertigte seine Leistung mit der „Konjunktur gewisser Glücksfälle“,24 spielte seine Herausgeberrolle herunter und berief sich auf „Gott“, der die Mitarbeiter des Brenner „erleuchtet“ habe.25 Insgesamt war er, Eigenaussagen zufolge, „in Grund und Boden hinein überrascht“ von dem Ausmaß „öffentlicher wie privater Zuneigung und Beachtung“. Die Ehrungen hätten ihn „in einen Abgrund von Beschämung“ gestürzt.26 Er empfand sich „als eine Verlegenheitsfigur“, „die nicht recht weiß, wie sie der Beachtung […] angemessen begegnen soll.“27 Über die Verleihung des Goldenen Ehrenrings der Stadt Innsbruck zeigte er sich „ganz erstaunt“, sei er doch immer darauf bedacht gewesen, „kein Aufhebens“ von sich zu machen.28 Die Verleihung des Titels „Professor h.c.“ bereitete ihm „mehr oder weniger nur eine Verlegenheit“.29 An Paula Schlier schrieb er: „das hat mir noch gefehlt! Schrecklich!“30
Und Rudolf Henz gegenüber bekannte er, dass er wegen der Nachricht über die „Auszeichnung“, die ihm der Bundespräsident soeben verliehen habe, „einigermaßen erstaunt und erschrocken“ sei, er „die Nachricht selbst erst aus der Zeitung erfahren“ habe:
Denn ich bin jetzt in der fatalen Lage, Ehrungen für mich einzuheimsen, die eigentlich meinen verewigten Mitarbeitern gebühren. Aber auch das dient schließlich der Selbstbescheidung, und so darf ich mir erlauben, in Ihrer gütigen Aufmerksamkeit ein Zeichen zu sehen, das, entsprechend beherzigt, uns kenntlich macht für alle, die eines guten Willens sind.31
Fickers Kommentar zur Verleihung der Würde eines Ehrensenators der Universität Innsbruck 1965 war ambivalent: „so ziemlich das Groteskeste, das mir in meinen alten Tagen passieren konnte!“32 Er registrierte selbstironisch seine beginnende Ähnlichkeit mit „einem verlegen lächelnden pastoralen Mummelgreis“,33 während andere wie Alfred Eichholz am Idealbild Fickers als „unvergleichliche[m] Führer in der Welt des Geistes“34 festhielten.
1960 wurde Ficker der