V. 15. „Und sie freuten sich wider mich und versammelten sich.“ Diese Speise gaben sie mir, will er sagen, für meinen Schmerz über sie: „Man sammelte gegen mich Geißeln, und ich wußte es nicht.“ Sie geißelten mich, will er sagen, und ich wußte und fand keine Schuld an mir.
V. 16. „Sie wurden uneins und empfanden keine Reue.“ Es spaltete sich, wie der Evangelist sagt, die Menge, indem die Einen sagten, er sei gut, die Ander, er sei böse.156 Und da das geschah, sagt er, empfanden sie keine Reue und begriffen nicht, gegen wen die Thaten gerichtet waren. Das aber brachte er nicht als eine Anklage vor, sondern weil er sich nach Hilfe sehnte. Wann, will er sagen, zeigst Du Dich und wirst dem beistehen, dem Unrecht widerfährt?
V.17. „Errette meine Seele von ihrer Bosheit.“ Alles, was er leidet oder sagt, thut er für unser Heil, weil er, nämlich Christus, herabgestiegen ist und unser Fleisch angenommen hat.157 „Vom Löwen meine Eingeborne.“ Löwen nennt er entweder die bösen und feindlichen Mächte, die gegen Christus beinahe brüllten, oder vielleicht auch die Vorstände der Juden. Denn so gedenkt er ihrer in den Worten des Isaias: „Meine Erbschaft wurde wie ein Löwe im Walde, deßhalb haßte ich sie.“ 158 Seine Eingeborne aber nennt er seine Seele. indem er „eingeboren“ für „geliebte“ setzt. Denn immer genießt das eingeborne Kind die meiste Liebe. 159V 19. „Die ohne Grund mich hassen und mit den Augen winken,“ das heißt, die mir Fallstrickelegen.
V. 20. „Denn sie redeten friedlich mit mir und sannen im Zorne auf Trug.“ Das bezieht sich auf die Worte: „Guter Meister.“ 160 und: „Wir wissen, daß Du die Wahrheit lehrest und nicht auf die Person des Menschen siehst.“ 161
V. 21. „Sie sperrten ihr Maul wider mich auf.“ Er meint die Lästerungen, die ihm am Kreuze widerfuhren. „Sie sprachen: So recht, so recht, es sahen unsere Augen.“ Weil sie ihre Absicht nach Wunsch erreicht haben, daß er am Holze hing. Das thun aber auch die, welche sich über die Trübsal des Gerechten freuen.
V.22“Du hast es gesehen, o Herr, schweige nicht, Herr, weich nicht von mir.“ Das eingeborene Wort Gottes, das durch die Menschwerdung nicht aufgehört hat, Gott zu sein, fleht zum Vater, der Richter ist, wegen des von den Dämonen uns zugefügten Unrechts. Es fleht, er möge die Mißhandlung von Seite der Uebermüthigen zunichte machten. Denn so, sagt er, werden die Einen in Schande gestürzt werden, die Andern aber werben jubeln. 162 indem sie für ihre Rettung Dank sagen.
Ps 35.
V. 1. Zum Ende, vom Knechte des Herrn, von David.
Inhalt.
Es enthält dieser Psalm eine Anklage wider den Übermuth des Judenvolkes und einen Tadel ihrer Bosheit, ausserdem eine Lobpreisung der gerechten Urteilssprüche, indem er die Erde unter dem Himmel schuf, ferner eine an den Vater gerichtete Danksagung für die durch Jesus uns erwiesenen Wohlthaten und nebenbei noch ein Gebet, welches darum fleht, daß man nicht in Uebermuth verfalle.
V. 2. „Es spricht der Ungerechte in seinem Herzen, daß er sündigen wolle.“ Es glaubt, will er sagen, der in der Bosheit erzogen wurde, daß Niemand die verborgenen Rathschläge seines Herzens schaue. Denn „spricht“ hat er für „glaubt“ und „meint“ gesetzt. Der Grund einer solchen Gedankenlosigkeit ist aber, daß er den Herrn nicht fürchtet, der Alles sieht. „Es ist die Furcht Gottes nicht vor seinen Augen.“ Wenn er einmal, will er sagen, den Vorsatz gefaßt hat, das Gesetz zu übertreten, so läßt er die Furcht Gottes aus den Augen. Denn in der Furcht des Herrn steht Jedermann vom Bösen ab.
V. 3. „Denn er handelte listig vor seinem Angesichte.“ Freiwillig lebt er in dieser Unwissenheit und will seine Thaten nicht überlegen und seine schlechten Thaten nicht hassen. „Daß man sein Unrecht finde und hasse. Auch daran, will er sagen, denkt er nicht, daß Gott seine Sünde findet und, wenn er sie gefunden hat, sie und haßt. 163
V.4. „Die Worte seines Mundes sind Unrecht und Trug.“ Unrecht nennt er sie wegen der Mißhandlungen, die sie Christo zufügten. Trug aber, weil sie ihn in ihren Netzen fangen wollten und ihm gute Worte gaben. „Er wollte nicht verständig sein, gut zu handeln.“ Freiwillig, will er sagen, schloß er sich von der Ausübung guter Werke aus.
V. 5. „Auf Unrecht sann er auf seinem Lager. Er verweilte auf jedem Wege, der nicht gut war.“ Er deutet an, daß ihre gegen Christus gerichtete Verfolgung ihnen den Schlaf raubte. „Der Bosheit grollte er nicht,“ das heißt, der Bosheit war er nicht abgeneigt.
V. 6. „Herr, im Himmel ist Deine Barmherzigkeit.“ Er spricht aus, daß durch seine Barmherzigkeit auch die himmlischen Dinge, das heißt, die vernünftigen Mächte ihren Bestand haben. „Und Deine Wahrheit bis an die Wolken. Deine Gerechtigkeit ist wie die Berge Gottes.“ Als wahr und zuverlässig, will er sagen, hast Du die Verheissungen der Propheten dargethan. Denn die Wolken sind die Propheten. Du hast aber diese als wahr dargethan und ein so großes Maß der Gerechtigkeit gezeigt, daß es den Bergen Gottes zu vergleichen ist.
V. 7. „Deine Gerichte sind ein tiefer Abgrund.“ Da Du so viel Wahrheit und Gerechtigkeit besitzest, so weiß ich nicht, warum Du langmüthig bist. Denn den unergründlichen Abgrund ahmen Deine Gerichte nach. Wie nämlich die Tiefe desselben den Menschen unergründlich ist, so sind auch Deine Gerichte für ihre Einsicht unerreichbar. „Menschen und Vieh wirst Du erretten, o Herr!“ Nachdem der Apostel von den zwei Völkern Dieß gesagt hatte: „Gott umschloß Alle im Unglauben, um Alle zu retten.164 fügte er bei: „Wie unerforschlich sind seine Gerichte! „165 Auch hier ist etwas Ähnliches. Denn da er daran ging, die Rettung der zwei Völker zu erzählen, die auch durch die Menschen und das Vieh angedeutet werden, die Menschen als die Israeliten, die im Gesetze unterrichtet sind und das Bessere denken, das Vieh als der Unvernünftige Theil, als die Heiden. — denn die Juden, die im Geheimniß durch Gesetz und Propheten unterrichtet worden waren, wurden dessen verlustig; die Heiden aber, die niemals davon gehört hatten, fanden Aufnahme. — so hat er deßwegen, zuvor gesagt: „Deine Gerichte sind ein tiefer Abgrund.“ Menschen nennt er wieder die, welche die Würde der Vernunft bewahren, Vieh aber, die sich abwärts zur Erde neigen und sich mit irdischem Sinne nähren. Er rief also nicht nur Gerechte, sondern auch Sünder zum Heile.
V. 8. „Die Söhne der Menschen werden hoffen unter dem Schutze Deiner Flügel.“ Er will nämlich sagen: Sie werden Dich zum Schützer und Helfer des evangelischen Wortes haben.
V. 9. „Sie werden berauscht werden vom Fette Deines Hauses, und Du wirst sie tränken mit dem Strome Deiner Lust.“ Strom der Lust ist Christus, wie es heißt: „Ich leite über sie hinab wie ein überschwemmender Strom die Herrlichkeit der Heiden.“166 Er ist aber Quelle des Lebens und Licht vom Lichte.
V. 11. „Es komme nicht über mich der Fuß der Hoffart.“ Er bittet vom Leiden befreit zu werden. „Und die Hand des Sünders bewege mich nicht.“ Und keine ungeziemende Handlung, will er sagen, hindere mich, an Deiner Seite zu stehen.
Ps 36.
V. 1. Ein Psalm Davids.
Inhalt.
Der Psalm enthält eine Lehre und gibt dem jungen Volke Anleitung zur Enthaltsamkeit vom Bösen und zur Ausübung des Guten, indem er durch zwei Punkte auf sie zu wirken suchte, durch die den Guten bereitete Hoffnung und die den Bösen in Aussicht gestellte Strafe.
V. l. „Ereifere Dich, nicht über die Bösen und eifere nicht den Uebelthätern nach.“ Er ermahnt, die Bosheit zu fliehen, und zeigt, daß ihr Ende der Verlust alles Guten sei. 167
V. 3. „Und wohne im Lande und nähre Dich von seinem Reichthum.“ Land nennt er die von Gott eingegebene Schrift. In diese, ist der Reichthum der Heiligen enthalten, das heißt die Verheissungen. Er ermahnt aber, sich immer an die göttlichen Aussprüche zu halten aus Liebe zu den in ihnen den Heiligen hinterlegten Gütern.
V. 5. „Offenbare dem Herrn Deinen Weg und hoffe auf ihn, und er wird es thun.“