Doch sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden. Der Wiedergänger ging zum Angriff über. Fauchend sprang er aus dem Schatten der Hütte und stürmte mit irrer Geschwindigkeit auf den alten Mann zu, der ihm am nächsten stand.
Das Biest mochte knapp zwei Meter groß sein. Sein Körper war menschenähnlich, doch seine Haut war ledrig, runzlig und grauschwarz, ähnlich der eines Elefanten, aber sie wirkte tot und verdorben. Seine Arme waren länger als die eines Menschen und endeten in Klauenhänden mit messerscharfen Krallen, die vom Blut seiner Opfer trieften. Das Gesicht war eine verzerrte Fratze mit pechschwarzen Augen, zwei Schlitzen, wo die Nase sein sollte, und ausgefransten, blutverschmierten Lippen, hinter denen mehrere Reihen nadelspitzer Zähne hervorblitzten.
Der Alte schrie auf und schoss.
Einmal, zweimal, dreimal.
Er traf das Monster in den Oberkörper und die Wucht der Einschüsse ließ es zurückstolpern. Aufzuhalten vermochten die Schüsse den Wiedergänger jedoch nicht. Mit zornigem Knurren setzte er erneut zum Sprung an.
Gabriel, Sky und Connor feuerten. Wer den Kopf der Bestie traf, war schwer zu sagen, doch mindestens eine ihrer Kugeln fand ihr Ziel. Kaum, dass sie den Schädel des Monsters durchbohrte, riss die graue Haut auf. Der Körper schien zu zerplatzen und ein Geist schoss aus der Hülle heraus. Ganz ähnlich der Gestalt des Wiedergängers, jetzt nur wieder astral, stürzte er sich auf den schutzlosen alten Mann.
Wieder feuerten Gabriel, Sky und Connor, doch diesmal mit Auraglue. Das flüssige Gemisch heftete sich in feinen Tropfen an die Aura des Geistes und leuchtete beim Kontakt silbern auf. Ein hasserfülltes Kreischen ertönte, als das Auraglue die Kraft des Geistes erheblich dämpfte und ihn langsamer machte. Er wehrte sich gegen die bewegungshemmende Wirkung, versuchte weiter den alten Mann zu erreichen und streckte seine Todesenergie nach ihm aus, um Kraft zurückzugewinnen.
Connor aktivierte die Silberbox. Der Deckel des schuhschachtelgroßen Behälters glitt auseinander und der Magnet im Inneren schaltete sich ein. Sofort reagierten die Eisenpartikel des Auraglues und der Geist wurde in die Box gezogen. Seine Konturen verzerrten sich und sein Gesicht wurde noch fratzenhafter, als er sich gegen den Sog der Box wehrte.
Doch er hatte keine Chance.
Als der letzte Hauch von ihm im Inneren der Silberbox verschwand, aktivierte Connor per Fernbedienung den Schließmechanismus und der Deckel schnappte zu. Damit war der Geist gefangen und stellte keine Gefahr mehr für sie dar.
Erleichtert atmete Connor auf und blickte sofort zu dem alten Mann, der wie erstarrt auf den Stufen seiner Hintertür stand.
»Sir, sind Sie okay?«
»Das – also …«
»Yep.« Gabriel steckte seine Waffen zurück in seinen Gürtel. »Wir haben Ihnen gerade den Arsch gerettet. Gern geschehen.«
Doch der Alte schüttelte bloß wütend den Kopf. »Ich wäre mit dem Biest auch alleine fertiggeworden! Und seht, was ihr angerichtet habt! Der ganze Rasen ist ruiniert!«
In der Tat stiegen kleine Rauchfäden aus dem Gras auf, wo Tropfen des ätzenden Auraglues den Geist verfehlt hatten und zu Boden gefallen waren.
»Ernsthaft?«, knurrte Gabriel. »Sie könnten jetzt tot sein und regen sich darüber auf, dass eine Ecke Ihres Rasens ein bisschen qualmt?!«
»Ich hätte ihn selbst erledigen können! Stattdessen habe ich jetzt euren miesen Totenbändiger-Hokuspokus auf meinem Grundstück! Wer weiß, was davon alles angelockt wird!«
»Sir, wir haben keine Totenbändigerkräfte angewandt.« Sky bemühte sich um die Geduld, die sie bei Connor so oft bewunderte. »Die Tropfen sind vom Auraglue und das ist ein offiziell genehmigtes Polizeimittel zum Einfangen von Geistern.«
»Natürlich!«, höhnte der Alte. »Ihr könnt mir viel erzählen! Ich werde eine Beschwerde einreichen. Wegen widerrechtlichen Betretens meines Grundstücks! Und wegen Sachbeschädigung!«
Gabriels Fäuste ballten sich, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Er machte einen Schritt auf den Alten zu, doch sofort trat Connor ihm in den Weg und hielt ihn zurück.
»Nicht«, warnte er leise und bohrte seinen Blick in Gabriels. »Er ist es nicht wert, dass du deinen Job riskierst. Oder dein Leben, wenn der Alte sich von dir bedroht fühlt und auf dich feuert. Ruf Thad an und sag ihm, dass der Wiedergänger erledigt ist. Um den Widerling kümmere ich mich.«
Connor merkte, wie sehr Gabriel weiter mit sich rang, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Muskeln zuckten in seinem Gesicht, als er die Kiefer fest aufeinanderpresste. Doch dann atmete er tief durch, riss seinen Arm aus Connors Griff und fischte sein Handy aus seiner Hosentasche.
Auch Connor atmete durch und wandte sich wieder seinem überaus reizenden Mitbürger zu.
»Sir, wir entschuldigen uns für alle Unannehmlichkeiten, die Ihnen der Polizeieinsatz auf Ihrem Grundstück bereitet hat. Es war nur zu Ihrem Besten. Schäden, die durch polizeiliche Mittel während unseres Einsatzes entstanden sind, werden Ihnen selbstverständlich von städtischer Seite ersetzt.« Er reichte dem Alten eine Visitenkarte. »Melden Sie sich morgen bei dieser Nummer, dann kommt ein Gutachter und bewertet den Schaden.«
»Na, wenigstens etwas!« Der Unsympath schnappte sich die Karte, wandte sich um und stampfte zurück ins Haus. »Und jetzt raus aus meinem Garten!«
Er knallte die Tür hinter sich zu und machte so unmissverständlich klar, dass er die drei nicht durch seine Wohnung zur Straße laufen lassen würde, sondern sie wieder über die Dächer klettern mussten.
»Hey Thad«, sagte Gabriel in betont heiterem Plauderton in sein Smartphone. »Der Einsatz ist beendet. Wir haben den Wiedergänger erledigt. Trotz Einmischung eines übereifrigen Anwohners, der uns alle verklagen will, weil er das Biest nicht selbst erledigen durfte. … Ja, natürlich will er auch Schadenersatz. Ein paar Spritzer Auraglue haben ein Fleckchen seines heiligen Rasens versengt. Davon sieht man morgen zwar vermutlich nichts mehr, aber hey, hier waren schließlich böse Totenbändiger am Werk. Vermutlich wächst da jetzt bis zum Sankt Nimmerleinstag nichts mehr.«
Zynismus triefte aus seiner Stimme. Einen Moment lang hörte er zu, dann verzog sich sein Gesicht zu einem ironischen Lächeln. »Ja, so was in die Richtung hätte ich gerade auch am liebsten mit ihm gemacht, aber du kennst doch Connor. Er ist unser Heiliger und fand den Einsatz von Gewalt gegen diesen Vollidioten leider ein No-Go.«
Er grinste unverschämt zu Connor hinüber, der jedoch bloß mit den Augen rollte und die Silberbox mit dem gefangenen Geist einsammelte.
»Yep. … Okay. … Kannst du für uns klären, ob der Geist ins Verließ geht oder eingeschmolzen werden soll? Ich hab keine Lust auf ewige Bürokratie, wenn wir mit dem Biest am Tower ankommen. … Danke. … Sollen wir vorher noch zur Finsbury Park Station? Können die Spuks dort noch Unterstützung gebrauchen?«
»Und da sagt er, ich bin hier der Heilige«, murmelte Connor und schlang sich den Rucksack über die Schulter.
Sky grinste und gab ihm einen Kuss. »Sagen wir mal so: Ich weiß, warum ich euch beide so unglaublich liebe. Jeden auf seine ganz eigene Art.«
Kapitel 5
Die Ravencourt Comprehensive School war ein typischer Schulkomplex aus mehreren Gebäuden, Schulhof, Parkplatz und angrenzendem Sportplatz. Irgendwann vor nicht allzu langer Zeit waren die Gebäude saniert worden und wirkten mit ihrem frischen Anstrich und den großen Fenstern hell und einladend. Auf dem Schulhof fanden sich die typischen Bänke und Picknicktische, ein paar Tischtennisplatten sowie ein Basketballfeld. Entlang des Eisenzauns, der das komplette Schulgelände schützte, standen alte Ahornbäume und Magnesiumlaternen. Unterricht fand zwar nur bei Tageslicht statt, doch man musste Gebäude