Nathans Stimme! Seines Sohnes Stimme! Ich höre die Stimme Nathans, der seinen Vater vor Kummer und Elend in meinen Armen sterben liess, der das Haus seines Vaters verliess und den Gott seines Vaters verliess.
Jedes Wort ist so tief, Leopold.
Armer Papa! Armer Mann! Ich bin froh, dass ich nicht ins Zimmer ging, sein Gesicht zu sehen. Das war ein Tag! Ach du lieber Gott! Na, vielleicht war es das Beste für ihn.
Bloom ging um die Ecke und dann vorbei an den müden Droschkengäulen. Zwecklos, weiter daran zu denken. Futtersackzeit. Möchte nur, ich hätte diesen M’Coy nicht getroffen.
Er kam näher und hörte Zermalmen goldenen Hafers, leicht kauende Zähne. Ihre grossen, fleckigen Augen sahen ihn an, als er vorbeiging; unter ihnen her strömte der süsse Hafergeruch ihrer Pisse. Ihr Eldorado. Arme Narren. Ihre langen Nasen in den Futtersäcken, ist ihnen alles andere einerlei. Zu voll, um zu sprechen. Sie haben Kost und Logis. Kastriert sind sie auch: ein schwarzer Guttaperchastumpf schwabbelt zwischen ihren Hanken. Können deshalb doch glücklich sein. Sie sehen gutmütig und blöde aus. Ihr Wiehern kann aber doch sehr aufreizend sein.
Er zog den Brief aus der Tasche und faltete ihn in die Zeitung, die er in der Hand hatte. Könnte ihr hier grade in den Weg laufen. Die Gasse ist sicherer.
Er ging vorbei an der Kutscherkneipe. Seltsames Leben so ein Droschkenkutscherleben, bei jedem Wetter, überall hin, nach Stunde oder Weg, keinen eigenen Willen. Voglio e non. Gebe ihnen gerne ’ne Zigarette. Gesellig. Rufen ein paar fliegende Silben, wenn sie vorbeifahren. Er summte:
Là ci darem la mano
La la lala la la.
Er bog in die Cumberland Street, ging einige Schritte weiter, machte dann halt auf der Leeseite der Bahnhofsmauer. Niemand. Meades Holzplatz. Aufgehäufte Balken. Ruinen und Mietskasernen. Mit sorgsamem Schritt ging er über einen Hüpfspielplan mit seinem vergessenen Hüpfstein. Kein Mensch. In der Nähe des Holzplatzes hockte ein Kind allein beim Knickerspiel, schob den Knicker mit geschicktem Daumen. Eine kluge, alte, getigerte Katze, eine blinzelnde Sphinx, passte auf von ihrer warmen Schwelle. Schade, dass ich sie störe. Muhamed schnitt ein Stück aus seinem Mantel, sie nicht zu wecken. Will jetzt aufmachen. Einmal spielte ich auch Knicker, als ich bei der alten Dame in die Schule ging. Sie liebte Reseda. Frau Ellis. Und Herr? Er öffnete den Brief in der Zeitung.
Eine Blume. Ich glaube, es ist eine. Eine gelbe Blume mit plattgedrückten Blättern. Also nicht böse? Was schreibt sie denn?
Lieber Henry,
Deinen letzten Brief habe ich erhalten und danke dir herzlich dafür. Es tut mir leid, dass dir mein letzter Brief nicht gefiel. Warum legtest du die Briefmarken bei? Ich bin dir furchtbar böse. Ich möchte, ich könnte dich dafür strafen. Ich nannte dich böser Junge, weil ich das andere Wort nicht leiden kann. Sage mir, welches die wirkliche Bedeutung dieses Wortes ist. Bist du nicht glücklich in deinem Heim, du lieber, kleiner, böser Junge? Ich möchte, ich könnte etwas für dich tun. Sage mir bitte, was du eigentlich von mir denkst. Ich denke oft an deinen schönen Namen. Lieber Henry, wann treffen wir uns? Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft ich an dich denke. Nie fühlte ich mich so sehr zu einem Mann hingezogen wie zu dir. Ich komme mir deswegen so schlecht vor. Bitte schreibe mir einen langen Brief und erzähle mir mehr. Vergiss nicht, dass ich dich strafe, wenn du es nicht tust. So jetzt weisst du, was ich dir tue, du böser Junge, wenn du nicht schreibst. Ach, wie sehne ich mich danach, dich zu treffen. Lieber Henry, tue, um was ich dich bitte, bevor meine Gedülde erschöpft sind. Dann erzähle ich dir alles. Und jetzt auf Wiedersehen, du böser Liebling. Ich habe heute so grässliche Kopfschmerzen und schreibe postwendend deiner sehnsüchtigen
Martha.
P. S. Sage mir, welches Parfum deine Frau gebraucht. Ich will das wissen.
Ernst riss er die Blume aus ihrem Nadelhalter, roch ihren fast Nichtduft und steckte sie in die Brusttasche. Blumensprache. Die haben sie gerne, weil niemand sie hören kann. Oder ein vergifteter Strauss, ihn zu töten. Dann ging er langsam weiter, las den Brief noch einmal, murmelte dann und wann ein Wort. Böse Tulpen auf dich Liebling Mannblume bestrafen dein Kaktus wenn du nicht bitte armes Vergissmeinnicht wie ich mich sehne Veilchen zu liebe Rosen wenn wir bald Anemone uns treffen böser Nachtschatten Frau Marthas Parfum. Als er ihn zu Ende gelesen hatte, nahm er ihn aus der Zeitung und steckte ihn in die Seitentasche.
Schwache Freude öffnete seine Lippen. Anders geworden seit dem ersten Brief. Ob sie das wohl selbst geschreibt hat? Spielte die Empörte: ein anständiges Mädchen wie ich, aus guter Familie. Könnten uns eines Sonntags nach dem Rosenkranz treffen. Danke: verzichte. Gewöhnliches Liebesgeraufe. Dann Herumlaufen um Ecken. So schlimm wie ein Krach mit Molly. Zigarre wirkt beruhigend. Narkotikon. Gehe nächstes Mal weiter. Böser Junge: bestrafen: Angst vor Worten, natürlich. Brutal, warum nicht? Will’s mal versuchen. Immer langsam voran.
Er befühlte immer noch den Brief in seiner Tasche, zog die Nadel heraus. Ganz gemeine Nadel, was? Er warf sie auf die Strasse. Irgendwoher aus ihren Kleidern: zusammengesteckt. Seltsam, wieviel Nadeln die immer am Leibe haben. Keine Hose ohne Dorn.
Breite Dublin-Stimmen schrien in seinem Kopf. Die beiden Weibsbilder damals nachts in der Coombe, Armin Arm, im Regen.
O, Maarie verlor die Nadel ihrer Hose,
Was sollte sie nur tun,
Sie zu halten,
Sie zu halten.
Sie? Sie. So grässliche Kopfschmerzen. Hat wahrscheinlich ihre roten Tage. Oder sitzt den ganzen Tag an der Schreibmaschine. Augenfocus schlecht für Magennerven. Welches Parfum gebraucht deine Frau? Nein, so ’ne Idee.
Sie zu halten.
Martha, Maria. Hab das Bild irgendwo gesehen, weiss nicht mehr, alter Meister oder Fälschung. Er sitzt in ihrem Hause, plaudert. Geheimnisvoll. Auch die beiden Weiber in der Coombe würden zuhören.
Sie zu halten.
Nette Abendstimmung. Kein Umherwandern mehr. Hinlegen: ruhiges Halbdunkel: alles laufen lassen wie es will. Vergessen. Von Orten erzählen, wo man gewesen ist, seltsamen Sitten. Die andere, Krug auf dem Kopf, machte das Abendessen fertig: Früchte, Oliven, lieblich kühles Wasser aus dem Brunnen, steinkalt, wie der Brunnen in der Mauer in Ashtown. Muss das nächste Mal, wenn ich zum Trabermatch gehe, einen Papierbecher mitnehmen. Sie lauscht mit grossen dunklen weichen Augen. Ihr erzählen: immer mehr: alles. Dann ein Seufzer: Schweigen. Lange lange lange Ruhe.
Als er unter der Eisenbahnbrücke herging, zog er den Umschlag hervor, zerriss ihn schnell und warf die Schnitzel auf den Weg. Die Schnitzel flatterten fort, versanken in der nasskalten Luft: ein weisses Flattern, dann war’s vorbei.
Henry Flower. Könnte genau so einen Scheck über hundert Pfund zerreissen. Einfaches Stück Papier. Lord Iveagh kassierte einmal einen siebenstelligen Scheck über eine Million in der Bank von Irland. Zeigt, wieviel Geld man aus Porter machen kann. Lord Ardilaun, der andere Bruder, soll, wie man sagt, das Hemd viermal am Tage wechseln müssen. Haut brütet Läuse oder Ungeziefer. Eine Million Pfund, warte mal. 2 Pence die Pinte, 4 Pence das Quart, 8 Pence eine Gallone Porter, nein, 1 und 4 Pence die Gallone Porter. 1 und 4 in zwanzig: ungefähr 15. Ja, genau. Fünfzehn Millionen Fass Porter.
Was sage ich, Fass? Gallonen. Doch ungefähr eine Million Fass. Ein einfahrender Zug ratterte schwer über seinem Kopf, Wagen nach Wagen. Fässer bumpsten in seinem Kopf: fader Porter schwappte drin und wurde Schaum. Die Spunde sprangen auf, und eine grosse, fade Flut leckte heraus, floss zusammen, wand sich durch niedriges Vorland über das ebene Land, eine träge, strudelnde Flüssigkeit, auf der grossblättrige Schaumblumen schwammen.
Er hatte die offene Hintertür von All Hallows erreicht. Als er in die Vorhalle trat, nahm er den Hut ab, zog die Karte aus der Tasche und steckte sie wieder hinter den Lederstreifen. Verdammt! Ich hätte doch versuchen sollen, durch M’Coy ein Freibillett nach Mullingar zu bekommen.