V. Kapitel.
Die Schöpfung, ein Spiegelbild der Größe Gottes, kündet des Schöpfers Lob. Die Welt kein Schatten, kein Abglanz Gottes; Bild und Abglanz des Vaters der Sohn Gottes.
17.
Es ist diese Welt ein Spiegelbild des göttlichen Schaffens: das Schauen des Werkes führt zum Lobe des Meisters. Es verhält sich da ähnlich wie mit den Künsten. Diese sind teils praktischer Art, beruhend in Körperbewegung oder im Ton der Stimme ― die Bewegung oder der Ton geht vorüber, und nichts bleibt den Zuschauern oder Zuhörern hiervon übrig und zurück ―; teils theoretischer Art, die ihre Anforderungen an die geistige Kraft stellen; teils derart, daß das Werk als solches, wenn auch der Akt des Wirkens vorübergeht, noch wahrnehmbar bleibt, wie ein Bau, ein Gewebe63. Schweigt auch der Künstler, geben diese doch Kunde von seinem Können, so daß das Werk den Meister lobt. Ähnlich ist auch diese Welt ein Spiegel der göttlichen Majestät, aus welchem Gottes Weisheit widerstrahlt. Sie betrachtete der Prophet und richtete zugleich das Auge seines Geistes zum Unsichtbaren empor: da rief er aus: „Wie erhaben sind deine Werke, o Herr! Alles hast du in Weisheit gemacht“64.
18.
Nicht umsonst sicherlich lesen wir: „geschaffen“; denn65 gar manche Heiden, welche die Welt gerne als den Schatten der göttlichen Kraft, gleichewig mit Gott hinstellen möchten, behaupten, sie subsistiere von selbst. Wiewohl sie zugestehen, daß sie ihren Grund in Gott hat, wollen sie doch diesen Grund nicht aus seinem Willen und Walten hergeleitet wissen, sondern nach Analogie des Schattens, der seinen Grund in einem Körperding hat. Der Schatten folgt ja dem Körper, und der Strahl dem Lichte mehr infolge einer natürlichen Zugehörigkeit als einer freien Willensbestimmung. Mit feiner Berechnung also betonte Moses: „Gott hat den Himmel und die Erde geschaffen“. Er sagte nicht: Er hat sie subsistieren gemacht; er sagte nicht: er hat der Welt die Ursache des Seins mitgeteilt, sondern: er schuf als der Gütige, was da frommte, als der Weise, was ihm als das Beste dünkte, als der Allmächtige, was er als das Erhabenste voraussah. Wie aber hätte die Welt ein Schattenwurf sein können, nachdem kein Körperding da war? Von der unkörperlichen Gottheit konnte doch kein Schatten fallen. Wie könnte desgleichen von einem immateriellen Lichte ein materieller Glanz ausstrahlen?
19.
Doch wenn du nach dem Abglanze Gottes fragst: Der Sohn ist das Bild des unsichtbaren Gottes. Wie also Gott, so auch das Bild: Unsichtbar ist Gott, unsichtbar auch das Bild. Es ist nämlich der Sohn der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters und das Bild seiner Wesenheit66. „Im Anfang“, heißt es, „hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen.“ Geschaffen also ward die Welt, und zu sein angefangen hat sie, die nicht war; das Wort Gottes aber war am Anfange67 und war immerdar. Aber auch die Engel, Herrschaften und Gewalten, die zwar einmal zu sein anfingen, waren bereits da68, bevor diese Welt geschaffen wurde. Denn „alles ist erschaffen und gemacht worden, das Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: Alles, heißt es weiter, ist durch ihn und für ihn erschaffen worden“69. Warum „für ihn erschaffen“? Weil er der Erbe des Vaters ist, indem vom Vater das Erbe auf ihn übergegangen ist, wie es der Vater beteuert: „Verlange von mir, und als dein Erbe will ich dir die Völker geben“70. Indes vom Vater ging dieses Erbe auf den Sohn über, und auf den Vater fällt es vom Sohne zurück. Nachdrucksvollst bezeichnet also der Apostel einerseits an der obigen Stelle den Sohn als den Urheber aller Dinge, dessen Majestät alles umfaßt; andrerseits schreibt er an die Römer von dem Vater: „Denn aus ihm und durch ihn und für ihn ist alles“71: „aus ihm“ der Anfang und Ursprung der Wesenheit aller Dinge, d. i. aus seinem Willen und seiner Macht ― aus seinem Willen nämlich nahm alles seinen Anfang; denn der eine Gott ist der Vater, aus dem alles ist; aus dem Seinigen gleichsam schuf er, der da schuf, woraus er wollte ― „durch ihn“ der Fortbestand, „für ihn“ das Endziel: „aus ihm“ also der Stoff, „durch ihn“ die Kraft, die das All in bindende und zwingende Gesetze fügte, „für ihn“ alles, weil es, solange er will, durch seine Kraft fortdauert und fortbesteht und sein Endziel, zu dem es zurückstrebt, in Gottes Willen hat und nach dessen freiem Belieben der Auflösung anheimfällt.
VI. Kapitel.
Die vier Elemente. Der Himmel ätherisch und gewölbartig. Die Erde “im Nichts hängend” kraft des göttlichen Willens. Keine Quintessenz als Himmelssubstanz.
20.
Am Anfange der Zeit hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen72. Eine Zeit gibt es nämlich erst seit dieser Welt, nicht vor der Welt; der Tag aber ist ein Teil, nicht der Anfang der Zeit. Wir könnten nun zwar an der Hand des verlesenen Schrifttextes dartun, wie der Herr zuerst den Tag und die Nacht, den Wechsel der Zeiten, schuf, und am zweiten Tage sodann eine Feste schuf, durch welche er das Wasser unter dem Himmel und das Wasser über dem Himmel schied. Doch für die gegenwärtige Erörterung genügt vollauf der Hinweis, daß Gott am Anfang den Himmel schuf mit dem (zeitlichen) Vorrecht der Hervorbringung (der Dinge am Himmel) und der Ursache hiervon, und die Erde schuf mit dem Grundstoff zur Hervorbringung (der Dinge auf der Erde)73. In ihnen wurden nämlich die vier Elemente erschaffen, aus welchen alle diese Dinge in der Welt bei ihrem Werden bestehen. Die vier Elemente aber sind: Himmel, Feuer, Wasser und Erde, die in allen Dingen vermischt vorhanden sind74. So findet sich in der Erde Feuer vor, das sich häufig aus Gestein und Eisen schlagen läßt; auch ist es wohl begreiflich, daß im Himmel, nachdem er eine feurige, von funkelnden Sternen schimmernde Zone ist, Wasser vorhanden ist, das teils über dem Himmel ist, teils von jener höheren Region in häufigem, reichlichem Regen niederströmt. Wir könnten dies noch an vielen Erscheinungen erhärten, wenn uns solches irgendwie zur Erbauung der Kirche ersprießlich dünkte75. Da es aber ein fruchtloses Mühen wäre, sich damit zu beschäftigen, wollen wir unseren Geist lieber auf jene Wahrheiten lenken, die für das ewige Leben förderlich sind.
21.
Es mag also genügen, über die Beschaffenheit und Substanz des Himmels das vorzubringen, was wir bei Isaias [Jesaia] niedergeschrieben finden, der in schlichten und gebräuchlichen Wendungen die Beschaffenheit der Himmelsnatur mit den Worten zum Ausdruck brachte: (Gott) habe den Himmel „wie Rauch gefestigt“76. Er wollte damit erklären, daß dessen Substanz von feiner, nicht kompakter Art sei. Auch die Gestalt desselben wird genugsam durch das angedeutet, was er von der Himmelsfeste aussagte: Gott habe den Himmel „wie ein Gewölbe geschaffen“77, insofern nämlich alles, was im Meere oder auf dem Lande sich regt, vom weiten Himmelsraume umschlossen wird. Das wird in ähnlicher Weise auch angedeutet, wenn man liest, Gott habe „den Himmel ausgespannt“78. Ausgespannt ist er nämlich: sei es wie ein Fell zu Gezelten, den Wohngezelten der Heiligen, sei es wie eine Buchrolle zur Einschreibung der Namen jener Ungezählten, die Christi Gnade durch Glaube und Frömmigkeit sich verdienten, denen die Versicherung gilt: „Freuet euch, denn eure Namen stehen eingeschrieben im Himmel!“79
22.
Auch von der Erde Beschaffenheit oder Lage zu handeln80, würde in betreff der Zukunft nichts frommen. Es mag genügen zu wissen, daß