Ferdinand sah ihn pfiffig an: »Wir hatten janischt Wichtiges. Fräulein Aujuste wollte mir nur ’nen Taler Trinkjeld jeben – ick mach’ mir aber nischt aus ’n Taler Trinkjeld!«
»Sondern?« sagte Herr Zibulke. Und als Ferdinand nur die Achseln zuckte, setzte er hinzu: »Aber aus tausend – wat?« Ferdinand lachte laut auf. »Und wenn Sie fufzigtausend sagen, wird’s mir noch nich heiß!«
»Aber bei hunderttausend, wat?«
»Det käme druff an!«
»So? Ja – da werden die jungen Männer schwach! Kenn’ ick, weeß ick! Da bekommen se jleich Jefühle! Sagen Se mal, wie is denn, woll’n Se nich nächsten Donnerstag ’ne scheene Landpartie mitmachen – per Kremser, wat?«
Ferdinand hatte nicht nein, aber auch nicht ja gesagt, nur nach Fräulein Auguste geblickt – ein Blick, der sie von oben bis unten erfaßte, unter dem sie sich förmlich wand.
Nun war er auf der Rückfahrt. An einem der Chausseebäume auf dem Tempelhofer Feld saß eine merkwürdige Gestalt, ein noch junger Mensch, bekleidet mit Manchesterhosen, schwarzem Rock und großem Schlapphut. Um den Hals hatte er ein rotes Tuch geschlungen, in der Hand hielt er eine Schnapsflasche. Er saß da und sang:
»Kommen Se ’rin, kommen Se ’rin, kommen Se ’rin,
Kommen Se ’rin in die jute Stube ...«
Ferdinand hielt den Wagen an: »Timpe – Anton Timpe, du hast woll blauen Montag jemacht?«
Der Mensch erhob sich schwerfällig, starrte den Bierfahrer ein Weilchen an und sagte: »Ick kenne dir – du bist der scheene Ferdinand! Mein Name is Anton Timpe. Steinmetz Anton Timpe – ein Künstlerer aus die Möckernstraße – Jrabkreuze – Todesengel – jeborstene Säulen.«
»Jawoll – det weeß ick! Und wenn du deine Kusine siehst – Röschen Schmidt –, denn sage ihr man: Der scheene Ferdinand hat ’ne andere.«
Aber der »Künstlerer« Anton Timpe betrachtete diese Mitteilung nur als Aufforderung zum Singen. Er nahm noch einen kräftigen Schluck aus der Flasche und hob dann mit lauter Stimme an:
»Herr Schmidt, Herr Schmidt –
Wat bringt det Rösken mit?
’n Schleier und ’n Federhut –
Der steht dem Rösken jar zu jut ...«
Und schwankend setzte er sich in Bewegung und torkelte über das von der Sonne durchglühte Feld. Ferdinand schnalzte mit der Zunge und zog die Zügel an. Die beiden wohlgenährten Braunen setzten sich, schon längst ungeduldig durch die umschwärmenden Bremsen, sofort in Gang, und als sich Ferdinand dann noch einmal umsah, war Anton Timpe mit seiner Schnapsflasche am Horizont verschwunden.
Am Abend aber kletterte Ferdinand durch den lockeren, weißen Sand zum Kreuzberg hinauf und ließ sich neben dem Denkmal des Freiheitshelden nieder. Weltabgeschieden und einsam saß er da und starrte auf das bunte Durcheinander der Dächer.
Ein letzter Sonnenglanz lag über der großen Stadt, aus allen Schornsteinen kringelte blauer oder grauer Rauch. In weiter Ferne leuchtete die goldene Gestalt auf der Siegessäule, Ferdinand erkannte auch die grüne Kuppel des Schlosses, den Turm der Jerusalemer Kirche, in der er eingesegnet worden war – und plötzlich legte er den Kopf an das eiserne Gitter, schluckte und würgte, wischte sich mit dem Handrücken die naßgewordenen Augen und sagte halblaut: »Ja, ja – Ri-Ra-Rösiken – alles is futsch.« Als er sich wieder aufrichtete, war die Dämmerung völlig hereingebrochen, Berlin lag in schweren, grauen Dunstschleiern, nur das fahle Grün der Bäume aus den Gärten am Fuße des Berges schimmerte noch deutlich erkennbar herauf.
Ferdinands Gesicht hatte alle Weichheit verloren. Er erinnerte sich, wie Mamsell Röschen fortgeblickt, als er am Nachmittag am Küchenfenster vorbeigegangen war.
»Zu arm bin ick ihr – na, denn soll se sehen, det der reiche Vater von eener andern froh is, wenn er mir kriejen kann. Da hab’ ick nu mal wirklich eene jeliebt, und da muß es nu so kommen! Und nu will ick ooch nich mehr, nu renne ick in mein Unjlick und mache beede Oojen zu!«
3
Als der schöne Ferdinand erklärt hatte, daß er am nächsten Donnerstag nicht fahre, weil er etwas »Wichtiges« vorhabe und deshalb den ganzen Tag frei haben müsse, war es in der Brauerei zu einer unerwartet scharfen Auseinandersetzung gekommen. Ferdinand merkte, daß dahinter etwas stecken mußte, daß man etwas gegen ihn hatte – gegen ihn, der doch von jeder Ausfahrt neue Kundschaft brachte.
Gut, dann wollte er es darauf ankommen lassen, ob man ihm wirklich kündigte. Aber ihm war doch etwas unbehaglich, als er nun heute früh statt des weißen Drillichanzuges seinen guten, schwarzen Rock angezogen und statt der Mütze einen harten, runden Hut aufgesetzt hatte. Die Sachen hatten, weil er sie fast nie brauchte, in der Mottenkiste gelegen und rochen nach persischem Insektenpulver – ein Geruch, der Ferdinand immer an Tod und Begräbnis erinnerte, da er die Sachen bisher nur bei solchen traurigen Gelegenheiten getragen hatte.
Und dieser Geruch saß ihm in der Nase und wirkte auf seine Stimmung. Der Rock paßte ihm außerdem nicht mehr, war zu eng geworden und kniff ihn in den Achselhöhlen. Und der Teufel wußte, wie es zuging, aber in diesem Anzug wurde er stets ein tolpatschiger Bursche, der sich selbst ungeschickt vorkam.
All das aber hatte ihn nicht gehindert, sein Vorhaben auszuführen, zu Fuß nach der Lindenstraße zu gehen und die Landpartie mitzumachen.
Eine merkwürdige Gesellschaft, die da, in dem Kremser vereinigt, von den zwei mageren, sehnigen Pferden gezogen, unterwegs nach Pichelsberge war. Herr Zibulke hatte einen »Salz- und Pfeffernen« an und sah mit dem vorgebundenen Chemisett und dem breiten Umlegekragen ganz manierlich aus. Seine Frau aber schien nur aus einem türkischen Umschlagetuch und einem Kapotthut mit Kamillenblüten zu bestehen, denn der Kopf war ihr auf die Brust gesunken – sie schlief, trotz der holperigen Fahrt. Fräulein Auguste war ganz in Weiß mit einer schottisch karierten Schärpe und einem Florentiner mit Vergißmeinnicht. Sie saß neben Ferdinand und lutschte Fruchtbonbons, weil sie den Schlucken bekommen hatte – einen hartnäckigen Schlucken von solcher Heftigkeit, daß sie jeden Augenblick zusammenfuhr. Der Herr neben ihr, ein Onkel oder Vetter – Ferdinand verwechselte die Verwandtschaftsgrade noch –, hatte eine riesige grüne Botanisierbüchse auf den Knien, die ganz mit blauen Pflaumen gefüllt war. Trotzdem ihn seine Frau, bei der sich eine Korsettstange gelöst und durch das »Lila-Seidene« gebohrt hatte, dringend warnte, hörte er nicht auf sie, aß unentwegt Pflaumen und spuckte die Kerne über den Kopf eines kleinen, blonden Mädchens, das sich dann jedesmal sein Haar befühlte und »Aua!« sagte.
Auch die übrigen Personen waren Verwandte, aber Leute, die es nicht so gut verstanden hatten, in der Gründerzeit reich zu werden, wie der »olle Zibulke«, und die nun heute, auf seine Kosten, einen guten Tag leben wollten. Denn das schätzten sie an ihm: Wenn er sie einmal einlud, dann knickerte er mit dem Gelde nicht, so genau er sonst auch mit jedem Pfennig zu rechnen verstand. Freilich, solche Einladung war ein seltenes Ereignis und hatte immer ihren bestimmten Grund – heute konnte man ihn sich denken, wenn man auf den strammen Bierfahrer und Gustchen sah. Verständnisinnige Blicke flogen hin und her. Gewiß, gewiß – einen solchen Schwiegersohn hätte sich jede der Frauen gewünscht, wenn er – was gehabt hätte! Aber er hatte doch nichts! Na, Zibulke konnte es sich ja leisten – wo hätte er denn schließlich auch sein Geld lassen sollen. Es war höchste Zeit, daß Gustchen einen Mann bekam!
Die Männer nuppelten an ihren Zigarren, deren Stummel sie in kleine Weichselrohrspitzen steckten oder auf Streichhölzer spießten, wenn sie sie mit den Fingern nicht mehr halten konnten. Der eine war Schuhmacher, der andere Klempner, ein dritter Glaser – alle selbständige Leute, die es sich leisten konnten, mal einen Tag im Jahr ihr kleines Ladengeschäft zu schließen, um einen Ausflug zu machen.
Und sie sprachen von den Freuden, die ihrer warteten. Man wollte Kahn