Jetzt verschwand der Diener im Hause, alle reckten die Hälse, Stille trat ein, denn nun mußte das Hochzeitspaar kommen. Und es kam: Ferdinand, in schwarzem gutsitzendem Rock mit dem glänzenden Zylinder, sah so stattlich aus, daß allen weiblichen Personen plötzlich das Herz schwach wurde.
»Een scheener Mann – wat könnte der for ’ne Braut haben!«
Und die Blicke glitten auf Gustchen, die – ganz in weißer Seide – wie ein Anhängsel neben ihm aussah. Die lange Schleppe fegte das festliche Grün zusammen, und der Diener gab sich alle Mühe, sie zu fassen und zu tragen, erreichte dies aber erst, als Gustchen schon halb im Wagen war. Und während er die Schleppe noch ordnete, stand Ferdinand da und hielt allen Blicken ruhig stand. Ach, wie vielen Mädchenaugen begegnete er, die ihn liebevoll-vergrämt ansahen – doch die, die er zu suchen schien, war nicht darunter. Dann bückte er sich plötzlich, um mit dem hohen Hut in die Kutsche zu kommen, und stieg ein. Der Diener schlug die Tür zu, der Kutscher knallte mit der Peitsche, und die Menge stob auseinander, denn die Schimmel zogen sofort scharf an.
Und nun fuhr die Droschke vor, und das Ehepaar Zibulke, das hinter der Haustür gestanden, trat auf die Straße. Man hatte nicht erwartet, daß es einen so würdigen Eindruck machen könnte, war daher einigermaßen erstaunt, und erst als die Droschke davonratterte, machte sich dieses Erstaunen Luft. »Der Mann würde janz anders intaxiert werden, wenn er sich nicht immer in Pantinen und Hemdsärmeln uff die Straße zeigte!«
»Und ooch die Olle nich, ick dachte wunder, wie die sich uffjetakelt haben würde, aber da hat sie bloß ihr jutes Schwarzes anjehabt!«
»Wenn sie ihre Juste so’n Mann koofen, kann sie sich natürlich nischt Neiet machen lassen!«
»Reden Sie doch nich – die Leite sind immer sparsam jewesen, d’rum haben sie’s ja ooch zu wat jebracht!«
»Und det det Meechen, die Juste, sich nich den ersten besten nimmt, sonnern eenen, der ihr jefällt, is doch ooch zu bejreifen!«
»Bloß der Mann hätte ihr lieben sollen, aber der is ja nur nach’s Jeld jejangen, und darum hätten wir’n ausfeifen sollen. Aber nee, da steht die janze Jänseherde und verdreht die Oojen in’ Koppe wie ’ne Zieje, wenn sie jemolken wird!«
Es war gut, daß der Gemüsehändler, der das gesagt, sich gleich darauf in seinen Keller verziehen konnte, denn alles, was weiblich war, nahm nun erregt gegen ihn Partei.
Unterdessen fuhren, von allen Seiten kommend, vier Droschken vor dem Portal vor, während die leere Hochzeitskutsche noch einmal eine Runde um die Kirche machte, bis sich die Schimmel endlich soweit beruhigt hatten, um auf ihren Plätzen still zu stehen. Auch hier war eine große Schar Neugieriger, die das Brautpaar erwartet hatten und nun die Anfahrt der Hochzeitsgäste beobachteten. Als alle Einlaß gefunden, drängte noch eine große Anzahl anderer nach, die sich dann seitwärts auf entlegenen Bänken oder oben auf dem Chor niederließen.
Dort, von einem Pfeiler verdeckt, saß auch Röschen Schmidt. Das heftige, lautlose Weinen linderte ihren Schmerz, sie gewann allmählich ihre Fassung wieder, und als das junge Paar dann die Kirche verließ, stand sie ruhig und ernst vor dem Portal, den Blick auf Ferdinand gerichtet.
Er sah sie, blieb aber völlig unbeweglich, wandte auch nicht den Kopf, als gleich darauf ein paar andere aufgeregte Mädchen, die in der Menge standen, ihm etwas nachriefen. Und dann rollte der Wagen davon, die Droschken fuhren der Reihe nach vor und brachten die Gäste nach der Lindenstraße, wo alle in Mielenz’ Gartenlokal verschwanden.
9
In der zehnten Abendstunde, als das Hochzeitsfest seinen Höhepunkt erreicht hatte, nickte Ferdinand Gustchen zu und verschwand mit ihr, ohne daß es weiter auffiel. Draußen vor dem Haustor hielt eine geschlossene Droschke, die sie rasch bestiegen. Der Kutscher riß dem Gaul den Blecheimer von der Schnauze, stieg auf und fuhr mit dem jungen Ehepaar davon.
Ein feiner Sprühregen fiel, von den Bäumen am Landwehrkanal rieselten die gelben Blätter ins Wasser – man spürte, der Herbst hatte jetzt endlich die Herrschaft angetreten. Nun bog die Droschke bei der alten Weide in die Flottwellstraße ein, gelangte an der häßlichen, unendlich langen Mauer des Eisenbahnkörpers in die Dennewitzstraße und fuhr dann in der dort herrschenden Dunkelheit vorsichtig und langsam weiter, um endlich in die Bülowstraße einzubiegen. »Det is ja noch allens unbebaut, ick finde mir hier mit dem Jaul nich zurechte«, rief der Kutscher in den Wagen, als Ferdinand auf das Klopfen mit dem Peitschenstiel den Wagenschlag öffnete.
»Fahren Se man noch ’n Stücksken – bei die Steinmetzstraße is’s!« rief Gustchen ihm zu. Und so ratterte der Wagen noch ein wenig weiter und hielt dann plötzlich mit hartem Ruck.
»Hier muß et sind«, sagte der Kutscher. »Sehen Se mal selbst nach, ick kann nich von’n Bock ’runter!«
Überall hinter Bretterzäunen wurden Hunde rebellisch. Aus dem Neubau, vor dem die Droschke hielt, kam ein kühler Duft von Mörtel und Ölfarbe. Und plötzlich löste sich aus der Dunkelheit eine Gestalt, trat in den Lichtschein der Wagenlaterne, und Gustchen fuhr erschrocken zurück, als sie den dicken Knotenstock eines Mannes und das neben ihm an der Leine gehaltene Untier von Hund erblickte.
»Ick bin der Neubauwächter«, sagte der Mann, »wenn Sie Herr Koblank sind, denn is hier richtig, denn steigen Sie man aus. Ihre Liese sitzt schon oben in die Wohnung und jrault sich zu Tode. Ick jratuliere ooch dem jungen Paar! Warten Se, ick hole bloß meine Latichte aus’n Flur und bind’ den Hund an, denn führe ick Ihnen ’ruff; Kutscher, Sie können ja nu durch die Potsdamer Straße zurück, da braucht der Jaul hier nich bei die Dunkelheit umzudrehen, und da haben Sie doch wenigstens ’n paar Laternen unterwegs!«
Ferdinand half Gustchen aus dem Wagen, drückte dem Kutscher zu dem Fuhrlohn einen Taler in die Hand und zog dann, als die Droschke abfuhr, seine Frau über Schutt- und Steinhaufen nach. Aber da kam schon der Wächter mit der auf den Bauch geschnallten Laterne, die einen scharfen Petroleumgeruch verbreitete.
»Fassen Sie mir an’n Arm, junge Frau, und kieken Se immer uff die Erde, ick dreh’ die Latichte so, det Sie allens sehen und nich stolpern können. Drinne in’t Haus is hell, ick habe die Stearinlichte uff die Treppe anjestochen, denn det Haus hat noch keen Jas nich, wenn ooch die Leitung schon jelegt is.«
Endlich waren sie im Innern des Hauses, stiegen zum ersten Stockwerk hinauf, und mit einem Freudengeschrei kam ihnen die verängstigte Liese entgegen. »Jott sei Dank, det Se da sind, Fräulein Juste – Frau Koblank wollt’ ick sagen! Det is ’ne Jejend, wie konnten Sie man bloß hierherziehen! Det is ja uff’s Land, uff’s Dorf! Scheeneberg is janz dichte bei.«
Der Wächter lachte. »Die möcht’ ick uff’n Pfeifenkopp haben, die Beene über’n Abjuß«, sagte er.
»Und ’n Vers drunter«, ergänzte Ferdinand die Redensart.
»Da – wie heeßen Sie eijentlich?«
»Schimpkus!«
»Da – Schimpkus, haben Se wat! Liese, jeben Sie dem Mann ’n paar Flaschen Bier, hier haben Se ooch noch ’n juten Ziehjarren. So – und nu wollen wir mal!«
Damit ging Ferdinand aus dem Entree in die Berliner Stube, wo die neue Salonstehlampe brannte und Gustchen vor dem über der Kommode hängenden Spiegel sich den Schleier und den Myrtenkranz abzumachen versuchte.
»Mit det Biest reiße ick mir noch die janzen Haare vom Koppe«, sagte sie verzweifelt, »wie mir det