Wir ritten auf der großen, breiten Straße, die durch die Vororte führte. In einigen Geschäften hatten wir Plakate ausgehängt. Deshalb standen auf den Treppen überall Menschen und erwarteten uns. Aus beinahe allen Fenstern grüßten uns freundlich lächelnde Gesichter. Agneta lächelte nicht weniger freundlich zurück und winkte den Zuschauern wie eine Königin aus ihrer Kutsche zu.
Billy beunruhigten die vielen Menschen, und der Heinzelmann, der ihn führte, hatte viel Mühe mit ihm.
Der Wind ließ nach und die Luft schien milder zu werden. Der Schnee fiel jetzt wohlwollend in großen, weichen Flocken auf uns herab. Die Straße wurde zu einer ausgezeichneten Bahn für unseren Schlitten.
„Wir sollten ein Lied singen“, schlug jemand vor.
Einige der kleinen, roten Wichte kletterten vom Ende des Zuges in den Schlitten. Anfangs drohte ihr Gesang in albernem Kichern unterzugehen. Aber dann wurden sie von der ernsten Feierlichkeit gepackt und nahmen ihren ganzen Mut zusammen. Ihre hellen, reinen Kinderstimmen drangen durch die Nacht: „Kling Glöckchen, kling“ und „Stille Nacht, heilige Nacht“.
Das war so stimmungsvoll und ergreifend, daß es mir vorkam, als schwebten wir. Der Alltag war vergessen, die Wirklichkeit unwirklich. Dieses Idyll einer schönen Weihnacht spostkarte verflog schnell.
Hinter mir schimpfte Pia laut auf Lillebror: „Hör auf, verrückt zu spielen! Bleib hier! Benimm dich!“
„Schscht! Du machst ja die ganze Stimmung kaputt.“ Ich flüsterte wie eine Souffleuse im Theater.
In diesem Augenblick passierte es. Ein Heinzelmännchen verlor seine halbabgebrannte Fackel genau vor Billys Nase. Billy schnaubte empört und stellte sich auf die Hinterbeine. Armer Martin. Die anderen Pferde wurden ebenfalls unruhig und wollten am liebsten davongaloppieren. Nur Lucia blieb gelassen. Sie lächelte und winkte und lächelte.
Überall am Straßenrand standen Menschen und schauten uns zu. Kinder liefen über die Straße und wollten die Ponys streicheln. Allen schien unser Luciazug zu gefallen. Zum Glück wissen sie nicht, daß einige von uns ihre Pferde kaum noch halten können, dachte ich.
Als wir wieder nach Hause ritten, hatte es aufgehört zu schneien. Der Himmel war sternenklar. Eine wunderbare Nacht. Alle waren still. Vielleicht schläferte sie auch der langsame Schritt ein.
Im Klubhaus brannte hinter allen Fenstern Licht. Eine freundliche Mutter überraschte uns mit Zimtsternen und Pfefferkuchen, die sie extra für uns gebacken hatte. Einige Mädchen, die nicht am Luciazug teilgenommen hatten, kochten in großen Töpfen duftenden Kakao.
Kuchen und Kakao verschwanden in Windeseile. Wir waren alle ein bißchen durchgefroren und sehnten uns danach, etwas Warmes in unsere Bäuche zu bekommen.
Ich neckte Agneta und fragte sie, wie das denn sei: immer nur lächeln und winken.
„Danke“, antwortete sie. „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch einen rechten Arm besitze …“
Alle lachten, stopften die letzten Pfefferkuchen in sich hinein und tranken die letzten Tropfen Kakao. Das Luciafest ging seinem Ende entgegen.
„Das müssen wir nächstes Jahr unbedingt wieder machen“, rief Thomas. Wir stimmten alle begeistert zu.
Festschtmuck für die Pferdebox
Es fiel bald noch mehr Schnee. Kalten, glitzernden Neuschnee wirbelten die Pferdehufe auf, wenn sie trabten oder galoppierten. Die Pferde schnaubten, wenn sie die reine und klare Luft einatmeten.
Wenn meine Schüler vom Pferd purzelten, lachten sie nur und kletterten als kleine Schneemänner wieder auf ihre Ponys. Der Winter war eine herrliche Zeit zum Reiten. Man mußte sich nur warm genug anziehen. Aber natürlich gab es auch viele Probleme …
Heute war der erste Sonntag nach dem Luciafest. Wir hatten die Pferde nach einem Ritt durch den Wald gerade in den Stall gebracht. Ich bürstete immer wieder Silbers Brust, denn wenn er schwitzte, kräuselte sich sein Fell besonders stark.
„Britta, komm schnell! Draußen auf dem Hof steht ein fremder Mann und schimpft fürchterlich.“
Martin war mit hängender Zunge aufgeregt in den Stall gestürzt.
Ich war neugierig und folgte ihm sofort auf den Hof. Dort standen Kicki und einige meiner kleinen Reitschülerinnen um einen wild gestikulierenden Skifahrer herum. Er gehörte schon zum älteren Eisen. Auf seinem Kopf wippte eine ulkige, rote Zipfelmütze hin und her. Er war so aufgeregt, daß er mitsamt seinen riesigen, altmodischen Langlaufskiern auf- und niederhüpfte. Dabei schwenkte er seine spitzen Skistöcke drohend vor den Gesichtern der Kinder. Das sah gefährlich aus.
„Schließlich ist das nicht Ihr Wald“, protestierte Kicki. Sie schien nicht weniger wütend zu sein. Der Skifahrer hatte vor Zorn einen knallroten Kopf und seine Augen blitzten. Er hüpfte auf Kicki zu, als wollte er sie mit seinen Skistöcken erschlagen.
„Seit zwanzig Jahren laufe ich in diesem Wald Ski“, schnaubte er. „Seit zwanzig Jahren hinterlasse ich meine akuraten Skispuren im Schnee. Zwanzig Jahre lang konnte ich ungestört trainieren. Aber jetzt … Ich habe gewußt, was es bedeutete, als diese verdammte Reitschule hierherkam. Eine Brutstätte für Herumtreiber. Jawohl!“
Wieder fuchtelte er grimmig mit seinen Skistöcken vor Kickis Augen. Aber Kicki ließ sich nicht einschüchtern.
„Und wir sind den ganzen Sommer und den ganzen Herbst durch den Wald geritten“, widersprach sie energisch. „Warum sollten wir aufhören zu reiten, nur weil es ein bißchen geschneit hat? Es ist ebensogut unser Wald. Und wir können auch unsere Wege markieren. Merken Sie sich das!“
Der Skifahrer sah aus, als würde er jeden Augenblick in die Luft gehen.
„Was ist denn passiert?“ fragte ich ruhig.
„Wir sind wahrscheinlich in seinen, heiligen‘ Skispuren geritten“, empörte sich Kicki.
„Jawohl, das seid ihr“, schrie der Fremde und zielte jetzt mit seinen Skistöcken auf mich. „Ich sage es zum letztenmal: Niemand hat das Recht, meine Skispuren zu zertrampeln. Wenn ihr das noch einmal tut, dann … dann gnade euch Gott! Unerzogene Herumtreiber! Angeber! Streunt herum und macht alles kaputt. Jawohl!“
„Aber nein“, widersprach ich. „Niemand hat absichtlich Ihre Skispuren zerstört …“
Der Skifahrer regte sich nur noch mehr auf. Es war unmöglich, mit ihm vernünftig zu reden. In seiner Wut stieß er immer neue Beschimpfungen aus. Plötzlich drehte er sich um und hastete über die Felder. Wir atmeten erleichtert auf, als seine rote Zipfelmütze schließlich im Wald verschwand.
„So ein Spinner“, meinte Martin verächtlich.
„Ein lebensgefährlicher Kerl“, kicherte eines der Mädchen. „Ich hatte Angst, er würde uns alle mit seinen ekelhaften Skistöcken aufspießen.“
Kicki machte kein glückliches Gesicht.
„Zu dumm“, sagte sie ärgerlich. „Ich hätte mich beherrschen müssen. Wenn ich wütend bin, sage ich oft etwas, was ich hinterher bereue. Aber er brauchte sich auch nicht aufzuspielen, als gehöre ihm der ganze Wald.“
„Du kannst nichts dafür“, tröstete ich sie. „Er hat sich unmöglich benommen. Er hätte uns doch ruhig bitten können, nicht mehr in seinen Skispuren zu reiten. Dann hätten wir wie erwachsene Menschen vernünftig darüber geredet. Der Wald ist groß genug für Skifahrer und Reiter.“
Kicki regte sich immer noch auf.
„Jeder weiß doch, wie wichtig eine Reitschule für Kinder ist. Sollen sie sich vielleicht lieber auf der Straße herumtreiben? Aber das kann so ein Kinder- und Pferdehasser wohl nicht verstehen.“
„Hoffentlich kommt er nie mehr zurück“, wünschte Martin. Das hoffte ich auch.
„Wir