Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4. Inger Gammelgaard Madsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inger Gammelgaard Madsen
Издательство: Bookwire
Серия: Rolando Benito
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711446324
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Inger G. Madsen

      Kolofon

      Die Beichte

      Aus dem Dänischen von Kirsten Krause

      Originaltitel: Under skriftesegl

      © 2012 Inger Gammelgaard Madsen

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711446324

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: Epub 3.0

      SAGA Egmont www.saga-books.com

      - a part of Egmont, www.egmont.com

      Großmutter gewidmet

      1

      Er hatte keine Angst vor dem Sterben. Nur der Gedanke an die Art, wie er wohl sterben würde, erschreckte ihn manchmal. Es gab so viele Arten zu sterben. Einige waren mit großem Schmerz und langem Leiden verbunden, andere spürte man gar nicht. Das menschliche Leben ist zerbrechlich, dachte er, wir sind nicht mehr als ein Klumpen aus Blut, Knochen und Muskeln, verpackt in eine dünne Schicht zarter Haut, die kaum das Sonnenlicht verträgt. Andererseits, so hatte er gehört, war es wiederum gar nicht so leicht, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Sowohl das Herz als auch das Hirn, diese wichtigen Lebensfunktionen, mussten aufhören zu arbeiten. Dann würde auch die allerwichtigste aussetzen: das Atmen. Nicht alle Selbstmordkandidaten hatten Glück, wenn sie sich das Leben nehmen wollten. Sie schnitten nicht tief genug, um die Pulsader im Handgelenk oder am Hals zu treffen, sie brachen sich nur ein paar Rippen, wenn sie sich von einem Hochhaus stürzten, sie nahmen nicht genug Schlaftabletten, oder irgendein ›Retter‹ bewahrte sie im letzten Augenblick vor dem Tod. Warum war es wohl ihm gelungen? Seinem Vater? Ein Strick um den Hals und ein Sprung aus großer Höhe. Auf diese Weise hatte er direkt zur Sache kommen, das Übel an der Wurzel packen können. Ein Mann sein.

      Er konzentrierte sich für einen Augenblick nur auf das Atmen. Er hatte das Empfinden, ganz sicher sterben zu müssen, würde er in der Dunkelheit in einem kleinen Raum eingeschlossen werden – allein aufgrund des Gefühls, nicht atmen zu können. Keine Luft holen zu können. Wieso kamen ihm gerade jetzt diese Gedanken? Vielleicht weil er gerade wieder jene Atemprobleme hatte, die bei ihm Panik auslösten.

      Er öffnete die Augen und sah hinauf in einen sternenklaren Himmel weit über sich. Er starrte in die blinkenden Sterne vor dem tiefschwarzen Hintergrund eines dunklen Universums, das niemals endet. Und hier hatte nun er geendet. Wie war er hergekommen? Es roch nach Eisen, Erde, Diesel – und Kotze. Die Feuchtigkeit drang ihm durch die Hose, aber er spürte es nicht mehr. Er lag auf dem Rücken in seinem eigenen Erbrochenen, das ihm an Wangen und Hals klebte, aber er hatte keine Kraft, es wegzuwischen. Er fror nicht, obwohl die Nacht immer noch kalt war. Er hatte eine Jacke an. Der Geschmack von Blut füllte seinen Mund. Ab und zu hörte er schwache Geräusche von Autoreifen auf trockenem Asphalt irgendwo weit über sich, sonst war es still. Konnte er auch das Meer hören oder war das Einbildung? Weil er das Meer so sehr liebte?

      Sein Atem ging langsam und mühsam, die Muskeln waren bleischwer, sodass es unmöglich war, sich zu bewegen. Der Kopf schmerzte wie bei einem Migräneanfall und die Übelkeit drückte im Hals. Er erinnerte sich nicht, warum er sich hier hingelegt hatte, wie er überhaupt hier heruntergekommen war. War er gefallen? Vielleicht. Auf dem Heimweg von der Stadt. Da war er gewesen. Jetzt wusste er es wieder. Schwache Erinnerungsblitze tauchten auf, wenn er die Augen schloss. Sie hatten sich irgendwo in einer Bar getroffen, wo er noch nie zuvor gewesen war. In die Stadt zu gehen, sich volllaufen zu lassen und sich zu amüsieren lag ihm überhaupt nicht. Das hatte ihm einfach noch nie zugesagt. Das hatten die anderen auch nur zu gut gewusst, vielleicht hatten sie ihn deswegen mitgeschleift: »Jetzt ist es fast zwei Jahre her, dass wir aus der Schule raus sind, wir müssen uns also mal wieder treffen«, waren sie sich einig gewesen. Sie hatten sich alle bei Facebook gefunden, nur ihn nicht, weil er kein Internet hatte, noch nicht einmal einen Computer. Aber mit Bertram war er trotzdem in Kontakt geblieben, da sie in der gleichen Nachbarschaft wohnten und es sich kaum vermeiden ließ, dass sie einander hin und wieder über den Weg liefen. Also hatte Bertram dafür gesorgt, dass auch er eine Einladung bekommen hatte. Warum, wusste er nicht. Auch nicht, warum er Ja gesagt hatte. Unterhaltsam war er selten und war es auch nie gewesen. Langweilig wurde er genannt. Still und langweilig. Kein Selbstvertrauen hatte die Einschätzung des Psychologen gelautet, aber der wusste auch nicht alles: Es war nicht sein eigener Wunsch gewesen, bei dem lächelnden, überpositiven bärtigen Herrn aufzukreuzen, und so hatte er nichts verraten, auch wenn der Mann sicher nur hatte helfen wollen. Nein, Trine hatte ihn dazu überredet. Sie brauchte eine Diagnose für sein sonderbares, abnormes Verhalten, damit es leichter zu handhaben war – für sie. Ihm selbst war es egal. Er war, wie er war. Das war sie ja auch. War sie seine Freundin? Er wusste nicht, ab wann der Begriff angebracht war.

      Er erinnerte sich nicht deutlich an den Verlauf des Abends. Verschwommene Bilder flatterten vorbei, ohne einen festen Anhaltspunkt, mit dessen Hilfe er sich ein konkretes Bild machen, sich Klarheit hätte verschaffen können. Laute, lärmende Musik. Münder, die sich stumm zu Rufen bewegten – ein Versuch, den Krach zu übertönen und ein Gespräch zu führen. Lachende Gesichter. Höhnische Blicke. Ja, das waren seine Klassenkameraden, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie mixten ihm Drinks. Er trank sie – aus Pflichtgefühl. Vielleicht hatte er sich zu irgendeinem Zeitpunkt amüsiert. Er erinnerte sich, laut gelacht zu haben. Sich tatsächlich eine Weile glücklich gefühlt zu haben. Schwebend. Berauscht. Der Rausch war jetzt weg, abgelöst von Mutlosigkeit und einer lähmenden Trägheit. Er gab ihr nach und sank wieder in eine Dunkelheit ohne Gedanken.

      Der Lärm drang durch und ließ ihn die Augen aufreißen.

      Das Geräusch war direkt über ihm. Brüllende Motoren, Klopfen und Schnarren von Eisen gegen Eisen. Es war, wie mitten auf einem Schlachtfeld zwischen Panzern und Artillerie aufzuwachen. Der Dieselgeruch stach ihm brennend in die Nase. Es war jetzt hell und die Sterne waren einem leuchtend blauen Maihimmel gewichen. Sein Blick wanderte Richtung Lärmquelle, er blinzelte in dem grellen Licht und versuchte sich aufzurichten, doch die Muskeln waren immer noch schwer und gehorchten nicht. Er rief etwas, aber die Stimme war schwach und heiser und ging im Lärm unter. Und der Schatten, der nun plötzlich das Licht und den Himmel verdunkelte, lähmte ihm die Stimmbänder für einen Augenblick. Das große Maul hing über ihm wie die Kiefer eines Dinosauriers. Erdklumpen rieselten zwischen dessen Zähnen heraus wie Geifer und trafen ihn hart im Gesicht. Es wartete. Es war, als starre das Ungetüm ihn an. Als ob es ihn sehen könnte und zögerte. Er rief erneut, lauter, brüllte fast und kämpfte sich endlich in Sitzstellung. Dann entschied es sich und öffnete das Maul, die Erde fiel schwer über ihn und füllte die Grube. Staub stieg auf und ließ den Baggerführer einen hohlen Morgenhusten bellen. Schläfrig drehte er den Greifer des Baggers weg, sodass er einen neuen großen Mundvoll Erde aufnehmen konnte.

      2

      Der süßliche, moschusartige Duft von Sandelholz verstärkte den Druck in seinem Brustkorb. Das Herz wurde ihm schwer und rutschte ihm in die Hose, oder es schien in seiner Brust zu wachsen – die Empfindung war ungefähr die gleiche. Die Gefühle strömten aus ihm heraus wie der Rauch aus den Rauchfässern der Ministranten. Die Stimme des Priesters klang monoton, und seine Worte drangen nicht richtig durch, er stand mit dem Rücken zur Gemeinde. Das Gabelkreuz hinten auf seinem Messgewand erinnerte ihn an den Schnitt, den der Rechtsmediziner Henry Leander immer in die Brust der Toten ritzte. Die Toten. Er atmete schwer und richtete den Blick auf die Kerzen, die Christus und das göttliche Leben symbolisierten. Sie flackerten fast nicht in der stillstehenden Luft. Es hatte geradezu etwas Hypnotisierendes, in die Flammen zu starren, bis sie zusammenflossen und einem Feuer glichen. Der brennende Dornbusch, in dem sich Gott offenbart hat, als er sich Moses zeigte. Das Feuer war sowohl ein Symbol für die Reinigung des Menschen durch Gott als auch für sein Verdammungsurteil über ihn.

      Roland Benito fühlte sich eher verdammt als erlöst. Automatisch stand er auf und setzte sich wieder, wenn die Gemeinde es tat, die Routine aus der Kindheit war immer noch tief in ihm verwurzelt. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er den Kirchgang zunehmend vernachlässigt und sich gefragt, ob er zuvor wohl nur ihretwegen in die Kirche gegangen war. Damit sie sich einen Teil der Normalität