„Ja. Ganz besonders in letzter Zeir . . . “
„Na — also das geht mich nichts an! Aber dann verschone bitte auch mich mit der Heiraterei!“
„Komm! Setz’ dich wieder!“
„Meinetwegen! Es handelt sich doch nicht um mich! Du hast mir geschrieben, dass du in einer Sache, die dich betrifft . . . “
„Ja. Eben Otto und mich. .“ Käte Vögeding glitt wieder auf den Sessel. Sie strich sich mechanisch die Falten ihres Kleides glatt und starrte verloren in das Licht der Lampe. Dann ein langsames:
„Otto ist in den letzten Wochen völlig verändert!“
„Wie zeigt sich das?“
„Ich existiere einfach nicht mehr für ihn!“
„Hat er viel Geschäfte?“
„Ja. Aber gute. Schlechte macht der Otto doch nie. Das kriegt er doch gar nicht fertig.“
„Ist er krank?“
„Äberarbeitet. Aber das ist er ja chronisch!“
„Und nun behandelt er dich schlecht?“
„Im Gegenteil! Unheimlich mild! Früher — da hat er einen angebrüllt! Gott — da schwieg man! Nachher war er auch wieder gut!“
„Und jetzt?“
„Jetzt kommt er herein und setzt sich und sagt nichts und sieht mich ernst und beunahe kummervoll an.“
„Hast du ihn denn nicht gefragt, was ihm fehlt?“
„Dann antwortet er: ‚’ne Million Dollars’ — oder so ein fauler Witz!“
„Und dann?“
„Dann gähnt er und nickt mir so sonderbar zu und geht in sein Zimmer und arbeitet. Manchmal geht er auch gleich in sein Zimmer und kommt nicht zu Tisch, und wir sehen uns den ganzen Abend nicht.“
„Was steckt denn da dahinter?“
„Das wollt’ ich eben vin dir wissen!“ Käte hob mit einer heftigeren Bewegung als bisher den dunklen Kopf, der sich leise ein wenig rotate. „Du bist doch ein junger Mann und kein Duckmäuser! Du hast doch selbst so eine kleine allerliebste Freundin!“
„Die wollen wir hier aus dem Spiel lassen!“
„Ich meine nur: Du verstehst dich auf so ’was!“ Die weichen Züge der Schwester härteten sich in einer ungewohnten, kalten Spannung. „Erscheint dir das denkbar, dass bei Otto etwas Ähnliches . . . ?“
„Bei deinem Mann?“ Alfred Giebisch musste lichen.
„Antworte bitte ernsthaft!“
„Ausgerechnet der Otto! Das wäre wahrhaftig bei ihm das erstemal!“
„Einmal ist es simmer das erstemal!“
„Er ist doch ausserdem schon im Schwabenalter!“
„Gott . . . “
„Na ja . . Allerdings . . . “
Ein Schweigen.
„Also hältst du es für unmöglich, Alfred?“
„Unmöglich?“ Der junge Mann sann nach. „Möglich ist schliesslich alles. .“
„Ich finde keine andere Erklärung!“
„Aber das wäre ja für dich furchtbar, Käte — wo du so an ihm hängst. .“
„Das Hermännle — das hertz er noch! Sonst ist ihm alles im Hause gleichgültig! Immer sitzt er in Gedanken. .“
„Hast du keine Vernutung, an wen er denkt?“
„Hier in Berlin an keine! Das steht nun einmal fest! Er ist hier viel zu bekannt. Den ganzen Tag unter Menschen. Man kann ihm jede Minute nachrechnen. Ich hätte auch schon längst anonyme Briefe gekriegt!“
„Aber wo sind dann seine Gedanken?“
„Da fragst du mich zuviel!“
Die junge Frau stand an dem halboffenen Fenster und schaute in die laue, dunkle Julinacht hinaus. Der breite Hohenzollerndamm lag leer im Laternenschein. Nur der Wind spielte auf dem Asphalt wie eine unsichtbare Katze mit ein paar Zeitungsfetzen.
„Eben kommt Otto!“ sagte sie.
Der Patentvertreter Vögeding hastete unten auf dem Bürgersteig heran. Er hatte den Hut, über das kurze, graue Borstenhaar weg, tief im Genick und den Kopf im Gehen gesenkt, Schwarz wie ein Scherenschnitt hob sich vom bläulichen Schein der Laterne sein Profil mit der niederen Stirn, der energischen, geraden, kurzen Bismarcknase, den zähen, dünnen Lippen, dem runden Willenskinn. Aus dem breitschulterigen, massigen Leib wölbte sich, bei seiner gebeugten Haltung, der Ansatz des Bauchs. Die Knie knickten ihm unter seinen schweren, schnellen Tritten. Er lief mehr als er ging.
„Warum ist er denn so pressiert, Käte?“
„Ich hab’ den Otto noch nie so eilig gesehen!“
„Jetzt bleibt er steh’n und stiert zu Boden und schüttelt den Kopf!“
„Aber was er im Kopf hat . . . ?“
„. . . nu setzt er sich entschlossen wieder in Trab!“
Otto Vögeding öffnete das Haustor. Im Widerschein des erleuchteten Treppenflurs stand sein rötlich-gedunsenes, sattes Gesicht ein paar Sekunden hell vor der dunklen Nacht, bartlos, mit schlaffen Backen, die Zigarre schief in dem grausam-leutseligen Mund, den Zwicker vor den wässerigen, kleinen, fuchsschlauen Augen.
Man hörte, wie er draussen mit dem Drücker den Wohnungseingang öffnete. Er räusperte sich tief auf der Diele. Es klang wie ein Brummeln ode rein schweres Seufzen. Nun schlug eine Türe. Alles wurde still.
Käte Vögeding wartete eine Weile, ob ihr Mann hereinkommen würde. Dann klingelte sie dem Mädchen.
„Fragen Sie den Herrn, Berta, wo er den Tee . . . ?“
„Der Herr Doktor will keinen Tee. Er packt seine Handtasche. Er hat dem Krause sagen lassen, er sole sofort vorfahren!“
„Dein Mann verreist, Käte?“
„Es scheint!“
„So Knall und Fall?“
„Das tut er manchmal! Das ist nichts Ungewöhnliches! Wenn gerade ein dringendes Geschäft . . . “
Die Türe öffnete sich. Otto Vögeding schaute in Hut und Mantel herein, die Reisetasche in der Hand.
„Ich fand eben, wie ich heimkan, einen Brief vor, Käte!“ sagte er schnell und kurzatmig. „In Frankfurt am Main machen sie wieder lauter Dummheiten. Ich muss sofort hin! Ich war eben schon im Kinderzimmer und hab’ dem Kommerzienrätle gute Nacht gesagt!“
Er musterte geitesabwesend seinen Schwager. Endlich erkannte er ihn.
„Hohe Ehre, Alfred! Wer hat dich denn eingeladen?“
„Ich!“ sagte die junge Frau schnell und hart.
„So? Na — schön!. . Du — alter Kronensohn: Strömich und Merz sind bald zu schön für diese Welt! Eiherrchäses — da staunen Sie, mein Kutester? Nicht? — Um so besser!“ Kätes Mann war ganz der alte. Er zwinkerte listig mit den leicht geröteten Lidern. Die Goldplomben blinkten beim breiten Lachen in seinen starken, gelblichen Zähnen. Er sah auf seine Uhr: „Herrgott — wenn ich nach Frankfurt will, darf ich mich eilen! Es ist nur wegen der Patente, Käte, von Wiese’s Erben — weisst du — die ich vertrete! Morgen abend bin ich wieder da!“
Er lief fast ohne Abschied aus dem Zimmer. Seine Frau schaute ihm nach.
„Das ist auch das