Heimliche Ehe. Rudolf Stratz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Stratz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507322
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Kiefern kauend, leutselig den mit einer Mappe hereinschlüpfenden dicken, kleinen Herrn.

      „Na — Joëlsöhnchen — gleich geh’ ich mit Ihnen zur Sitzung! Wie mir’s geht? Sehen ja! — Tässchen gefällig? Nicht? — Jüngling mit lockigem Haar! Das heist: die Locken . . . .“ Er strich sich mit der breiten, grossen Hand über die Glatze. „Hauptsache: was daruntersteckt!. . Wir wollen heute ’mal den kindern aus New York in die Suppe spucken!“

      „So einfach ist die Sachem it den Wieseschen Patenten ja nun nicht!“

      „Nee. Der alte Wiese — na — also wie er Anfang dieses Jahres starb, da hab’ ich mich gefragt: was hat er denn nur wieder damit bezweckt? Sehen Sie: So war der Mann! Ein kniffliges Köppchen! Ehrbarer Kaufmann. . Prima . . . Primissima! Aber wissense: Er vernebelte gern seine Geschäfte! Recht hatte er! Aber nu dürfen wir hinterher seine Pokerkarten ordnen! Zustand! Sie! Ich muss noch ein Stück Nagelfleisch essen! Ich hab’ ’nen Hunger . . . “

      „Vor ein paar Stunden hätten Sie mich sehen sollen!“ Otto Vögeding zündete sich eine Zigarre an. „Mies — sage ich Ihnen! Wie? Nee — Zahnweh! Nu die Amerikaner! Aber da um die Ecke wohnt ’ne kleine Person — die hat mich glänzend plombiert. Eine Frau Dehnert . . . “

      „Kenn’ ich nicht!“

      „Sollten Sie aber! Gehen Sie ’mal hin und lassen Sie sich ’nen Zahn anbohren — rein nur zum Spass! Lernen Sie sie kennen. Lohnt sich!“

      „Sind Sie jetzt fertig mit dem Frühstück?“

      „Schon das zweite! Erst ’n Schoppen kuhwarme Milch bei ihr!. . . Drei Sdhreibälge mit am Tisch! Zu nett! Ich bin doch so ein empfindsamer Mensch!“

      „Wollen wir nicht gehen?“

      „Die Frau hat’s in sich! Sehen Sie ihr nicht an! Sie sieht aus wie die Schwester von ihren Kindern . . . Klein wie ’ne Puppe! Ober oho!“

      „Die Amerikaner . . . “

      „. . . sind jetzt gerade ein Fressen für mich!. . Ich bin so sinnig aufgelegt wie ein Preisboxer! Kommen Sie, Joëlsöhnchen!“

      Otto Vögeding pfiff falsch, aber laut: ‚Auf in den Kampf, Torero!’ Und kramte seine Papiere zusammen. Zehn Minuten darauf glich in dem Konferenzzimmer sein Antlitz einem winterlichen Gletscher, seine Faust ruhte geballt auf dem grünen Tisch, seine Stimme kollerte in rauhem, stossweisem Englisch.

      „Nichts wäre schwieriger, Gentlemen, als einen verträglicheren Menschen als mich zu finden! Abe rich sitze hier zu meinem ernsthaften Kummer nicht als Menschenfreund, sondern als Vertreter der Wiese’schen Erben. Wie Sie wissen, war der verstorbene Geheimrat Balthasar Wiese, Dr.-Jng., Dr. jur. h. c. und so weiter und so weiter — nicht nur eine finanzielle Kapazität ersten Ranges, sondern auch ein hervorragender Techniker, der es — ich darf mich wohl so ausdrücken — durch die Vermählung schöpferischer Phantasien mit angewandter Wissenschaft vom einfachen Schlosser zum vielfachen Millionär gebracht hat!“

      „Seine letzte epochale Entdeckung“, Otto Vögeding rauchte heftig, „nämlich die Konzentrierung der in Benzin, beziehungsweise Benzol enthaltenen wirksamen Kraftstoffe zu einer trockenen Pulvermischung, die, in Patronen mitgeführt — etwa eine Patrone auf hundert Liter Wasser — einen erstklassigen Betriebsstoff für Motoren darstellt — nun, gentlemen — Wasser gibt es überall und umsonst!“ Ein Faustschlag auf den Tisch. „Das heist nichts Geringeres, als dass wir künftig in der Lage find, im Auto tausende von Kilometern zurückzulegen, ohne uns mit Benzinmengen zu belasten und von Benzinstationen abhängig zu sein!“

      „Hört! Hört!“ rief der Rechtsanwalt Joëlsohn mit hoher, dünner Stimme.

      „. . . und diese Patente sind wir entschlossen, mit Nägeln und Zähnen zu verteidigen! Sehen Sie hier eine blütenweisse Piquéweste! So rein ist unser Gewissen! Darüber hilft Mr. Thompsons drüben — wie ich mit Schmerz sagen muss: zynisches — Lächeln nicht hinweg. Aber“, Otto Vögeding faltete treuherzig ie Hände und zwinkerte gewinnend mit den kleinen, schlauen Augen, „ich hoffe als Christ und Geschäftsmann, dass sich noch heute vormittag die Neue und die Alte Welt über diesen Tisch hinüber die Hände reichen warden!“

      „Na — dann also nicht!“ sprach er, al ser mittags das Beratungszimmer verliess, zu dem Rechtsanwalt Joëlsohn. „Mir auch, offen gestanden, lieber! Ich bin immer mehr für frischen, fröhlichen Krieg, wie man in Friedenszeiten so schön sagte. Wird ja ein Rattenkönig von Prozessen! Hundearbeit? Wie? Ich fahre mit dem Mittagszug nach Berlin. Gepäck schon am Bahnhof. Ich esse nur jetzt irgendwo hier ’nen Happen! Machen Sie mit? Keine Zeit? Schade! Ich hätt’ jetzt gern ’nen Menschen! Also ruhen Sie sanft!“

      Der Patentvertreter Vögeding schlenderte allein durch das Menschengedränge weiter, langsam, in Gedanken, mit einem unruhigen Gesicht und einem glücklichen, zerstreuten Lächeln. Auf der anderen Seite der Strasse ging rasch und fest ein mittelgrosser, junger Mann zu Ende der Zwanzig, vom Äusseren eines Landwirts, in grauer Joppe, die Jagmütze in der Hand. Sein glattrasiertes, strenges Antlitz war so tiefbraun gebrannt, dass es hart wie Erz aussah. Darin flackerten zwei helle blaue Augen. Der Stoppelkopf war blond. Aber er schien durch die Bronzetönung der trotzigen Züge flachsfarben. Der junge Mann sah herüber und dann gleichgültig wieder weg. Otto Vögeding steuerte breitneinig über den Fahrdamm auf ihn zu.

      „Hallo — Bruno!“

      Der vom Lande hörte nicht. Der andere stellte ihn. „Haste mich denn nicht gesehen?

      „Doch!“

      „Und stiefelst an deinem eigenen Schwager vorbei?“

      „Haben wir uns den ’was zu sagen?“ frug der junge Mann kurz. Er hatte eine eigenwillige, kantige Stirn und dünne, feste Lippen.

      „Herrjeses — saagen! . . sagen! Ich möchte jetzt gerade nicht allein sein! Ich bin so ’ner Stimmung! Komm! Frühstück’ mit mir!“

      „Danke!“

      „Na — was haste denn gegen deinen armen ollen Schwager? Wir beide haben doch niemals miteinander Krach gehabt!“

      „. . . weil ich nie ’was von dir gewollt hab’!“

      „Richtig! Deinen Vater hab’ ich abwimmeln müssen! Deinen Bruder Friedrich. Gestern ist mir auch noch dein Bruder Alfred durch die Lappen gegangen! Du bist der weisse Rabe in der Familie Giebisch! Was haste denn jetzt vor, Menschenskin?“

      „Kunstdünger kaufen! Deswegen bin ich von Holstein herein!“

      „Mein Sohn: Der Mist läuft dir nicht davon!“ Otto Vögeding schob gemütlich seinen Arm unter den des Bruders seiner Frau. „Sei doch kein Frosch! Los!“

      „Wir sprechen zwei verschiedene Sprachen!“ sagte der junge Landwirt schroff. „Ihr redet vom Dollar und wir von Deutschland! Ihr seid zufrieden, wenn es Deutschland wieder gut geht!“

      „Na — und wenn alle immer nur so in hohen Tönen denken wollten, wie du und deine Freunde . . . “

      „Deutsch denken wir, weil wir Deutsche sind . . . Ihr seid auch Deutsche! Aber ihr denkt nicht daran! Auf die Art kommen wir nie wieder hoch!“

      „Da ist ’ne Porterstube!“

      „Deswegen haben ernsthafte deutsche Kerle wie wir nichts mit euch zu schaffen!“

      „. . . und werden es nie zu was bringen, Kind Gottes!“

      „Darauf kommt’s auch ’nen Dreck an! Ich sorge nicht um mich!“

      „Kunststück! Als Junggeselle.“

      „Das kann man eben Menschen wie dir nicht begreiflich machen!“

      „Verbiestert! Verbiestert! Ihr seid mir schon die Rechten — Du und deine Fanatiker! Glaub’ mir: Ein gesunder Egoismus hält die Welt! Komm, mein Jungchen! Wir redden da drinnen bei ’nem Stout und Steak nur von Lenz und Liebe!“

      Otto Vögeding schob väterlich den Schwager