Der Bildschnitzer von Würzburg (Historischer Roman). August Sperl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: August Sperl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831422
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Aber den Kreglinger!«

      »Nun also –!«

      »Und so oft mich meine Pflicht ins Taubertal führt, eile ich, das Kirchlein zu besuchen, werfe mich auf die Knie vor dem größten Eurer Werke und insonderheit vor der Verkündigung Mariä.«

      »Ich vermaß mich, meine Grenzen hinauszurücken, und schuf auch eine Verkündigung Mariä – eine hölzerne. Eine hölzerne,« wiederholte Tilmann störrisch. »Denn Euer Bischof hat ja recht, ich bin zuletzt doch nur ein kleiner Heiligenschnitzer geblieben.«

      »Mein Bischof –? Ich dächte, er ist auch der Eurige! Und unser Bischof hat so etwas nie gesagt.«

      »Laßt das!« rief Tilmann rauh. »Ich weiß es alles selbst am besten. Aber –« nun richtete er sich hoch auf und seine Augen begannen zu glühen – »ich allein und sonst niemand aus Erden hat ein Recht, mir das zu sagen. Und daß er – mir gegenüber ein armseliger Nichtskönner – es gewagt hat, mich in meiner Stube hinterhältig auf Lateinisch zu beschimpfen, das – das vergess' ich ihm niemals.«

      »Meister Tilmann, er hat nichts dieser Art gesagt; des bin ich Zeuge. Und seit wann versteht Ihr Lateinisch?«

      »Schweigt –!« rief der Meister mit verzerrtem Gesicht, preßte die Hände auf seine Ohren und begann aus und ab zu rennen. Und es war wieder, als hätte er den anderen vergessen und wüte im Selbstgespräch gegen sich: »Heilige vermag ich zu schnitzen. Aber Menschen aus unserem Gebein, mit unserem Fleisch, mit unserem Blut? Schaut die Männer an aus meinen Altären! Aus dem Gewirre unmöglicher Faltengewänder heben sie die bedrückten Gesichter. Nachbar Klaus, Gevatter Kunz, wie sie leiben und leben, mehr nicht. Und auf allen diesen Gesichtern ist zu lesen mein Leid, mein Gram und meine Gebundenheit – ein endloser Zug, betend um ihre Erlösung. Und meine heiligen Frauen? – Aus dem Gewirre unmöglicher Faltengewänder heben sich unirdische Häupter –«

      »Überirdische!« unterbrach ihn Lorenz Fries grollend.

      »Und weiß man denn, warum ich meine Köpfe auf Puppenleiber setze, die ich eben mit dem Gewirre unmöglicher Faltengewänder verhülle? Weil ich all die übermäßige Schönheit in den sichtbaren Kreaturen um mich her zwar fasse in meinen Verstand, aber nur zum kleinsten Teil in mein Werk zu bringen vermag. Weil ich den ganzen gottgeschaffenen Menschen nachzubilden doch nicht die Kraft hätte!«

      »Euer Adam, Eure Eva, Meister?« warf Lorenz Fries ein.

      »Jawohl, mein Adam, meine Eva!« Es war, als besänne sich der Künstler, daß er nicht allein war. »Gerade sie predigen mir, wie hart ich gebunden bin. Meine Eva! Die verfluchten Schnürleiber der Weiber! Geht in den Dom zu Bamberg und erkennt staunend vor der Statua der Synagoge, was göttliche Nacktheit ist. Und zu dem allen frage ich mich, wenn ich an der Marienkirche vorübergehe und meine Gebilde betrachte: Tilmann, war's auch recht, daß du, gehorsam dem Auftrag, die Nacktheit auf die Gasse gestellt und preisgegeben hast den Augen der Unmündigen und Halbwüchsigen?«

      »Könntet Ihr nicht,« fragte nun Lorenz Fries lauernd, »Euch dennoch frei machen durch den Anblick vollendeter Natur, schaffend wetteifern mit dem Schöpfer und also die Höhe der Kunst erklimmen? Es ist ja nicht anders: Wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur; wer sie heraus kann reißen, der hat sie. Ich dächte – die Holde mit den Angelhäkchen in den dunklen Augen, das Patenkind Eurer Seligen, schlank und wundervoll gewachsen wie die Stammutter der Menschheit – ? sie täte Eurer Kunst alles zu Gefallen. Ein Wort von Euch –!«

      »Niemals!« fuhr Tilmann auf. Aufs neue begannen seine Augen zu glühen. »Weiche von mir –!«

      »Seht Ihr!« Lorenz Fries lächelte befriedigt. »Nur in Eurem Willen liegen Eure Grenzen.« Er trat nahe heran und legte die Hand auf die Schulter des Gebeugten. »Meister Tilmann, grämt Euch nicht. Schweres Blut und enges Gewissen bestimmen Euer Leben und Eure Kunst. Schweres Blut und enges Gewissen sind Eure Natur. Wolltet Ihr Euch gewaltsam daraus erheben, wär's wider die Natur. Und letzten Endes – was ist Fleisch, was ist Blut? Raub des Todes, Verwesung und Asche. Grämt Euch nicht! Aus all dem Fleisch und Blut ahnungsvoll die Idee des Menschlichen – ich glaube, Plato sagt ähnlich – oder das Heilige der Idee herauszuschaffen und leuchten zu lassen auf dem Goldgrund der Verklärung vor den trüben Augen der Bedrückten – lieber Meister, alle anderen Werke entrichten den Zoll der Kreatur und verwehen wie Staub, diese aber wandern, auch wenn sie selber längst in Trümmer und Fetzen gingen, wandern in ihren Wirkungen von Geschlecht zu Geschlecht.«

      »Heilige –! Hat es denn jemals Heilige gegeben –« Tilmann lächelte trübe – »jemals nach dem einen Heiligen, der so demütig war in seiner Knechtsgestalt, daß er zum reichen Jüngling sagte: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott. Und ist also nicht alles – ich will sagen fast alles, was auf zahllosen Altären weit und breit von meiner Hand zu sehen ist, Blendwerk des Bösen?«

      »Hier habe ich Euch!« rief Lorenz Fries zornig, hob das Buch empor und warf es aus die Tischplatte zurück. »Der Wittenberger wird die Kunst totschlagen.«

      »Wohl – aber das Wort auf den Thron setzen,« sagte der Künstler, zog das Buch zu sich her und streichelte es mit leisen Fingern, als wäre es in köstlichen Samt gebunden. »Hier fließt aus alten, wieder aufgedeckten Quellen der Strom der neuen Zeit. Die Heiligen versinken. Das Heilige, das Göttliche selbst steht in unnahbarer, nicht in Holz noch Stein noch Farben zu fassender Klarheit vor unseren geblendeten Augen, und aus überreichen Händen träufelt – die Gnade. Der andere aber, der Nürnberger Albrecht, hat das alles die wahre Wiedererwachsung genannt und reitet wie ein Halbgott aus dem Delphin hinaus in der schäumenden Flut.«

      Nach langem Schweigen begann der Magister noch einmal: »Ihr seid verwirrt in Eurem Gemüt, lieber Freund, und es könnte nichts nützen, mit Euch darüber zu rechten. Aber von Seiner Gnaden dem Bischof muß ich noch sprechen. Er hat Eure Kunst aufs höchste gepriesen, des bin ich Zeuge.«

      »Gepriesen und geschmäht in einem Atem!« schrie der Künstler, mit einem Male wieder völlig in die Wirklichkeit zurückversetzt. »Wie ein Stegreifritter ist er vor mir gestanden und hat mir mein Kleinod abgedrückt. Ihr aber – er wich nun scheu in den Hintergrund des Gemaches zurück, als graute ihm – Ihr seid dabei gestanden und habt höfisch geschwiegen.«

      *

      Herr Lorenz Fries war zum zweiten Male die knarrenden Stufen hinabgestiegen, und Bille schlüpfte in die Stube zum lesenden Meister.

      Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, legte die Arme bis über die Ellbogen auf die Platte, faltete die kleinen, festen Hände und sah unverwandt aus das faltenreiche Antlitz. Der Meister achtete ihrer nicht, leise knisterten die Blätter unter seinen wendenden Fingern.

      Ein holdes Bild kindlicher Demut sah sie lange Zeit, und ihre dunklen Augensterne waren regungslos auf ihn gerichtet – bis er gezwungen war, das Haupt zu heben.

      »Willst du etwas, mein Kind?«

      Sie schüttelte das Köpflein, und die Wimpern legten sich wie schwere Schatten auf ihre Wangen. »Die wunderschöne Statua meiner Patin – ich sehe sie noch immer vor mir,« schmeichelte sie. Dann aber schlug sie die Augen auf, und zornig zuckten ihre Lippen: »Darf Euch der Bischof die Statua wirklich nehmen?«

      »Laß das!« wehrte der Meister müde und beugte sich über sein Buch.

      Wieder legten sich die Wimpern auf die runden, bräunlichen Wangen, die Brust hob und senkte sich, und Bille seufzte vernehmbar.

      »Du willst etwas, liebes Kind?«

      »Es ist mir oft so angst, so eng, so heiß, Herr Pate.«

      »Bist du krank?«

      »Ich bin nicht krank. Aber –«

      »Du armes Kind, so sprich doch!«

      »Wenn nur meine Frau Patin noch leben täte!« Sie erhob sich, kam heran und sank vor dem Meister in die Knie: »Ich möchte immer bei Euch sein und bleiben!«

      »Liebe Bille, du bist doch von früh bis nacht bei uns, hilfst im Hause und niemand vertreibt dich.«

      »Freilich,«