«Wo ist Fuscina, des früheren Ostiarius Weib? Ist sie nicht mehr im Hause?» fragte sie.
«Die ist lang ertrunken im See», sagte der Pförtner gleichgültig und schritt mit der Leuchte voran. Schaudernd folgte die Fürstin: sie mußte sich die kalten dunklen Wogen vorstellen, die so unheimlich an den Planken ihrer Fähre geleckt. Sie gingen durch Bogenhöfe und Säulenhallen: – alles leer, wie ausgestorben, die Schritte hallten laut durch die Öde: – die ganze Villa schien ein weites Totengewölbe.
«Das Haus ist unbewohnt? Ich bedarf einer Sklavin.»
«Mein Weib wird dir dienen.»
«Ist sonst niemand in der Villa?»
«Noch ein Sklave. Ein griechischer Arzt.»
«Ein Arzt – ich will ihn –»
Aber in diesem Augenblicke schollen von dem Portal her einige dumpfe Schläge: schwer dröhnten sie durch die leeren Räume. Entsetzt fuhr Amalaswintha zusammen. «Was war das?» fragte sie, Dolios’ Arm fassend. Sie hörte die schwere Türe zufallen.
«Es hat nur jemand Einlaß begehrt», sagte der Ostiarius und schloß die Türe des für die Flüchtige bestimmten Gemaches auf Die dumpfe Luft eines lang nicht mehr geöffneten Raumes drang ihr erstickend entgegen: aber mit Rührung erkannte sie die Schildplattbekleidung der Wände. Es war dasselbe Gemach, das sie vor zwanzig Jahren bewohnt, überwältigt von der Erinnerung glitt sie auf den kleinen Lectus, der mit dunklen Polstern belegt war.
Sie verabschiedete die beiden Männer, zog die Vorhänge des Lagers um sich her zu und verfiel bald in einen unruhigen Schlaf.
Sechstes Kapitel
So lag sie, sie wußte nicht wie lange, bald wachend, bald träumend: wild jagten Bild auf Bild an ihrem Auge vorüber.
Eutharich mit seinem Zug des Schmerzes um die Lippen: – Athalarich, wie er auf seinem Sarkophag hingestreckt lag, er schien sie zu sich zu winken: – das vorwurfsvolle Antlitz Mataswinthens – dann Nebel und Wolken und blattlose Bäume, drei zürnende Kriegergestalten mit bleichen Gesichtern und blutigen Gewändern, und der blinde Fährmann: in das Reich der Schatten. Und wieder war ihr, sie liege auf der öden Heide auf den Stufen des Baltendenkmals und als rausche es hinter ihr und als beuge sich abermals hinter dem Stein hervor jene verhüllte Gestalt über sie näher und näher – beengend – erstickend. Die Angst schnürte ihr das Herz zusammen, entsetzt fuhr sie auf aus ihrem Traum und sah hochaufgerichtet um sich: da – nein, es war kein Traumgesicht – da rauschte es, hinter dem Vorhang des Bettes, und in die getäfelte Wand glitt ein verhüllter Schatten.
Mit einem Schrei riß Amalaswintha die Falten des Vorhanges auseinander – da war nichts mehr zu sehen.
Hatte sie doch nur geträumt? Aber sie konnte nicht mehr allein sein mit ihren bangen Gedanken. So drückte sie auf den Achatknauf an der Wand, der draußen einen Hammer in Bewegung setzte.
Alsbald erschien ein Sklave, dessen Züge und Tracht höhere Bildung verrieten. Er gab sich als den griechischen Arzt zu erkennen. Sie teilte ihm die Schreckgesichte, die Fieberschauer der letzten Stunden mit: er erklärte es für Folgen der Aufregung, vielleicht der Erkältung auf der Flucht, empfahl ihr ein warmes Bad und ging, dessen Mischung anzuordnen.
Amalaswintha erinnerte sich der herrlichen Bäder, die, in zwei Stockwerken übereinander, den ganzen rechten Flügel der Villa einnahmen. Das untere Stockwerk der großen achteckigen Rotunde, für die kalten Bäder bestimmt, stand mit dem See in unmittelbarem Zusammenhange: sein Wasser wurde durch Siebtüren, die jede Unreinheit abhielten, hereingeleitet. Das obere Stockwerk erhob sich, als Verjüngung des Achtecks, über der Badestube des unteren, deren Decke – eine große, kreisförmige Metallplatte – den Boden des oberen warmen Bades bildete und nach Belieben in zwei Halbkreisen rechts und links in das Gemäuer geschoben werden konnte, so daß die beiden Stockwerke dann einen ungeteilten turmhohen Raum bildeten, der zum Zweck der Reinigung oder zum Behuf von Schwimm-und Taucherspielen ganz von dem Wasser des Sees erfüllt werden konnte.
Regelmäßig aber bildete das obere Achteck für sich den Raum des warmen Bades, in das vielfach verschlungene Wasserkünste in hundert Röhren mit zahllosen Delphinen, Tritonen und Medusenhäuptern von Bronze und Marmor duftige, mit Ölen und Essenzen gemischte Fluten leiteten, während zierliche Stufen von der Galerie, auf der man sich entkleidete, in das muschelförmige Porphyrbecken des eigentlichen Baderaumes hinabführten.
Während sich die Fürstin noch diese Räume ins Gedächtnis zurückrief, erschien das Weib des Türsklaven, sie in das Bad abzuholen. Sie gingen durch weite Säulenhallen und Büchersäle, in welchen aber die Fürstin die Kapseln und Rollen Cassiodors vermißte, in der Richtung nach dem Garten; die Sklavin trug die feinen Badetücher, Ölfläschchen und den Salbenkrug. Endlich gelangte sie in das turmähnliche Achteck des Badepalastes, dessen sämtliche Gelasse an Boden, Wand und Decke durchaus mit hellgrauen Marmorplatten belegt waren. Vorüber an den Hallen und Gängen, die der Gymnastik und dem Ballspiel vor und nach dem Bade dienten, vorüber an den Heizstübchen, den Auskleide-und Salbgemächern eilten sie sofort nach dem Caldarium, dem warmen Bade. Die Sklavin öffnete schweigend die in die Marmorwand eingesenkte Tür.
Amalaswintha trat ein und stand auf der schmalen Galerie, die rings um das Bassin lief. Gerade vor ihr führten die bequemen Stufen in das Bad, aus dem bereits warme und köstliche Düfte aufstiegen. Das Licht fiel von oben herein durch eine achteckige Kuppel von kunstvoll geschaffenem Glas. Gerade am Eingang erhob sich eine Treppe von Zedernholz, die auf zwölf Staffeln zu einer Sprungbrücke führte, rings an den Marmorwänden der Galerie wie des Beckens verkleideten zahllose Reliefs die Mündungen der Röhren, die den Wasserkünsten und der Luftheizung dienten.
Ohne ein Wort legte das Weib das Badegerät auf die weichen Kissen und Teppiche, die den Boden der Galerie bedeckten, und wandte sich zur Türe. «Woher bist du mir bekannt?» fragte die Fürstin, sie nachdenklich betrachtend, «wie lange bist du hier?»
«Seit acht Tagen.» Und sie ergriff die Türe.
«Wie lange dienst du Cassiodor?»
«Ich diene von jeher der Fürstin Gothelindis.»
Mit einem Angstschrei sprang Amalaswintha bei diesem Namen auf, wandte sich und griff nach dem Gewand des Weibes – zu spät: sie war hinaus, die Türe war zugefallen, und Amalaswintha hörte, wie der Schlüssel von außen umgedreht und abgezogen ward. Umsonst suchte ihr Auge nach einem anderen Ausgang.
Da überkam ein ungeheures, unbekanntes Grauen die Königin: sie fühlte, daß sie furchtbar getäuscht, daß hier ein verderbliches Geheimnis verborgen sei. Angst, unsägliche Angst fiel auf ihr Herz: Flucht, Flucht aus diesem Raum war ihr einziger Gedanke.
Aber keine Flucht schien möglich: die Türe war von innen jetzt nur eine dicke Marmortafel, wie die zur Rechten und Linken, nicht mit einer Nadel war in ihre Fugen zu dringen. Verzweifelnd ließ sie die Blicke rings an der Wand der Galerie kreisen: nur die Tritonen und Delphine starrten ihr entgegen. Endlich ruhte ihr Auge auf dem schlangenstarrenden Medusenhaupt ihr gerade gegenüber – und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
Das Gesicht der Meduse war zur Seite geschoben, und die ovale Öffnung unter dem Schlangenhaar war von einem lebenden Antlitz ausgefüllt.
War es ein menschlich Antlitz?
Die Zitternde klammerte sich an die Marmorbrüstung der Galerie und spähte vorgebeugt hinüber: ja, es waren Gothelindens verzerrte Züge, und eine Hölle von Haß und Hohn sprühte aus ihrem Blick.
Amalaswintha brach in die Knie und verhüllte ihr Gesicht. «Du – du hier!»
Ein heiseres Lachen war die Antwort. «Ja, Amalungenweib, ich bin hier und dein Verderben! Mein ist dies Eiland, mein das Haus! – Es wird