Für mich war es wichtig, dass ich meinen Platz als Vater aus dem Grundgefühl der Freiheit heraus einnehmen konnte. Erwartungen, ja Forderungen meiner Frau, dass und wie ich als Vater zu agieren hätte, sorgten für inneren Widerstand und im besten Fall erfüllte ich dann freudlos meine (Vater-)Pflichten. Eine Aufwärtsspirale begann, als mir meine Frau im Umgang mit den Kindern mehr Freiheit ließ. Ich merkte aber rasch, dass das mehr Verantwortung und außerdem schlichtweg mehr Arbeit bedeutete.
Unserer Erfahrung nach können wir als Eltern unseren Platz auch als Auftrag Gottes verstehen.
Dies entdeckte ein Vater von zwei Kindern im Alter von sieben und neun Jahren eindrücklich:
Tom ist als Einzelkind aufgewachsen, als er sechs Jahre alt war, hat sein Vater die Familie verlassen. Wenn er müde von seinem Arbeitstag nach Hause kommt, verlaufen die Nachtessen oft angespannt. Ellbogen aufstellen geht nicht! Er wacht wie ein Sheriff über den Familientisch und weist seine Kinder häufig zurecht, bis seine Frau ihn vor den Kindern kritisiert.
»Die Kinder machen nicht, was ich sage, und meine Frau fällt mir in den Rücken. Ich fühle mich als Vater nicht ernst genommen«, sagt er. In ihm steckt das Gefühl, als Vater nicht wichtig zu sein. Es ist ein uraltes Gefühl, das noch aus seiner Kindheit stammt: »Man gibt mir meinen Platz in der Familie nicht!«
»Wer weist Ihnen denn Ihren Platz zu? Die Kinder? Ihre Frau? Sie sich selbst?«, frage ich ihn. Ich muss dabei an eine Stelle im Epheserbrief denken, wo es heißt, dass jegliche Vaterschaft von Gott kommt. Tom tritt daraufhin in einem Gebet nochmals ganz neu in seine Vaterschaft ein und fängt an, sie als eine göttliche Gabe und Aufgabe wahrzunehmen.
Wenn wir unsere Elternschaft als göttliches Mandat betrachten, wie es Tom getan hat, dann haben wir Zugang zu ganz anderen Ressourcen. Denn Gott kann uns für diese Mission mit allem Nötigen versorgen, so wie der britische Geheimdienst James Bond für seine geheimen Missionen jeweils mit den nötigen Tools ausrüstet.
Der Platz als Mutter
Da starre, stereotype Rollenvorstellungen am Verschwinden sind, wächst für die Mutter mit der neuen Freiheit die Verantwortung, wie sie ihren Platz einnimmt und ausgestaltet.
Ich bin als Frau und Mutter eine engagierte, schnelle und lösungsorientierte Person. Ich sehe vieles: Fehler zum Beispiel, Versäumtes, Dinge, die herumliegen. Auszuhalten und großzügig zu sein, dazu noch »fünf gerade sein lassen«, fällt mir nicht leicht. Da wird die Frage sehr wichtig: Was ist jetzt genau meine Aufgabe, was ist mein Platz? Wo ordne ich mich zugunsten unserer Gemeinschaft ein oder unter? Und wo ist es wichtig, dass ich sage, wie es laufen soll?
Manchmal beginnen wir, uns zu vergleichen. Wenn mein Mann früher abends nach Hause kam, sprangen die Kinder zur Tür und empfingen ihn freudestrahlend. Sie waren richtige Fans von Papa. Er ließ sich ganz auf sie ein, badete sie, baute Iglus mit ihnen oder wässerte den Garten zu einem Eisfeld. Es wurde gekämpft und gespielt.
Einerseits war ich sehr erleichtert, denn so hatte ich Zeit für mich oder konnte Versäumtes nachholen. Andererseits war ich etwas eifersüchtig auf ihn. Von morgens bis abends war ich mit den Kindern und dem Haushalt dran und ich erhielt nicht dieselbe Zuwendung durch die Kinder wie ihr Vater. Alles war so selbstverständlich. Und dann war ich auch noch ab und zu die Böse! Erst später, als ich auswärts arbeitete, empfingen sie mich sehnlichst und voller Freude.
Wenn ich heute meine verheirateten Kinder und ihre Partner anschaue, sehe ich, wie sich alles wandelt.
Väter tragen stolz ihre Babys im Tragetuch. Sie wickeln und versorgen ihre Kinder genauso gut wie die Mütter. Es gibt mütterliche Väter und väterliche Mütter. Er ist barmherzig und nachgiebig und sie eher taff und direktiv. Oder umgekehrt. Manche Paare suchen Wege, sich die Arbeit in der Familie und außerhalb zu teilen. Ein anderes Paar entscheidet sich für eine traditionelle Rollenverteilung. Beiden ist es wohl dabei.
Letzthin sagte mir eine junge Mutter: »Irgendwie beneide ich die traditionellen Paare.« Und sie erklärte mir, dass sie nach ihrem Studium ja nicht einfach »nur« Mutter sein könne, sie hätte zu lange studiert. Sie sei es sich und dem Staat schuldig, nach dem Schwangerschaftsurlaub wieder zu arbeiten.
Kinderplätze
Es gibt die Plätze der Kinder innerhalb der Familie und auf der Ebene der Kinder innerhalb der Geschwisterreihe. Wir verstehen unter dem Platz weniger eine Rangordnung als einen guten und sicheren Ort, wo jedes Familienmitglied nicht nur eine Überlebensnische, sondern einen adäquaten Raum hat, zu wachsen und sich zu entwickeln. Mit diesem Platz sind Rechte und Pflichten verbunden. Die Verantwortung dafür tragen Eltern und Kinder gemeinsam. Kinder und Jugendliche suchen ihre Identität und ihren Platz.
Einen Platz haben, heißt: Ich darf ich sein. Ich habe eine unendliche Würde. Es gibt einen sicheren Ort, wo meine Integrität geschützt ist. Ich stehe in Beziehung und habe Verantwortungen und Kompetenzen und Freiheiten. Es bedeutet außerdem: Ich respektiere deinen Platz, deinen Raum und deine Grenzen.
Mattheo hat schon sehr früh den Platz seines älteren Bruders, des Erstgeborenen, angestrebt und wohl auch eingenommen. Seine Eltern haben ihn dabei unbewusst unterstützt, weil er ein Vorzeigekind war und keine Probleme machte. Viel später wollte er in einem seelsorgerlichen Schritt wieder den Platz Nummer zwei in der Geschwisterreihe einnehmen.
Wir sehen, wie sich unsere Kinder, jedes auf seine Art, ihren Platz erkämpfen: originell, witzig, charmant, kämpferisch, kooperativ, brav und angepasst, rebellisch, religiös … Hinter vielen »verhaltensoriginellen«, jedoch nicht sehr konstruktiven Verhaltensweisen steht der Versuch eines Kindes, um seinen Platz an der Sonne und um die damit verbundene Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu kämpfen:
Die Großeltern sind zu Besuch. Am Familientisch erklärt die Mutter stolz, dass der dreijährige Sohn jetzt keine Windeln und keinen Schnuller mehr braucht. Der Fünfjährige hebt daraufhin den ganzen Tisch hoch und ruft: »Seht mal, wie stark ich bin!« Er nimmt nicht wahr, dass dabei eine Vase umkippt und zerbricht.
Leere Plätze, die neu ausgestaltet werden müssen
Manchmal bleibt ein Platz im Familienhaus leer. Ein Partner, ein Elternteil stirbt. Es bleibt eine Leerstelle. Oder der Platz war nie besetzt, weil ein Elternteil alleinerziehend unterwegs ist. Die Eltern lassen sich scheiden. Obschon sie weiterhin Mutter und Vater bleiben, braucht es viel Kraft, Kreativität und Flexibilität, den Platz der Vater- und Mutterschaft diesen neuen Verhältnissen anzupassen. Zudem kommen meist neue Partnerinnen oder Partner ins Spiel und nehmen ihrerseits Plätze ein. Die Kinder und Jugendlichen müssen dabei enorme Anpassungsleistungen erbringen und lernen sehr viel.
Unbesetzte oder verlassene Plätze im Familiensystem sind anspruchsvolle Herausforderungen für alle Familienmitglieder. Manchmal spricht man lieber nicht darüber, wenn sich Familien neu formieren, weil es so wehtut. Dabei braucht es gerade jetzt viele Gespräche über die Trauer, die Ängste und Schuldgefühle. In solchen Situationen, wie etwa bei Abschied und Neuanfang, kann die Gottesbeziehung eine wertvolle Ressource sein. Wir erleben immer wieder, wie Gott als Tröster in unsere Verlassenheitsängste treten kann: »Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen«, sagt Jesus seinen Jüngern, als er ihnen mitteilt, dass er jetzt weggehen wird. Und er verspricht, dass ein »Tröster« kommen wird.3
Vanessa erlebte das nach dem Auszug ihres Partners so:
Ich war ziemlich verzweifelt und fühlte mich schuldig, weil ich als alleinerziehende Mutter meinen Sohn vier Tage die Woche in die Krippe geben musste. Nach der Arbeit holte ich ihn wieder ab. Schon seit ein paar Monaten weinte Luca sich in den Schlaf und ich konnte ihm nicht helfen. Im Elterncoaching hörte ich, dass ich Gott um Hilfe bitten könnte. So entschloss ich mich dazu, dies in der nächsten Zeit zu üben. Am anderen Abend weinte mein Kind wieder und ich spürte, wie in mir die Ohnmacht und Hilflosigkeit hochstiegen. Ich fragte Gott: »Was soll ich nur machen?« Mir kam die Idee, mit Luca zu beten.
Obwohl