Als Paar zusammen ein Buch zu schreiben, ist ein Wagnis. Vor allem wenn man so unterschiedlich ist wie wir beide. Wir haben viel miteinander gerungen, manchmal sogar gestritten, waren euphorisch kreativ und gelegentlich etwas niedergeschlagen. Wir danken unserem Gott für seine schöpferischen Impulse, für seine Hoffnungskapazität, die uns half, dranzubleiben, und für seine verbindende Kraft, durch die wir uns in unserer großen Unterschiedlichkeit immer wieder zur Einheit in der Ergänzung zusammenfinden konnten.
Cathy Zindel-Weber und Daniel Zindel
1 UNSER FAMILIENHAUS
Denken Sie einmal an Ihre Wohnung oder Ihr Haus. Wählen Sie eine bestimmte Tageszeit aus, an der Sie in Ihrer Vorstellung die Räume betreten. Statten Sie sich in Gedanken einen Besuch ab. Sie schließen die Wohnungstür auf. Wie riecht es, wenn Sie eintreten? Welche Geräusche hören Sie? Schlafen die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner bereits (oder noch)? Spielen oder streiten sie? Sind die Familienmitglieder beim Essen und Sie setzen sich dazu? Wie begrüßen Sie sich? Kommen Sie als Erste/r nach Hause und genießen Sie noch ein wenig die Ruhe vor dem Sturm? Oder sehen Sie das ungeputzte Bad, den überquellenden Wäschekorb? Öffnen Sie die Rechnung, die Sie zusammen mit der Zeitung hochgetragen haben? Sehen Sie, dass die Pflanzen unbedingt gegossen werden müssten? In dieser Wohnung, in diesem Haus leben Sie mit Ihrer Familie.
Was ist eine Familie?
Eine Familie ist ein Ort, wo mindestens zwei Generationen zusammenleben.
Die Bibel kennt den Ausdruck »die Familie« nicht. Sie verwendet dafür den Begriff »das Haus«, auf Hebräisch »Bet«.
Unser Dozent für Hebräisch versuchte einmal, uns zu zeigen, wie sich die hebräischen Buchstaben aus der Bilderschrift entwickelt hatten. Er malte das »Bet«, das hebräische B, auf die Tafel und fragte: »Seht ihr das Beduinenzelt?«
Der Buchstabe »Bet« bildet einen Raum, der geschlossen und zugleich offen ist. Treffender als mit diesem einen Buchstaben kann man das, was Familie ausmacht, nicht darstellen. Eine Familie ist wie ein Haus. Sie bildet einen Raum.
Das Zelt: Die Familie als Beziehungsraum.
DIE FAMILIE ALS BEZIEHUNGSRAUM
Die Familie ist ein vielfältiger Beziehungsraum: Jedes Familienmitglied hat eine Beziehung zu sich selbst. Jedes Mitglied in der Familie lebt in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht zu den anderen. Dazu kommt die Spiritualität jedes Familienmitglieds. Was glauben die Einzelnen? In unserem christlichen Ansatz fragen wir: Welche Beziehung hat jedes der Familienmitglieder zu Gott – und umgekehrt. Wie sieht das genauer aus?
Gottesbeziehung
Gott schützt und trägt das ganze Haus. Er ist in seinem Wesen mütterlich und väterlich zugleich. Er ist die Quelle bedingungsloser Liebe und geradliniger Herausforderung. Er ist in seiner Weisheit und Kreativität das Gegenüber von Mann und Frau, von Vater und Mutter und den Kindern, die unter seinem besonderen Schutz stehen. Oft haben Kinder einen besonderen Draht zu ihm und sind uns Eltern in ihrem kindlichen Vertrauen und ihrem unverstellten Glauben Vorbild.2
In jeder Familie gibt es neben dem modernen WLAN die benutzte oder eher brachliegende Verbindungsmöglichkeit zu Gott, dem schöpferischen Mitgestalter eines guten Lebens. Vielleicht spielt Gott in Ihrer Familie keine Rolle. Trotzdem gibt es etwas, das Sie verbindet und über Sie selbst hinausgeht.
Elternbeziehung
In Familien, die aus einem Paar und den Kindern bestehen, ist die Beziehung der Eltern essenziell. Sie sind ein Liebespaar, das sich mag, miteinander ringt, streitet, sich ergänzt, sich gegenseitig beflügelt oder blockiert. Alleinerziehende Väter und Mütter stehen vor besonderen Herausforderungen, ebenso wie die Partner in Patchworkfamilien.
Sie sind außerdem ein Elternpaar und tragen das Sorgerecht und die Sorgepflicht für ihre Kinder. Sie vermitteln Schutz, Sicherheit und stillen die Bedürfnisse ihrer Kinder. Sie sind für das Kindswohl verantwortlich.
Eltern-Kind-Beziehungen
Außerdem gibt es die Beziehungen der Mutter zu den Kindern und die Beziehungen des Vaters zu den Kindern. Jede dieser Beziehungen ist einzigartig, unvergleichlich, gleichwertig, wenn auch nicht gleichartig.
Das Ich der Kinder entwickelt sich am Du der Eltern und anderer Bezugspersonen. Das Kind steht nicht über den Eltern, auch nicht auf der gleichen Ebene und doch ist es gleichwertig und gleichwürdig Teil der Familie. Es wächst von der totalen Abhängigkeit der Eltern zu immer größerer Eigenständigkeit, bis es erwachsen wird und seine Eltern verlässt.
Geschwisterbeziehungen
Bei mehreren Kindern haben diese außerdem Beziehungen untereinander:
Der Fünfjährige umarmt sein neu geborenes Schwesterchen, das laut zu schreien beginnt. Der Neunjährige und sein um ein gutes Jahr jüngerer Bruder liegen sich buchstäblich in den Haaren. Alle drei bauen an einer Burg am Meeresufer und Mama schießt Bilder, um das harmonische Geschwisterglück für weniger gute Zeiten festzuhalten.
Die Beziehungskonstellationen unter den Geschwistern prägen schon sehr früh die Beziehungsmuster, die wir später leben werden.
Lisa suchte vor einigen Jahren das Gespräch mit ihrer ältesten Schwester Emily. Oft fühlte sie sich als Jüngste in der Kindheit von Emily dominiert und übergangen. Emily war ganz verwundert darüber und fragte nach Beispielen. Dabei wurde ihr bewusst, dass sie der jüngeren Schwester tatsächlich oft nicht gerecht geworden war. Die beiden konnten sich aussöhnen und das klärende Gespräch verhalf ihnen zu einem Wachstumsschub: Emily achtete nun darauf, die Jüngere mehr zu fragen als ihr zu raten. Lisas Lektion war es, ihren Wert nicht von Emilys Reaktion abhängig zu machen.
Das Familienhaus: Alle haben ihren Platz.
UNSERE PLÄTZE IM FAMILIENHAUS
Jedes Familienmitglied hat als Original seinen besonderen Platz im (Familien-)System. Der Ausdruck »Platz« macht deutlich, dass jeder von uns seinen eigenen Raum benötigt, den es abzugrenzen, auszufüllen und zu gestalten gilt. Wenn wir von »unserem Platz in der Familie« sprechen, ist das etwas sehr Umfassendes, das auch unsere Rollen und Funktionen als Eltern (und Kinder) beinhaltet. Es geht darum, seine Stellung, seine Verantwortung, seine Kompetenzen und Pflichten wahrzunehmen. Wir sprechen von Vater-, Mutter- und Kinderplätzen.
Mein Platz als Vater
In der Vergangenheit bestanden klare Vorstellungen, was »ein rechter Vater« oder eine »gute« Mutter ist. Diese starren Rollen mit allen Erwartungen, Werten und Verhaltensmustern sind heute in unserer Gesellschaft sehr flexibel geworden. Das ist gut so, denn