Die Spur der toten Engel - Norwegen-Krimi. Kjersti Scheen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kjersti Scheen
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Margaret Moss
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726444971
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sagte der Junge und zeigte. »Da! Was zum Teufel ist das?«

      Sie folgte seinem Blick. Etwas Schweres lag da und wurde im Wasser hin- und hergetrieben, am einen Ende war ein Plastikkanister befestigt, und als der Kutter langsam näherglitt, rollte es zur Seite und schlug gegen die Bootswand.

      Sie trat schnell einen Schritt nach hinten.

      »Eine Leiche«, sagte sie leise, so leise, daß sie glaubte, es wiederholen zu müssen, obwohl Bjørn Bertelsen sicher dasselbe sah wie sie. »Es ist eine Leiche!« rief sie, und jetzt hatte auch Willy es gehört, er kam mit langen Schritten nach vorne.

      Der Motor tuckerte im Leerlauf, das Boot drehte sich langsam mit der Breitseite in die Wellen, während sie sich alle drei über die Reling lehnten.

      »Verdammt«, sagte Willy Bertelsen schließlich. »Sicher ist das eine Leiche.«

      Sie holten sie nicht an Bord.

      Der Junge hing über der Reling und hielt sie mit einem Bootshaken fest, während sein Vater über Sprechfunk die Polizei anrief. Dann kam er wieder heraus. »Übernimm mal da drin«, sagte er kurz, und der Sohn nickte und ging. Sein Gesicht war in der Umgebung des Mundes ganz weiß.

      Willy Bertelsen schob den Bootshaken etwas besser unter die Seile, mit denen zwei Füße in schwarzen Stiefeln zusammengebunden waren, und hatte einen verbissenen Gesichtsausdruck. »Ja, ja«, sagte er bloß. »Da ist ja für Sie aus der Angeltour nichts geworden, Moss.«

      Sie antwortete nicht.

      Weder das Alter noch das Geschlecht der Person dort unten im Meer ließ sich bestimmen. Die Haare wie Seegras um den Kopf, das Gesicht nach unten, der Rücken nach oben, halb in die Wasseroberfläche getaucht, ein Hosenboden, der dunkel von Feuchtigkeit war, ein rotes T-Shirt und dazwischen ein breiter Streifen bläulich weißer Haut. Sie räusperte sich. »Es ist auf jeden Fall kein Selbstmörder«, sagte sie mit rostiger Stimme. »Hier wollte irgend jemand etwas Lästiges loswerden.«

      Willy Bertelsen wechselte die Hand, die Knöchel, die den Bootshaken umklammerten, waren weiß, denn es war mühsam, gegen die Wellen anzukämpfen. »Woher wissen Sie das?« fragte er.

      »Ich weiß gar nichts«, sagte sie. »Aber hätten Sie sich Ihre Füße so zusammengebunden, wenn Sie vorhätten, ins Meer zu springen?«

      Er sah sie an und schüttelte den Kopf. »Ich frage mich bloß, warum ein Schwimmer daran befestigt ist«, antwortete er nur.

      »Der Kanister war vermutlich mit Sand oder Wasser gefüllt«, sagte Moss. »Er sollte wohl als Ballast dienen, nicht als Schwimmer. Dann ist irgendwas schiefgelaufen, und das Wasser, oder was auch immer, ist ausgelaufen. Wieviel faßt der Kanister, was meinen Sie?«

      »Sieht aus wie ein Fünfundzwanzig-Liter-Kanister«, sagte Bertelsen.

      »Der Verschluß sitzt noch drauf«, sagte Moss. »Kann es sein, daß der Kanister leckgeschlagen ist?«

      »Gestern war doch so ein schreckliches Wetter«, sagte Bertelsen und blickte über die Reling. »Sturmböen, haben sie beim Wetterdienst gesagt. Anscheinend ist zuviel Lose gegeben worden.«

      »Lose?«

      »Sehen Sie nicht die Leine da, zwischen ... na ja, von der Leiche zum Kanister? Sie ist mindestens anderthalb Meter lang. Bei den Wellen gestern war der Kanister wahrscheinlich einem ziemlichen Zug ausgesetzt, vor allem, wenn ... das da, die Leiche, nach oben wollte. Die füllen sich mit Luft, wissen Sie. Ein unglaublicher Auftrieb. Und dann ist der Kanister über den Meeresgrund geschleift worden, in dieser Gegend gibt es viel scharfen Schiefer, und dann ist er wohl leckgeschlagen. Er sieht nicht aus wie die Kanister, die man sonst verwendet, das Plastik ist so dünn, vielleicht ist er eher fürs Campen geeignet.«

      Er schaute wieder ins Wasser.

      Margaret Moss tat dasselbe. Der eine Arm der Leiche klatschte gegen die Bootswand. Die Hand war klein. Vielleicht war es ein Mädchen? Sie konnte sich nicht dagegen wehren: Schnell versuchte sie sich zu erinnern, ob Karen ein rotes T-Shirt besaß.

      Sie wußte es nicht.

      Selbstverständlich war es nicht Karen.

      Natürlich nicht!

      Sie warf Bertelsen einen raschen Blick zu. Er hatte erzählt, daß Bente blond sei, konnte die hier blondes Haar gehabt haben, bevor es so salzwassernaß und tangartig geworden war? Sie glaubte es zwar nicht, hatte aber auch keinerlei Erfahrung mit Wasserleichen. Im Lauf der kurzen Zeit, die sie bei der Polizei gewesen war, hatte sie nur eine Wasserleiche gesehen, einen Penner, der vom Bootssteg gefallen war. Er hatte einige Tage im Wasser gelegen. Wie lange diese Leiche an den Stränden entlanggetrieben war, ließ sich nicht ohne weiteres sagen, aber der Körper in dem T-Shirt wirkte so aufgedunsen, daß es wohl schon eine ganze Weile sein mußte. Es graute ihr davor, daß die Polizei kommen und die Leiche umdrehen würde.

      Sie blickte schnell zu Bertelsen hinüber. »Kommt die Wasserschutzpolizei hierher?«

      »Ja«, sagte er, hielt den Bootshaken mit aller Kraft fest und versuchte, die Leiche ruhig treiben zu lassen.

      Margaret dachte, es ging doch mit dem Teufel zu, daß sie ausgerechnet auf diese Tour mitgekommen war, auf der Bertelsen und sein Sohn eine Wasserleiche fanden. Sie schniefte und wischte sich mit dem Ärmel die Nase. Sie überlegte, ob sie Bertelsen bitten könnte, sie als seine Cousine oder so auszugeben, aber noch bevor sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, war ihr klar, daß das ein alberner Einfall war. Sie war Zeugin, sie würde auf dem Präsidium verhört werden, und sie würde gezwungen sein zu sagen, wer sie war.

       Die erfolgloseste Detektivin der Stadt – at it again!

      Verdammt!

      Sie schniefte erneut und hielt sich an der Reling fest, während das Boot hin- und herschlingerte, und blickte hinüber zu den nördlichen Hügeln.

      Das da im Meer war definitiv nicht sehenswert.

      2

      All your fears are foolish fancies, maybe.

      Norton/Burnett

      Es war Vormittag in Grønlandsleiret, der rote Gelenkbus schaukelte vorwärts und hielt mit einem so lauten Zischen der Druckluftbremsen, daß sich die Tauben von dem gelblich bleichen und matschigen Rasen im Park erhoben und fächerförmig in Richtung Polizeipräsidium flatterten.

      Margaret Moss wühlte in ihrem Parka nach ihrer Fahrkarte. Nachdem sie sie entwertet hatte, setzte sie sich auf einen der hintersten Plätze und starrte müde und mit kleinen Augen durch ein Fenster, das grau von Schmutzspritzern war. Der Winter war lang gewesen, und jetzt war Frühling.

      Eine Art Frühling jedenfalls. Unter den Büschen im Park lagen noch Schneereste, die aussahen wie die Laken in den Zimmern der Studentenwohnheime von Margarets Jugendlieben: grau.

      Frühling in Oslo, der schmutzigsten Stadt der Welt.

      Ein einziger Lichtstrahl im schwarzen Tunnel dieses Tages: Inspektor Averøy, ihr ehemaliger Vorgesetzter und alter Feind, hatte nicht mitbekommen, daß sie im Präsidium war. Das war immerhin etwas. Sie hatte sich für jemand von auswärts ausgegeben, aus Nordnorwegen.

      Und die Leiche war die eines Mädchens. Das hatten sie gesehen, sobald die Wasserschutzpolizei gekommen war und sie aus dem Wasser geholt hatte. Jetzt durchforsteten sie vermutlich die Listen über vermißte Personen, versuchten herauszufinden, wie lange sie im Meer gelegen hatte, ob sie tot gewesen war, bevor man sie ins Wasser geworfen hatte.

      Solche Sachen.

      Mit denen Margaret Moss zum Glück nichts zu tun hatte. Zumindest war es kein Mädchen gewesen, das sie gekannt hatte.

      Es zog im Magen. Wurde sie plötzlich reisekrank?

      Da fiel ihr ein, daß sie seit beinahe achtzehn Stunden nichts mehr gegessen hatte. Der Bus hielt mit einem verdrießlichen Rülpser am Oslo City Einkaufszentrum, und ohne weiter nachzudenken, stieg sie aus. Es gab massenhaft Cafés