Matthias Rein, der der Herkunft der Formel vom „Wachsen gegen den Trend“ nachgegangen ist, konnte zeigen, dass sie tatsächlich im Zusammenhang der Rede vom Markt der religiösen Orientierungen steht und einen ökonomischen Hintergrund, ein Ausdruck der Ökonomisierung unseres Denkens ist. Noch in den 90er Jahren spielt die Wachstumsidee in kirchlichen Verlautbarungen kaum eine Rolle.50 Ich will mich ausdrücklich nicht prinzipiell dagegen aussprechen, managementtheoretisches Wissen zum Zweck der kirchlichen Organisationsleitung zu berücksichtigen. Der Beitrag den das Gemeindemanagement leistet, auf Hemmnisse aufmerksam zu werden, die die Verwaltung der Institution für eine lebendige Organisationsentwicklung bisweilen bedeuten kann, ist nicht gering zu schätzen.51 Gleichwohl ist die Annahme grundverkehrt, dass sich die Kirche auf einem Markt der Sinnanbieter durchsetzen müsse und es im Wettbewerb der verschiedenen Anbieter einer betriebswirtschaftlich orientierten Managementqualifikation für Pfarrerinnen und Pfarrer bedürfe. Die Pluralisierung von Religion und Religionen ist nicht mit einem Markt gleichzusetzen. Auch in Anführungszeichen gesetzt ist diese Redeweise m.E. nicht wirklich geeignet und wird zurecht satirisch kommentiert.52 Unbedingt richtig ist, dass die religiöse Pluralität gesellschaftlich wie innerkirchlich reflektiert und bei kirchenleitenden Entscheidungen berücksichtigt werden muss.53
Wenn es auch vernünftig ist, im Blick auf die Entwicklung und Leitung von Organisationen von der Betriebswirtschaft und aus best practice-Beispielen zu lernen,54 so unangemessen ist es doch, die Frage „Kirche wie eine Behörde verwalten oder wie ein Unternehmen führen" zur Leitfrage der Theologie des Spirituellen Gemeindemanagements zu erklären. Leiten in der Kirche ist eben kein ganz so ungeschriebenes Kapitel der Praktischen Theologie, wie es Hans-Jürgen Abromeit behauptet.55 Es geht vielmehr um die Frage nach der Angemessenheit der Konzepte. So deutlich bei Abromeit die kirchliche Situation und die besondere Herausforderung in Ostdeutschland wird,56 so sehr scheint Abromeit in der Not der ökonomistischen Verheißung zu erliegen, wenn er die Evangeliumsverkündigung organisationstheoretisch optimieren möchte. Und auch wenn es Herbst in seiner Orientierung an Bohrens Modell der theonomen Reziprozität57 um eine Rezeption und Transformation des Marketing-Gedankens geht; die Menschen sind als Kunden im Gegenüber und nicht in der Verbundenheit als lebendige Glieder des eines Leibes im Blick.58 Die Theologie des spirituellen Gemeindeaufbaus steht im Sog der Ökonomisierung, sie ist ein Beispiel für die von Isolde Karle kritisierte Deprofessionalisierung durch Professionalisierung.59
Der betriebswirtschaftliche Denkansatz steht in der Gefahr, die Oikodomik in eine „Ökonomik der Religion“ zu verkehren. Tatsächlich hat sich ein solcher Forschungszweig der Ökonomik in den letzten Jahrzehnten entwickelt.60 „Die Handlungen von Kirchen und deren Funktionären werden hier modelliert als nutzenmaximierende Antwort auf Beschränkungen und Gelegenheiten im religiösen Markt“ von Angebot und Nachfrage.61 Grundlegend und für das „religiöse Consulting“ leitend ist die Annahme, dass auch „Anbietern von religiösen Programmen“ in ökonomischem Sinne rationales Verhalten unterstellt werden kann, das auf die „Maximierung der Zahl der Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft, der Gewinne, der Ressourcen, des Vermögens oder der Regierungsunterstützung“ abziele. Die Anwendung der Theorie der Firma auf die Kirche basiert auf dieser offenbarungstheologisch abwegigen aber anscheinend auch innerkirchlich einleuchtenden Auffassung von Religion als Wahlverhalten, für das die Kirche religiöse Güter und Dienstleistungen anbiete. Alternativ wird die Kirche von der Ökonomik der Religion auch clubtheoretisch rekonstruiert. Nach diesem Modell sind Kirchen „Organisationen zum Nutzen der Mitglieder, in denen die Mitglieder die Produktion der religiösen Clubgüter, also etwa die Gottesdienste, die religiösen Instruktionen, die sozialen Aktivitäten, selbst in die Hand nehmen. Abgesehen von einigen hauptberuflichen Funktionären fungieren die Mitglieder sowohl als Produzenten als auch als Konsumenten“.62 Die Qualität des Clubs hängt dabei nicht zuletzt vom wechselseitigen Einfluss der Clubmitglieder aufeinander ab. „Je mehr sich eine Person religiös engagiert, desto größer wird der Nutzen anderer Mitglieder im Club. Personen, die sich in der Gemeinschaft weniger häufig und weniger intensiv religiös betätigen, man mag sie »easyriders« nennen, reduzieren den religiösen Nutzen der anderen und gefährden die Lebensfähigkeit einer Religionsgemeinschaft.“63 Erinnert diese Theorie nicht frappant an die Überlegungen zur Motivation zum Missionarischen Gemeindeaufbau bei Michael Herbst?
Die ökonomische Theorie aber ist sachlich nicht angemessen. Religiöses Consulting führt kirchenleitend in die Irre und die Forderung nach einer Liberalisierung des religiösen Marktes64 geht an der Sache vorbei. Zumal das „Wachstum“ innerkirchlich betrachtet in aller Regel ein merkantilistisches ist, das als relatives Wachstum zu Lasten anderer Kirchen und Gemeinden geht.65 Die mit vermeintlichem Wachstum auf sich aufmerksam machenden Gemeindegründungsprojekte erweisen sich so betrachtet als Sammlungsbewegungen innerhalb der lebendigen Kirche Jesu Christi. Einen religiösen „Markt“ aber gibt es nicht wirklich; signifikante Zuwendungen zu nicht-christlichen Religionen lassen sich empirisch nicht festmachen66 und Kirchenleitung kann aufgrund des Sozialcharakters der Kirche nicht (unternehmerische) Führung sein, sondern ereignet sich „amtlich“ im Auftrag und innerhalb der Gemeinschaft.
Breitenbach beschreibt Gemeindeleitung als ein partizipativ-prozessuales Geschehen.67 Leitung ereignet sich nicht in einem Gegenüber, sondern als systemische Selbststeuerung. Die Bedeutung des Amtes als Institution und die Leitungsfunktion Einzelner, die durchaus partizipativ gedacht werden kann,68 scheint mir bei Breitenbach durchaus unterbewertet. Aber auch ein Episkopus ist in seiner Funktion eben kein Vorstand, der die Geschäfte managt, sondern steht in Verantwortung der Kirche in der Gesamtheit ihrer Glieder. Bei Breitenbach drückt sich dies in der Betonung des Zusammenspiels der Leitungsformen aus, die er als episkopal, presbyterial und kongretational beschreibt. „Beauftragte Mitarbeiter/innen, gewählte Gremien und freie Basisbeteiligung wirken bei der Leitung der Gemeinde in gemeinsamer Verantwortung und wechselseitiger Abhängigkeit zusammen. Für die Machtverteilung ist das Dreiecksmodell von entscheidender Bedeutung: Die drei Leitungsformen sind einander in gegenseitiger Abhängigkeit zugeordnet. Das nichthierarchische Spannungsverhältnis der Instanzen dient der gegenseitigen Ergänzung und der wechselseitigen Kontrolle in der Wahrnehmung des gemeinsamen und allen Instanzen unverfügbaren Auftrags der Kirche“ (312).
Die Frage nach dem Wie der Leitung beantwortet Breitenbach mit dem Modell des Konzils. Es „bringt die Leitung durch das Amt, die Leitung durch repräsentative Versammlungen und durch die »freie Geistesmacht« miteinander ins Spiel“ (313). Malte Detje kritisiert in seiner Darstellung, es bleibe in der Sache unklar, wie das Konzil „konkret aussieht“.69 Breitenbach aber beschreibt dies durchaus: „Im »concilium« kommen berufene Amtsträger/innen der Kirche, gewählte Repräsentant/innen aller Kirchenglieder und engagierte Vertreter/innen der Basis in möglichst repräsentativer Auswahl zusammen. Sie tun dies aus gegebenen Anlass …. Sie beten miteinander, sie hören das Wort und feiern das Mahl. Sie teilen ihre Erfahrungen, sie lernen voneinander, sie streiten und entscheiden miteinander. Sie tun dies unter dem Vorbehalt der Prüfung an der Schrift, mit dem Anspruch von Verbindlichkeit, aber ohne äußere Machtmittel“ (314). Es gibt keine weiteren Verfahren als das Palaver und den Diskurs, dessen Konkretion sich situativ entwickeln muss. Über grundlegende Regeln und Formen achtsamer Kommunikation und Moderation hinaus gibt es keine methodischen Festlegungen, kein Programm. „Konziliare Prozesse aktualisieren das konziliare Zusammenspiel angesichts einer konkreten Herausforderung für Zeugnis, Dienst und Gemeinschaft der Christen. Sie konzentrieren es auf das Bemühen um zunehmende Deutlichkeit, wachsende Übereinstimmung und größere Verbindlichkeit des Bekennens, Handelns und Zusammenwirkens der Christen an einem benennbaren Punkt“ (314). Nicht technische Verfahren, sondern Prinzipien des kommunikativen Handelns sind bestimmend: Erstens