»Ich dachte, die Route stünde seit heute Morgen fest. Wie auch immer, der Süden ist der einzige Ausweg, der uns noch bleibt.«
»Ja, aber die gegnerische Belagerungsposition wechselt von Stunde zu Stunde. Unseren Spähtrupps zufolge ...«
»Das nennst du Spähtrupps? Die zwei oder drei Patrouillen, die wir haben? Sie tappen im Dunkeln, wenn du meine Meinung hören willst.«
»Deine Meinung behalt besser für dich. Du wirst mir nicht beibringen, wie ich meine Arbeit zu machen habe.«
Mansur macht sich wieder daran, seine Fingernägel zu betrachten, die er noch nicht ganz abgenagt hat. Den Hals zwischen die Schultern eingezogen, murrt er:
»Wir hätten den Palast nie verlassen dürfen.«
»Ach, im Ernst?«, erwidert der General.
»Wir hatten es gut im Bunker. Wir hatten einen Schlafplatz und genug zu essen und waren in Sicherheit vor Luftangriffen und Artillerie-Beschuss. Sieh doch nur, wo wir jetzt sind. Ein einziger Hubschrauber würde genügen, uns mit Mann und Maus zu erledigen.«
Der General legt seinen Stift an der Tischkante ab. Er ahnt dunkel, dass der Chef der Volksgarde ihn provozieren will und vermeidet jegliche Konfrontation. Er war es, der die Idee gehabt hatte, den Palast zu verlassen. Er hat mich nicht groß überzeugen müssen – ich war ohnehin auch dieser Ansicht. Sämtliche Residenzen, die mir als mutmaßliches Versteck hätten dienen können, hatte die Luftwaffe der Alliierten ja schon dem Erdboden gleichgemacht, einschließlich der Wohnsitze meiner Familienmitglieder und meiner Kinder. Bei dieser grausigen Menschenjagd hat die NATO ja noch nicht mal gezögert, meine Enkelkinder gleich mit zu bombardieren und sie skrupellos, ohne das leiseste Bedauern, zu töten.
»Wie schnell hätten wir im Souterrain in der Falle sitzen können. Das war viel zu riskant«, wendet der General mit eisiger Ruhe ein.
»Glaubst du denn, hier sind wir außer Gefahr?«, beharrt Mansur.
»Hier finden sie uns wenigstens nicht. Außerdem haben wir hier einen größeren Manövrierspielraum, falls wir angegriffen werden sollten. Wenn wir im Keller des Palasts geblieben wären, hätten die Rebellen nur mit einem Presslufthammer oder Tunnelbagger ein Loch in den Stahlbeton bohren müssen. Dann hätten sie in aller Ruhe einen Schlauch in die Bresche einführen und einen Kompressor anschließen können, um uns zu vergasen.«
»Immer noch besser, als zerfetzt zu sterben, oder?«
Um ein Haar hätte ich mich auf den Chef meiner Volksgarde gestürzt und auf ihn eingedroschen, bis er platt am Boden läge. Aber ich bin erschöpft.
»Mansur«, mahne ich nur, »wenn man nichts zu sagen hat, hält man besser den Mund.«
»Der General ist überfordert ...«
»Mansur«, wiederhole ich mit dunkler Stimme, die die Wut, die in mir aufsteigt, verrät, »jazyk moj vrag moj,3 sagt das russische Sprichwort. Zwinge mich nicht, dir die deine mit einer Zange auszureißen.«
Plötzlich ertönt in der Ferne eine gewaltige Detonation.
Der General schnellt herum, aus seinem Gesicht ist alles Blut gewichen.
»Die Bombardierung der NATO hat begonnen!«
Mansur entfährt ein kleines höhnisches Lachen:
»Nur ruhig, mein Alter. Du bist voreilig.«
»Ach wirklich?«, erwidert der General erbost.
»Na weißt du«, stichelt der Chef der Volksgarde, »eine Bombenexplosion nicht von einer detonierenden Granate unterscheiden zu können, das ist schon ein bisschen schwach für einen General.«
Es juckt mich in den Fingern, nach der Waffe zu greifen und den Unverschämten auf der Stelle abzuknallen – aber seine leidenschaftslose Miene hält mich davon ab.
»Was ist es denn deiner Meinung nach?«, frage ich ihn.
Mansur antwortet derart unbeteiligt, dass ich jetzt wirklich bereue, meine Pistole oben im Schlafraum gelassen zu haben:
»Das ist nur Mutassim. Er sprengt das Munitionsdepot des Distrikts in die Luft, damit es nicht den Rebellen in die Hände fällt.«
»Wie kannst du das wissen?«, knurrt der Verteidigungsminister.
»Du selber, General, hast ihn doch mit dieser Operation betraut«, sagt Mansur verächtlich. »Ich nehme an, dass du dich in der Panik nicht mehr an die Befehle erinnerst, die du blindlings erteilst.«
»Halt die Klappe«, befehle ich dem Chef meiner Garde, einerseits verärgert über seine Haltung, andererseits erleichtert zu hören, dass es sich um falschen Alarm handelt. »Ich verbiete dir, es gegenüber meinem Minister an Respekt fehlen zu lassen. Während er von den Ereignissen überrollt wird und sich alle Mühe gibt nachzukommen, erschlägst du uns mit deinen Stimmungsschwankungen.«
»Aber ich verliere wenigstens nicht den Überblick. Aus den Rebellen sind Waffenschmuggler geworden. Sie verschachern unser Arsenal an AQMI4 und Konsorten. Nach den letzten Informationen sind die Revolutionsgeschwader, die wir jahrelang auf unserem Boden ausgebildet, beschützt, finanziert und ernährt haben, dabei, sich den Islamisten anzuschließen.«
»Übles Propagandageschwätz! Die Revolutionäre sind meine Kinder. Die Verräter machen doch regelrecht Jagd auf sie. Mein Sohn Saif al-Islam versucht, sie zurückzugewinnen, um eine gigantische Gegenoffensive zu starten, die in weniger als einer Woche diese Kasperarmee, die von den Kreuzfahrern nach Belieben manipuliert wird, hinwegfegen könnte.«
Mansur macht eine wegwerfende Handbewegung, während er aufsteht und mit verstockter, mürrischer Miene den Raum verlässt.
»Du darfst ihm das nicht verübeln«, erklärt mir Abu Bakr. »Er ist deprimiert.«
»Ich kann es nicht leiden, wenn man in meiner Gegenwart deprimiert ist. Eine Viertelstunde im selben Raum mit diesem Defätisten ist wie ein Jahr Zwangsarbeit. Er ödet mich an und treibt mich gleichzeitig noch in den Wahnsinn.«
»Ich verstehe, Herr Präsident. Er wird sich wieder fangen. Er hat nur eine schlechte Phase.«
»Ich werde ihn erschießen lassen, sobald die Situation sich normalisiert hat«, verspreche ich ihm ... »Gut, ich gehe wieder hoch in mein Zimmer. Schick mir Amira ...«
Bevor ich gehe, drücke ich dem General einen Finger gegen die Brust: »Behalt mir Mansur im Auge und scheu dich nicht, ihn zu liquidieren, wenn er Anstalten macht, sich zu verkrümeln.«
Der General nickt, den Blick zu Boden gesenkt.
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