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halten.«

      »Das ist doch nicht möglich!«, erregte sich Saif, heftig schluckend. »So geht das doch nicht. Er kann doch nicht einfach so die Fliege machen!«

      »Wer sich nicht im Sattel halten kann, für den ist es immer an der Zeit, die Fliege zu machen.«

      Saif konnte es nicht fassen. Er schlug weiter die Hände zusammen, empört und zugleich verblüfft von der Geschwindigkeit, mit der der Rais die Arena geräumt hatte.

      »Der macht uns allen nur Schande. Er hat kein Recht, die Flinte ins Korn zu werfen. Ein arabischer Staatschef hängt seinen Burnus doch nicht so mir nichts dir nichts an den Haken. Dieser Waschlappen demütigt uns alle miteinander.«

      »Mich nicht.«

      »Verdammt! Er hält doch die Zügel in der Hand. Er braucht doch nur die Stirn zu runzeln, damit wieder Ordnung herrscht. Was macht denn eigentlich seine Polizei? Und die Armee?«

      »Was Majoretten üblicherweise so machen.«

      »Was für ein Skandal für einen Staatenlenker!«

      »Er war noch nie ein Staatenlenker, Saif. Er war ein gemeiner Zuhälter, der sich einen bourgeoisen Anstrich gab und immer auf dem Sprung war, sich beim geringsten Anzeichen von Ärger aus dem Staub zu machen. Jeder Taschendieb hat mehr Ehre im Leib als er.«

      Saif hatte ohne Unterlass weitergeschimpft.

      Ich aber nahm wieder meinen Enkelsohn auf den Arm und kehrte dem Fernsehen den Rücken zu.

      Ich fand die Araber mit ihren Revolten schon immer ziemlich ätzend – ähnlich wie diese Berge, die kreißen und dann doch nur eine Maus gebären.

      4

      Ich höre, wie sich ein Wagen nähert.

      Ist das mein Sohn Mutassim, der mit dem Konvoi zurückkommt?

      Ich laufe hinaus auf den Korridor, stürze die Treppe hinunter.

      Kein Mensch im Erdgeschoss. Schritte hasten zum Notausgang des Anwesens.

      Im Hof steht knatternd ein als Privatwagen getarntes Fahrzeug. Endlich stellt jemand den Motor aus. Es ist ein Pick-up, in einem erbärmlichen Zustand: zersplitterte Windschutzscheibe, pulverisierte Scheiben, die Karosserie zersiebt, ein Reifen geplatzt, ein Rad quasi auf der Felge mit seitlich herabhängenden Gummifetzen.

      Der Fahrer ist über dem Lenkrad zusammengesunken. Er öffnet den Wagenschlag, setzt mühsam einen Fuß ins Freie, lässt den anderen im Auto. Soldaten ziehen zwei Leichen vom Rücksitz herunter. Bei der einen ist der Schädel zertrümmert, bei der anderen sind die Augen verdreht und der Mund klafft weit auf. Auf dem Beifahrersitz stöhnt ein Mann.

      Abu Bakr nähert sich dem Fahrzeug, Mansur im Schlepptau.

      »Wo kommen die denn her?«

      »Das ist der Spähtrupp, Herr General«, antwortet ihm ein Hauptmann.

      »Trupp? Ich sehe nur ein Fahrzeug.«

      »Die beiden anderen sind unter Raketenbeschuss geraten«, ächzt der Fahrer mit ersterbender Stimme. »Kein Überlebender.«

      »Wie das, kein Überlebender?«, donnert Mansur. »Mach erst mal die Scheinwerfer aus, Blödmann! Glaubst du, du bist hier auf den Champs-Elysées?«

      Der Fahrer schaltet die Lichter aus. Seine Bewegungen sind langsam und schwerfällig.

      »Und Oberst Mutassim?«, frage ich ihn.

      »Hat Punkt 34 überquert.«

      »Hast du gesehen, wie er die feindlichen Linien durchbrochen hat?«

      »Ja, Herr Präsident«, keucht der Fahrer, kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. »Wir haben ihn bis zur Distriktsgrenze eskortiert und ihm Deckung gegeben, als die Rebellen ihn stoppen wollten.«

      »Nimm gefälligst Haltung an, wenn du mit deinem Präsidenten sprichst!«, herrsche ich ihn an.

      Es fehlt nicht viel, und der Fahrer bricht ganz über dem Lenkrad zusammen. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte hebt er den Hals etwas an und stöhnt: »Ich kann mich nicht auf den Beinen halten, Herr Präsident. Ich habe zwei Kugeln in der Achselhöhle und einen Eisensplitter in der Wade.«

      Mansur weist zwei Soldaten an, den Verletzten vom Beifahrersitz zu bergen.

      »Was ist passiert?«, fragt Abu Bakr.

      Der Fahrer windet sich, holt tief Luft und stößt dann in einem Atemzug hervor, als fürchte er, ihm könnten noch vor Ende seines Berichts die Sinne schwinden:

      »Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass Oberst Mutassim außer Gefahr ist, hat der Unteroffizier zwischen Punkt 34 und 56 den Durchstoß in das gegnerische Gebiet versucht, um den aktuellen Frontverlauf zu bestimmen. Wir sind gut vier Kilometer in den von den Rebellen kontrollierten Sektor vorgedrungen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Bei der Rückfahrt gerieten wir dann in einen Hinterhalt. Infanteristen haben uns mit Raketenwerfern attackiert. Die beiden anderen Fahrzeuge sind explodiert. Keine Ahnung, wie ich es zurück geschafft habe.«

      »Warum bist du überhaupt nach hier zurückgekehrt?«, schreie ich ihn an. »Und noch dazu, ohne deine Scheinwerfer zu löschen! Der Feind hat dich garantiert verfolgt. Jetzt kennt er unseren Standort, und alles nur wegen deiner Blödheit.«

      Bestürzt antwortet der Fahrer:

      »Aber wohin hätte ich denn gehen sollen, mit drei Verwundeten an Bord?«

      »Zum Teufel, du Idiot! Es geht nicht an, dass du das Hauptquartier in Gefahr bringst. Ich warne dich, wenn wir jetzt auffliegen, lass ich dich erschießen.«

      Der Hauptmann hilft dem Fahrer aus dem Wagen, legt einen Arm um seine Taille und schleift ihn zur Krankenstation.

      Die anderen Soldaten bleiben reglos vor dem Pick-up stehen, starr wie Holzskulpturen.

      Mansur Dao sitzt bang grübelnd im Sessel und mustert seine Fingernägel. Ab und zu verfällt er in Selbstgespräche und macht huschende Bewegungen wie ein Geisteskranker. Es ist nicht zum Aushalten, ihn förmlich dahinschwinden zu sehen. Da ist kein Unterschied zwischen dem, der sich dem Feind ans Messer liefert, und dem, der sich weigert zu kämpfen. Ich würde sogar sagen, der eine hat wenigstens noch den Mut, sich zu seiner Feigheit zu bekennen, während der andere überhaupt keinen Schneid mehr hat.

      Mansur, dieser abgehalfterte Kerl, dieses willenlos dahintreibende Wrack, widert mich an. Für mich gehört er zum Abschaum der Menschheit.

      Im Nebenraum, der uns für Krisensitzungen dient, studiert General Abu Bakr Yunis eine Generalstabskarte. Große Schweißflecken zeichnen sich auf seinem Hemd und unter seinen Achseln ab. Ich bin mir sicher, dass er nur eine Rolle simuliert, die er längst nicht mehr meistert. Von Zeit zu Zeit räuspert er sich, tut so, als würde er sich für ein Detail auf der Karte interessieren, beugt sich mit dem Gewicht seines ganzen Körpers über den Tisch, die Wange in die Hand gestützt, um mir zu zeigen, wie konzentriert er ist. Seinem Getue fehlt es an Glaubwürdigkeit, aber wenigstens bringt er mich nicht zur Weißglut.

      Wir sind zu dritt im Raum und warten ungeduldig auf die Kuriere von Mutassim. So ganz ohne Nachricht vom Oberst lösen wir uns nachgerade auf. Mit jeder Minute, die verstreicht, werden wir uns selbst immer unähnlicher.

      Meine Nerven liegen blank. Von der Welt abgeschnitten zu sein und ohnmächtig auf ein Lebenszeichen meines Sohnes zu warten, der quälend lange nichts von sich hören lässt, ist unerträglich. Mein Schicksal entscheidet sich – Kopf oder Zahl? – und die Münze schwebt weiter in der Luft, so scharfkantig wie ein Fallbeil.

      Mansur hört endlich auf, seine Fingernägel zu beäugen. Er blickt nach rechts, blickt nach links, auf der Suche nach ich weiß nicht was, rutscht unruhig in seinem Sessel hin und her, scheint sich zu fragen, wo er eigentlich ist. Nachdem er sich orientiert hat, versinkt er aufs Neue im Sessel, umfasst seine Schläfen mit Daumen und Mittelfinger und schüttelt unmotiviert den Kopf.

      Nach langem inneren Ringen