► gelebte Spiritualität im Alltag versus Säkularisierung
► Entwicklung eines Lebensrhythmus und einer Lebensregel versus Multi-Optionen-Gesellschaft und Ziellosigkeit
Wir, sechs Familien und eine Singlefrau aus Steffisburg, haben uns entschieden, dieses Experiment gemeinsam zu wagen. Wir wollen den Lebensrhythmus der alten monastischen Orden mit den Herausforderungen des Familien- und Berufsalltags des 21. Jahrhunderts in Einklang bringen. In einem weiteren Kreis gehören sogenannte Companions und Friends dazu. Das sind Menschen, welche sich für den Lebensstil der Alten Gärtnerei interessieren und gerne zwischendurch an den Angeboten des Klosters teilnehmen. Seit Frühjahr 2012 leben wir im Dorfkern von Steffisburg (Kanton Bern/Schweiz) in verschiedenen Gebäuden, die in Finkendistanz zueinander stehen. Gemeinschaftliches Leben bedingt geografische Nähe und sogar gemeinsame Räume. Herzstück sind ein großer gemeinsamer Park mit Feuerstelle, Spielplatz und ein Gebetsraum; jede Familie hat aber eine eigene Wohnung als Ort des Familienlebens und des persönlichen Rückzugs. Sichtbar wird unsere Gemeinschaft auch im gemeinsamen Lebensrhythmus und im gemeinsamen Nutzen von Ressourcen. Wir teilen Räume, Grund und Boden, Autos und Ressourcen aller Art und entdecken darin erstaunlich großes Potenzial! Interessanterweise funktioniert dies auch auf der persönlichen Ebene. Frei nach dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude.
Einige von uns haben theologische Ausbildungen im Gepäck. Aber alle arbeiten entweder außer Haus in säkularen Berufen oder in der Familie. Niemand verdient seinen Lebensunterhalt im Kloster. Weiter unterscheidet uns von klassischen Klosterbewegungen, dass wir aus Überzeugung Ehe und Familie mit dieser Lebensform vereinbaren wollen. Inspiriert vom Lebensrhythmus der alten Klöster versuchen auch wir, unseren eigenen Rhythmus zu finden. Regelmäßige Begegnungen und gemeinsame Projekte beleben Beziehungen. Bei einer Gruppe von 13 Erwachsenen mit Kindern geht dies nicht ohne Planung. Deshalb haben Fixpunkte in folgenden Bereichen in unseren Agenden ihren Platz gefunden:
► Zeiten der Freundschaft (z. B. gemeinsames Essen)
► Zeiten des Gebets (z. B. kurzes Abendgebet um 22.00 Uhr und gemeinsamer Wochenstart mit Abendmahl)
► Zeiten des Arbeitens (z. B. im Garten)
► Zeiten des Lernens (z. B. Diskussion von gesellschaftlichen und theologischen Themen, gemeinsames Bibellesen am frühen Morgen)
► Zeiten des Feierns (z. B. den Schweizer Bundes- oder Nationalfeiertag 1. August und Ostern)
Den daraus entstehenden Lebensrhythmus mit seinen wiederkehrenden Elementen erleben wir als langfristig lebbaren und erfrischenden Ausgleich zum oftmals hektischen und zerstückelten Alltag. Schließlich umrahmt und prägt das Kirchenjahr mit seinem eigenen Rhythmus unsere wöchentlich und monatlich wiederkehrenden Aktivitäten. Uns ist bewusst, dass die monastische Tradition viele Jahrhunderte alt ist und wir diese nicht erfunden haben. Wir wollen von diesen reichen Erfahrungen profitieren, sind aber nicht einer bestimmten Richtung verpflichtet. Wir fühlen uns frei, diese Schätze mit neuen Impulsen zu ergänzen, die dem Kontext unserer Zeit entsprechen.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass unser Weg auch nicht die einzige Form ist, wie Christsein und Kirche in unserer Zeit verkörpert werden kann. Vielmehr verstehen wir uns als Ergänzung, Bereicherung und Alternative zu bestehenden Gemeinde-, Kirchen- und Klosterformen. Zudem erleben wir immer wieder, wie Gäste aus verschiedenen Gemeindeformen und Hintergründen während ihrer Zeit bei uns auftanken können. Daran schätzen wir die Gespräche mit ihnen und immer wieder erleben wir eine gegenseitige Befruchtung. Wir sind Teil der internationalen 24-7-Prayer-Bewegung und auch dadurch mit verschiedenen Christen international verbunden.
Unsere Herausforderungen: Selbstzweck, Multiplikation und Kommunikation
Unsere Gemeinschaft ist jung und dynamisch. Die meisten von uns sind Verantwortungsträger in Wirtschaft, Medien und Politik. Die bunte Kinderschar und das große Anwesen sorgen für Betrieb. Über Langeweile im Alltag können wir nicht klagen. Das ist die eine Seite. Gleichzeitig sind die ersten Pionierjahre vorbei, vieles ist geregelt und hat sich eingespielt. Wir kennen uns schon recht gut und der gemeinsame Rhythmus gibt uns Stabilität. Konflikte kommen immer wieder vor, aber insgesamt gesehen haben wir trotz großer Unterschiede in unseren Persönlichkeitsprofilen eine harmonische Gemeinschaft. Das ist schön und dafür sind wir dankbar. Doch darin versteckt sich auch unsere erste Herausforderung. Unsere Gemeinschaft soll nicht Selbstzweck sein. Wir sind gefordert, geistlich wach zu bleiben. Unsere paradiesische Umgebung und die tolle Gemeinschaft dürfen uns nicht daran hindern, immer wieder bereit zu sein für nächste Schritte, für Projekte, die der Gesellschaft und unseren Nachbarn zugutekommen.
Dazu sehen wir in den Geschichten der alten iroschottischen Christen ein Vorbild: Sie haben ihr Leben als Peregrinatio, als Leben in der Fremde, verstanden. Sie sind darum immer wieder aufgebrochen, haben neue Klöster gegründet. Leute wie Columban verzichteten mit ihrem »In-die-Fremde-Gehen« auf die gewohnte Geborgenheit. Die Missionare aus Irland verließen mit der Peregrinatio den Schutz ihrer vertrauten Gemeinschaft. Diese Bereitschaft wollen wir uns zum Vorbild nehmen. Dies führt zur zweiten Herausforderung. Strukturell gesehen ist unser Kloster nicht beliebig erweiterbar, auch weil der verfügbare Wohnraum in unmittelbarer Nähe beschränkt ist. So gesehen sind numerische Wachstumsmöglichkeiten nur bedingt vorhanden. Von Anfang an war uns darum klar, dass Wachstum bei uns fast ausschließlich durch Multiplikation möglich ist.
Im Herbst 2015 haben wir darum entschieden, im benachbarten Thun ein zweites Kloster zu gründen. Eine Kernfamilie zieht zusammen mit einer Familie aus dem Kreis der Companions vom beschaulichen Steffisburg direkt neben ein stadtbekanntes Ausgangslokal. Auf der anderen Seite der Liegenschaft befindet sich die städtische Heroinabgabestelle. In die dritte verfügbare Wohnung im Haus wollen sie eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen und ihr bei der Integration in unsere Gesellschaft zur Seite stehen. Der Kontext und damit verbunden auch das Profil dieser neuen Gemeinschaft sind also ganz anders. Parallel dazu begleiten wir eine Familie in Schweden, die ebenfalls in den Startlöchern für ein eigenes Projekt steht. Die Familie hat uns letztes Jahr hier in der Schweiz besucht und möchte nun mit Freunden etwas Ähnliches bei ihnen zu Hause umsetzen. In den nächsten Monaten muss sich zeigen, ob die Multiplizierbarkeit des Konzepts bei unseren beiden Neugründungen funktioniert.
In den ersten Jahren sind wir mehr oder weniger außerhalb des Radars der christlichen und säkularen Öffentlichkeit gesurft. In aller Ruhe konnten wir experimentieren, unseren Lebensrhythmus austesten, Details verfeinern und unsere Vision schärfen. Manchmal sind wohl auch die Nachbarn nicht recht schlau geworden, was diese Familien da bezwecken. Eine Online-Präsenz gab es nicht und wer uns nicht persönlich gekannt hat, hat wahrscheinlich nichts vom Klostergedanken mitbekommen. Wir glauben, dass nun eine neue Phase angebrochen ist. Eine Phase, in der wir bewusst mehr und aktiver kommunizieren. Eine Website ist in der Folge entstanden, für ein Sommerfest wurde die ganze Nachbarschaft eingeladen. Zwei IGW-Kurse über gemeinschaftliches Leben haben auf unserem Gelände stattgefunden. Doch die genaue Kommunikationsstrategie gegenüber anderen Kirchen, Medien und der lokalen Bevölkerung ist noch im Werden. Das ist unsere dritte Herausforderung.
Unsere Vision: Leuchtturmprojekt
In zehn Jahren wird das Kloster Alte Gärtnerei im Teenager-Alter sein, es wird dann jugendliche 15 Jahre auf dem Buckel haben. Entgegen den Hoffnungen für unsere eigenen Kinder sehnen wir uns danach, dass unser Kloster-Teenager dann bereits eine ganze Reihe Schwangerschaften hinter sich hat oder zumindest Geburtshelfer sein durfte. Wie erwähnt, träumen wir weniger von einem gigantischen Kloster in Steffisburg, zu dem künftig die halbe Dorffläche gehört, sondern von ganz vielen ähnlichen Projekten, die in Städten und Dörfern Europas Licht und Hoffnung verbreiten. Gemeinschaften, die einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil vorleben, tief in Christus verwurzelt sind und mit innovativen Projekten der Gesellschaft dienen. Städtische Oasen für die getriebenen und orientierungslosen Zeitgenossen. Orte, wo sie dem Sinn des Lebens auf die Spur kommen. Klöster, wo Kunst genauso dazu gehört wie das regelmäßige Gebet und die körperliche Arbeit im Hinterhof der Millionenstadt. Aus eigener Kraft ist das nicht machbar. Wenn es aber eine Idee Gottes