Dass der Glaube eine öffentliche Angelegenheit ist, war keine Erfindung der Urkirche, sondern geht auf Jesus zurück. Jesus beschränkte sich nicht darauf, die Menschen aufzufordern, an das Evangelium zu glauben. Er rief nicht zu einer Gotteserfahrung, welche die Gläubigen in eine geistliche Welt entführte, in welcher man seinen Frieden fand, weil man sich nicht um die Belange der Gesellschaft kümmerte. Jesu Predigtmenü reichte von den großen religiösen Fragen (ist Scheidung erlaubt? – Mt 19,2–12) über aktuelle gesellschaftliche Fragen (wie geht man mit dem Abschaum der Gesellschaft um? – Lk 15,1–32) bis zu den brennenden politischen Fragen seiner Zeit (wie verhält man sich gegenüber seinen politischen Unterdrückern? – Mt 5,41; soll man dem Kaiser Steuern zahlen? – Lk 20,20–26).
Die Kirche muss sich auf die Fährte des Galiläers setzen lassen, wenn sie nicht in der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit versinken will. Christen folgen ja einem Propheten, der sich eingemischt hat. Jesus war ein Störenfried der Mächtigen. Es war Lesslie Newbigin, der Spiritus Rector der Missional Church, der in den 1980er-Jahren darauf hingewiesen hat, dass die Kirche die Einschränkung ihrer Rolle auf den privaten Sektor niemals hinnehmen darf. Zweifellos hat er damit Jesus und die Urkirche auf seiner Seite. Und er hat damit der Kirche den Weg gewiesen, den sie zu gehen hat.
Kreuzen am Wind
Alles das macht deutlich, dass die Aufgabe, die vor der Kirche liegt, herausfordernd und voller Unwägbarkeiten ist.
Bei einem Marathonlauf über 42 Kilometer holen die Läufer die letzten Reserven aus sich heraus. Als Hilfe dient ihnen eine blaue Linie am Boden, der sie stur folgen, um direkt auf das Ziel zuzulaufen. Das Rezept ist quasi simpel: Einfach so schnell wie möglich der blauen Linie folgen und nicht darüber nachdenken, was links und rechts von ihr liegt.
Wenn es um den Bau der Kirche geht, gibt es so etwas wie eine blaue Linie nicht. Es wäre verlockend, eine solche zu haben (und manche denken, es gäbe sie), denn dann müsste man ihr nur treu folgen und wir kämen ans Ziel. Aber es reicht nicht, einfach nur treu zu sein und die Dinge so zu machen, wie man sie schon immer gemacht hat. Wir müssen nicht nur treu sein in der Ausführung unsere Auftrags, wir brauchen ebenso Umsichtigkeit, Weisheit und Kreativität.
Für die Kirche der Zukunft bietet sich ein anderes Bild an. Kirche der Zukunft zu bauen, ist wie Kreuzen am Wind auf offener See. Mal kommt der Wind von hier, mal von dort. Ihn vorauszusagen, ist schwierig und manchmal unmöglich. Darauf muss man weise und schnell reagieren und wissen, wie man die Segel richtig setzt. Man muss erkennen, welcher Wind der Wind des Zeitgeistes ist und wo der Heilige Geist weht. Was heute funktioniert, funktioniert in 20 Jahren vielleicht nicht mehr. Der Wind kann drehen, ja er wird drehen, und wir haben bereit zu sein.
Die Unwägbarkeiten der Zukunft verlangen danach, fest in der Welt des Evangeliums verwurzelt zu sein und ebenso in der Welt, in welcher Kirche gebaut wird, zu Hause zu sein, sodass man die beiden Welten miteinander verbinden kann. Wo dies geschieht, kann die Kirche in der Zukunft nicht nur überleben, sondern Zukunft auch gestalten.
BIOGRAFISCHES
Dr. theol. Roland Hardmeier, Jahrgang 1965, verheiratet mit Elisabeth Hardmeier-Gurtner. Von 1995 bis 2010 Pastor im Bund der Freien Evangelischen Gemeinden der Schweiz. Autor mehrerer Bücher, selbstständiger Dozent und Referent, Dozent bei IGW.
Kontakt: [email protected].
KLOSTER ALTE GÄRTNEREI STEFFISBURG
Ein Familienkloster in der evangelikalen Gemeindelandschaft
Mike Bischoff
Unsere Kirche: Warum ein Kloster gründen?
Familienkloster! Was hat ein Kloster in einem Buch über die Zukunft der Kirche zu suchen? Eine ernst zu nehmende Frage, die sich nicht in drei Sätzen beantworten lässt. Innerhalb der evangelikalen Gemeindelandschaft sind wir Exoten. An diesen Status haben wir uns gewöhnt. Wir sind evangelisch, die meisten von uns sind verheiratet und haben Kinder, niemand von uns trägt eine braune Kutte und die lichte Gegend auf meinem Kopf ist höhere Gewalt und keine Tonsur. Trotzdem nennen wir uns Kloster Alte Gärtnerei. Wie kommt das? Der bekannte Kirchenforscher und Autor von Gebet für die Welt, Patrick Johnstone, hat einmal vereinfacht von drei Formen gesprochen, wie sich Kirche im Lauf der Geschichte manifestiert hat:
► ekklesiastisch (Fokus auf Versammlung/Gottesdienst und Gebäude)
► monastisch (Fokus auf Gemeinschaft und Ausbildung)
► apostolisch (mobil, unterwegs, pionierhaft)
In der heutigen evangelikalen Bewegung sind wir vor allem mit dem ekklesiastischen und apostolischen Modell vertraut. Die monastische (klösterliche) Ausprägung erscheint als katholisch und Relikt vergangener Zeiten; selten dient sie als Zukunftsmodell für die Kirche des 21. Jahrhunderts. Seit einigen Jahren gibt es aber nun eine Bewegung, welche die alten Schätze der Klöster mit neuen Impulsen versehen will. Überall auf der Welt, vor allem im englischsprachigen Bereich, gründen junge Evangelikale neue Gemeinschaften und nennen diese bewusst Klöster und nicht Gemeinden. Im Englischen spricht man dabei von New Monasticism, einem neuen Mönchtum. Inspirationsquellen sind zum Beispiel die keltischen Klöster, die Ian Bradley einmal wie folgt definiert hat:
»Die dominierende Institution des keltischen Christentums war weder die Dorfkirche noch die Kathedrale, sondern das Kloster (…), eine Kombination aus Kommunität, Rückzugsort, Missionsstation, Hotel, Krankenhaus, Schule, Universität, Kunstzentrum und das Kraftwerk für die Gemeinschaft vor Ort – eine Quelle nicht nur der spirituellen Energie, sondern auch der Gastfreundschaft, der Gelehrsamkeit und der kulturellen Aufklärung.«1
Daran faszinieren die Ganzheitlichkeit sowie die Verwurzelung des Glaubens im Alltag und in der Breite des gesellschaftlichen Lebens. Ein weiterer prägender Einfluss geht von Dietrich Bonhoeffer aus. Die Bewegung des New Monasticism ist ohne seine Bücher Nachfolge oder Gemeinsames Leben nicht denkbar. Geradezu als Initialzündung gelten die folgende Gedanken Bonhoeffers, die er seinem Bruder gegenüber in einem Brief von 1935 geäußert hat:
»Die Restauration der Kirche kommt gewiss aus einer Art neuen Mönchtums, das mit der alten nur die Kompromisslosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat. Ich glaube, es ist an der Zeit, hierfür die Menschen zu sammeln. Es gibt doch nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, kompromisslos einzutreten. Und mir scheint, der Friede und die soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, sei so etwas.«2
Diesem Aufruf sind überall auf dem Erdball Menschen gefolgt. Bekannte Beispiele sind die Moot-Community in London (eine sogenannte Fresh Expression of Church innerhalb der anglikanischen Kirche) oder die Simple-Way-Gemeinschaft in Philadelphia, zu der Shane Claiborne gehört.
Doch nun zurück zu unserer Gemeinschaft. Was hat uns bewegt, selbst ein Kloster zu gründen? Über Jahre haben uns im Vorfeld der Gründung geistliche, aber auch gesellschaftliche Fragestellungen bewegt. Was braucht es beispielsweise, um heute einen anspruchsvollen Job auszuüben und sich gesellschaftlich engagieren zu können, ohne dass die Familie darunter leidet oder gar daran zerbricht? Wo finde ich Unterstützung, wenn beide Eltern berufstätig sind und gerade keine Großeltern in der Nähe sind, wenn meine Kinder krank sind? Wie kann christlicher Glaube heute authentisch und praktisch im Alltag gelebt werden? Welche Formen von christlicher Gemeinschaft gibt es, die über den Besuch von Gottesdienst und wöchentlicher Kleingruppe hinausgehen?
Auf der Suche nach Antworten auf diese Lebensfragen sind wir auf die Jahrhunderte alte Tradition der Klöster gestoßen, welche Spiritualität, Arbeit und gemeinschaftliches Leben miteinander verbindet und in einen Rhythmus bringt. Auch auf drängende gesellschaftliche Phänomene schien uns der klösterliche Lebensstil Antworten zu geben.
► Gemeinschaft