Achim von Bornim langte sich in der Jagdstube des Schlosses, wo das Waidgerät von Generationen wie Kraut und Rüben durcheinander lag und hing, ein Paar Wasserstiefel hervor, fuhr in ein Paar gebräunte Lederbuxen, die vielleicht schon vor hundert Jahren irgendeinem Bornim gedient hatten, und in eine Joppe mit Hirschhornknöpfen und schaute, den Schlapphut in das junge Gesicht gedrückt, die lange Entenflinte in der Hand, ungefähr so aus, als diente er in einer Räuberbande und nicht in der Berliner Garde auf Beförderung. Er bummelte durch den Park. Heute waren seine Augen geschärft für den Verfall dieses uralten Herrensitzes in der Mark. Wie sahen doch die verwilderten Wege aus? Die Sandsteinfiguren rings um den verschilften Weiher standen schief. Zweien hatten die Berliner Ausflügler die Nasen abgeschlagen und Stullenpapier dafür hinterlassen. Wo waren die Fasanen geblieben, die sonst in ihrem sonderbar wippenden Lauf über den Pfad huschten? In dem grossen Karpfenteich am Ende des Parks war mehr Schlamm als Wasser. Der hingeworfene tote Reiher und das Schweinegeschlinge und anderes Luder faulte auf dem Trockenen. Die Mooskarpfen, die mit schmatzenden Mäulern drüben in der flachen Bucht standen, konnten doch nicht auf allen vieren über Land ... Himmel ja ... hier gehörte freilich überall ein Herrgottdonnerwetter hinein ... Er trat ins Freie ... Vor ihm dehnten sich im Abendschein die weiten Saatflächen. Heute am Sonntag feierlich still und leer. Aus dem Buschwerk in der Ferne kamen fremdartig-schwermütige, slawische Laute. Volkslieder der Sachsengänger. Das Klimpern einer Balalaika. Dann wieder Stille. Nur ein Wehen im Rot des Sonnenuntergangs über die Felder, ein Aufschauern und sich Beugen der Sträucher, so als atmete ein unsichtbarer, riesenhafter Mensch ...
Der Fähnrich pfiff sich eins und drang in die Sumpfwildnis am Rand des Bornimer Sees ein. Das war eine Welt für sich. Das war das Märchen seiner Kindheit gewesen. Indien war nichts gegen diese geheimnisvollen Dschungeln, diese plötzlichen und verlorenen kleinen Wasserspiegel zwischen mannshohem Schilf, auf denen wie weisse Sterne über tückischem Schlinggewächs die Seerosen schwammen, diese klagenden, lachenden, scheltenden Laute im unergründlichen, undurchdringlichen Röhricht. Das gespenstige Brüllen der Rohrdommel, der sanfte Ruf des Regenpfeifers, das leise, geschwätzige Quacken der wilden Enten. Das stumme Rudern und blitzschnelle Untertauchen des Blesshuhns ... sogar talergrosse, langgeschwänzte Schildkröten gab’s ... die freilich selten ...
Eigentlich war es gar kein See. Die Baake floss da in einen der vielen Havelarme. Man merkte kaum, dass das träge Gewässer sich bewegte. Es bildete Schlamminseln, Rohrbänke, versumpfte Brüche. Jetzt, im Frühjahr, war das alles noch von der Schneeschmelze her überschwemmt. Man konnte nirgends recht heran. Nur an einer Stelle, da, wo die Chaussee nach Potsdam auf einer Brücke über freies Wasser führte, erhob sich auf zwei-, dreihundert Schritt festes Gelände aus klarem Kieselgrund. Es war der einzige Hügel weit und breit. Aber gerade diese paar Morgen gehörten nicht zu Sommerwerk, sondern dem alten Tübecke, dem Krugwirt von drüben. Und natürlich stand er auch in Hemdärmeln vor dem Entenkaten, einem halbverfallenen, schon lange nicht mehr von Fischern bewohnten Fachwerkschuppen inmitten der Weidenstrünke und Erlenbüsche, und schrie schon von weitem: „Immer man sachte, Herr Fähnrich! Dat ’s mein Land!“
Der Junker blieb ärgerlich stehen.
„Gott ... Herr Tübecke ... Spannen Sie doch lieber gleich Draht um das bisschen Dreck hier! ... Jagen dürfen Sie deswegen doch nicht!“
„Aber Sie ooch nich!“
„Also bloss, um uns zu ärgern!“
„Na, wenn schon!“ sprach Herr Tübecke gemütlich und verriet den Zweck seiner Massregel: „Kaufen Sie mir’s doch ab ... Jetzt kost’s noch dreihundert Taler ...“
„So? Voriges Jahr sollten es nur zweihundert sein!“
„Ja ... ick werd’ eben teurer, je älter ick werd’, Herr Fähnrich! Wat mein Sohn is, der verkauft mal überhaupt nich mehr!“
Der reine Hohn in der heiseren Stimme dieses alten Schweinehunds! Und da drüben die Enten! Da konnte man nun endlich bei — schiessen — nee — man durfte nicht! ... Der Fähnrich von Bornim drehte sich stumm um und trug wütend seine lange Entenflinte wieder nach Hause. Auf dem dämmerigen Hof grüsste ihn jemand ehrerbietig. Ein schlauer, dicker Mann. Richtig: der Getreidehändler Aust. Achim hatte einen plötzlichen Einfall — die richtige Fähnrichsidee.
„Sie, Herr Aust — leihen Sie mir doch mal dreihundert Taler. Ich geb’s Ihnen so sachte wieder, wenn ich Offizier bin!“
Herr Aust überlegte. Er sass hier in Sommerwerk so recht im Fett ... duldete keinen andern ... hatte eben wieder ein gutes Geschäft gemacht. Wenn das auch nur der dritte Sohn war — man konnte nie wissen, wer schliesslich hier ... Es war für ihn ja auch nur eine Lappalie.
„Na, in Gottes Namen, Herr Fähnrich! ...“
„Nee! Geben Sie’s nicht mir, sondern Herrn Dönges! ... Dönges: seien Sie doch so gut und kaufen Sie mir morgen dafür von dem Tübecke seinen verfluchten Entenkaten. Ich will auch was zu schiessen haben, wenn ich hier ’rauskomm’. Nicht immer nur die Brüder ... Ich hab’ das jetzt mit dem Förster Jahn dick! ... Haben Sie ’nen Bleistift, Herr Aust, dass ich Ihnen was Schriftliches ...“
Der Kornhändler hob gutmütig abwehrend die Rechte: „Nich in die Hand! So ’ne Zicken mach’ ich nich mit so junge Herrn! Dat ’s bei mir ’ne Gefälligkeit! Dat geht auf Treu und Glauben, Herr Fähnrich!“
„Mir auch recht!“ sagte Achim von Bornim hochmütig, legte zwei Finger an seinen Schlapphut und ging ins Schloss, um sich umzuziehen. Spät abends fuhr er mit dem Premierleutnant und dem Regierungsassessor vom Elternhaus fort, in Wochentag und Dienst. In Potsdam stieg er aus. Die beiden anderen ... die Glücklichen ... die durften weiter nach Berlin. Er schritt, seinen Urlaubspass in der Tasche, durch die stillen Strassen der Havelresidenz. Er gähnte. Er war müde. Eigentlich ein blöder Tag. So was Dummes ... So ’ne Stimmung! ... Und dann noch die dreihundert Taler Pump ... bloss um das Biest, den Tübecke, aus seiner Sumpfbrühe hinauszuekeln ... die Eva-Marie hatte schon recht: Eigentlich tat in Sommerwerk jeder, was ihm durch den Kopf schoss! Wo das Geld herkam, das ... pah ... Man war doch nun mal kein Käsekrämer ...
Ach ... wenn man nur erst schon aus Potsdam weg wäre ... aus der langstieligen Kriegsschule! Da lag sie im Mondschein vor einem, gegenüber dem Langen Stall, dem Exerzierhaus des Ersten Garderegiments zu Fuss, angelehnt an das Militärwaisenhaus. Der Fähnrich von Bornim ging auf das graue Gebäude zu. Noch dreiviertel Jahre ... seine Augen belebten sich: im kommenden Februar, wenn man bis dahin keine Dummheiten gemacht hatte — oder sie kamen wenigstens nicht heraus! — dann war man erst Mensch. Dann war man Offizier. Leutnant in Berlin. Das Leben lag vor einem ...
4
Im milden Westen Deutschlands, gegen den Rhein zu, hatte in diesem Februar der Winter schon seine Kraft verloren. Kein Schnee war hier, an der Scheidelinie von Rheinland und Westfalen, zu sehen. Nur ein unergründlicher Schmutz auf dem Platz zwischen dem Bahnhof und dem Städtchen. Der Leutnant Otto Lauckardt von den Königskürassieren stieg vorsichtig auf den Fussspitzen hindurch, um nicht seine Sporen und Lackstiefel zu beflecken. Immer noch lieber zu Fuss, als in einem dieser vorsintflutlichen Flohkasten von Droschken! Ausserdem sah ihn bei dieser Gelegenheit die ganze Stadt, die ihn von Kindesbeinen an kannte. Die Mütze etwas schief, den zierlichen Galanteriedegen durch den Überrock gesteckt, mit langen Beinkleidern und umgehängtem Mantel schritt er dahin, ein grosser, rosiger, blondgelockter Bursche, und lächelte leutselig in seinem Glanz. Ein älterer, freundlicher Major kam um die Ecke ihm entgegen. Der Bezirkskommandeur. Winkte schon von ferne: „Gratulor, Herr Leutnant! Gratulor! Also glücklich so weit?“
„Vorige Woche bin ich Offizier geworden, Herr Major!“
„Na — da werden die Herren Eltern eine Freude haben! Sind wohl auf dem Wege ...?“
„Ja. Ich will sie überraschen!“
Sonderbar: der Leutnant Lauckardt kannte diesen guten, alten Bezirksonkel doch nur von früher her flüchtig. Ausserdem war der doch schon z. D. Halb schon abgehalftert. Und doch so ’ne Art Heimatgefühl bei der Begegnung ... Klasse ... Rosse ... Armee. Von der merkte man