Die Droste - Biografie von Annette von Droste-Hülshoff. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711730508
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Land hinklatschten, waren’s die bösen Tage der verlorenen Schlachten gewesen.

      Er selbst, der beinah weiblich-anmutige Freiherr Clemens August von Droste, war kein »reicher Mehrer«, wie sein Name es ihm ansagte – er erblickte schaudernd Dinge und Gestalten, die ihn forderten, drängten und überforderten. Es ist nie ganz deutlich geworden, wie er starb – Annette weicht noch jetzt, jetzt eben, der Erinnerung aus.

      Sie sieht ihn unter seinen Vögeln, wie er den einen und anderen auf dem gebogenen Zeigefinger trägt und ihm zuflüstert und zupfeift, wie er sich auf die winzigen Blumenkeime herunterbückt, die Wurzel fester in die Erde eindrückt oder den hingestreuten Boden mischt, den festgetretenen lockert.

      Da blüht ein Strauch im ersten Frühling mit winzigen porzellanrosa Blüten, ein »Winterblüher«, und unter ihm duckt sich ein Igelchen, das seinen Winterschlaf schon aufgegeben hat, und läßt sich, ganz unglaublich, von der warmen, schön gepolsterten Hand des Vaters streicheln – ohne die Stacheln zu stellen.

      Die Hände des Vaters sind magisch begabt, Magneten, mit denen er Tier und Pflanze zur Sympathie stimmt, wie er die seltenen Mineralien, die Drusen und Ammoniten und Steinlilien aufspürt unter dem Geröll und in den zerschrammten Wänden der Steinbrüche, und die Binsen und Riedgräser streift, zwischen denen die blitzenden Libellen schwirren wie fliegende Edelsteine. –

      Die Mutter, zweite Frau des Freiherrn Clemens August nach einer ersten, kurzen Ehe, ist sehr nüchtern, selbstbewußt, eine tüchtige Wirtschafterin und Organisatorin und alles das, was Annette als Autorität empfindet, aber nichts Elementares, nichts Bergendes, kein Quellgrund.

      Ausruhen, regenerieren, Wärme saugen – Annette ist, so wild sie sich im Austausch mit dem Gewachsenen, mit Fels und Moor und Sturm austobt, immer das zarte, unverschalte Wesen geblieben, das die Amme »mit Zucker und Kamillen« aufgepäppelt hat: Ganz offen für das Einströmende und immer gefährdet von dem Allzumächtigen, das sie bis in den Grund zittern machte. Was sie bewahrt hat, ist bloß dieser angeborene untrügliche Instinkt für das ihr Gemäße, unterstützt durch das klare Wesen der Mama.

      An einem Tag, wo feucht der Wind,

      Wo grau verhängt der Sonnenstrahl,

      Saß Gottes hartgeprüftes Kind

      Betrübt am kleinen Gartensaal.

      Ihr war die Brust so matt und enge,

      Ihr war das Haupt so dumpf und schwer,

      Selbst um den Geist zog das Gedränge

      Des Blutes Nebelflore her.

      Und am Gestein ein Käfer lief,

      Angstvoll und rasch wie auf der Flucht,

      Barg bald im Moos sein Häuptlein tief,

      Bald wieder in der Ritze Bucht.

      Ein Hänfling flatterte vorbei,

      Nach Futter spähend, das Insekt

      Hat zuckend bei des Vogels Schrei

      In ihren Ärmel sich versteckt.

      Da ward ihr klar, wie nicht allein

      Der Gottesfluch im Menschenbild,

      Wie er in schwerer, dumpfer Pein

      Im bangen Wurm, im scheuen Wild,

      Im durst’gen Halme auf der Flur,

      Der mit vergilbten Blättern lechzt,

      In aller, aller Kreatur

      Gen Himmel um Erlösung ächzt.

      Wie mit dem Fluche, den erwarb

      Der Erde Fürst im Paradies,

      Er sein gesegnet Reich verdarb

      Und seine Diener büßen ließ;

      Wie durch die reinen Adern trieb

      Er Tod und Moder, Pein und Zorn,

      Und wie die Schuld allein ihm blieb

      Und des Gewissens scharfer Dorn.

      Der schläft mit ihm und der erwacht

      Mit ihm an jedem jungen Tag,

      Ritzt seine Träume in der Nacht

      Und blutet über Tage nach.

      O schwere Pein, nie unterjocht

      Von tollster Lust, von keckstem Stolze,

      Wenn leise, leis es nagt und pocht

      Und bohrt in ihm wie Mad’ im Holze.

      Wer ist so rein, daß nicht bewußt

      Ein Bild ihm in der Seele Grund,

      Drob er muß schlagen an die Brust

      Und fühlen sich verzagt und wund?

      So frevelnd wer, daß ihm nicht bleibt

      Ein Wort, das er nicht kann vernehmen,

      Das ihm das Blut zur Stirne treibt

      Im heißen, bangen, tiefen Schämen?

      Und dennoch gibt es eine Last,

      Die keiner fühlt und jeder trägt,

      So dunkel wie die Sünde fast

      Und auch im gleichen Schoß gehegt;

      Er trägt sie wie den Druck der Luft,

      Vom kranken Leibe nur empfunden,

      Bewußtlos, wie den Fels die Kluft,

      Wie schwarze Lad’ den Todeswunden.

      Das ist die Schuld des Mordes an

      Der Erde Lieblichkeit und Huld,

      An des Getieres dumpfem Bann

      Ist es die tiefe, schwere Schuld,

      Und an dem Grimm, der es beseelt,

      Und an der List, die es befleckt,

      Und an dem Schmerze, der es quält,

      Und an dem Moder, der es deckt.

      Der Sinn für das Gemäße – das ist Auswahl und Abwehr, ohne die das schallose Seelchen zugrunde ginge.

      Aber doch muß so viel Einlaß gewährt werden, wie es das Überleben irgend erlaubt. Einlaß für Ströme und Stürme, die ungeformt anprallen und geformt werden wollen.

      Ach, Annette weiß das schon und spürt es täglich stärker – es ist das gleiche, was die lebendige Muschel erleiden muß, wenn sie das kantige Sandkorn in immer neuen, immer schmerzhafteren Anläufen umkleidet, ohne es abweisen zu können: Formung heißt Verwandlung, Ausdeutung, bis aus dem billigen harten Splitter, gerundet und glänzend geglättet, eine Perle geworden ist, etwas so Kostbares, wie es ohne den quälenden Anstoß nicht hätte entstehen können. Vom Sandkorn weiß niemand mehr. Nur wenige wissen davon, daß ein unwertes, verworfenes Gebild mit der eigenen Substanz erst gestaltet und sinnreich werden kann. Annette läßt die alte Perlenschnur langsam durch ihre Finger laufen, ein Erbstück, mit zartem gelblichem Glanz. Ihr Vater hat ihr gezeigt, wie sich jeder der kostbaren Tropfen in Jahr und Jahren gebildet hat. Sie meint jetzt, das Geheimnis des Schönen zu erfassen und dem Schöpfer näher zu sein in einem ahnungsvollen Schauder – das ist ihr aufgetragen: Was ihr fragend und fordernd hingehalten wird, erfüllen: Was sie aufruft und manchmal anfleht, erlösen, das »Namenlose nennen«.

      Dazwischen das Leben, das eigene Schicksal, das, was von außen kommt … die Muschelschale wird tanzend herumgeschleudert, im Wasser angespült, weggeschwemmt, verworfen und gehäuft mit anderen – und immer noch wächst in ihr das Gebilde, größer und größer werdend, wie ein Kind.

      Ihre Sippe ist weitverzweigt, riesig verschachtelt und verfilzt, der Großvater mütterlicherseits hat ein zweites Mal geheiratet, und von dieser zweiten Frau stammt eine große Schar von Kindern, die, wenigstens die später Geborenen,