Die Droste - Biografie von Annette von Droste-Hülshoff. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711730508
Скачать книгу
früher geboren wäre; man war aufgeregt und verzweifelt wie über ein ganz mißglücktes Beginnen, am meisten die Mama: Da lag ein winziges, zierliches rotes Geschöpf, das kaum behaarte Köpfchen mit gekniffenen Augen über dicken Säcken, einem greinenden Mündchen und Fingernägeln nur wie Haut, und das Rückgrat entlang feine blonde Härchen.

      Da ist nichts von einem strahlenden strampelnden Baby, wie es sich die Mutter gewünscht hat, dieses sabbernde Würmchen, dem man nur Flanelltücher umzulegen wagt statt der vorbereiteten Hemdchen und Jäckchen, und das mit altklug verkniffenen Lippen alle Nahrung verweigert.

      Die Mama ist enttäuscht und in ihrer Schwäche beinahe schon verbittert. Ungeduldig ist sie auch, denn die immer wiederholten Versuche, das verschlossene Mündchen dem warmen Milchstrom zu öffnen, brauchen viel Zeit und nutzen nichts.

      Und endlich meint man, das Geschöpf sei nicht zum Leben geboren, nicht zum Bleiben.

      Es gibt eine rasche Taufe, während der der Kaplan mehr Zutrauen zu dem scheuen Seelchen hat als die eigene Mutter, Zutrauen, daß es in dem schmächtigen rötlichen Körperchen sich durchsetzen und zum zähen Bestehen durchdringen werde.

      Die Mama findet dann, daß eine Amme her müsse, eine prallbrüstige Webersfrau, die Kathinka Pettendorf, die ihren eigenen Jungen neben dem kläglichen »Frölen« aus dem Schloß wohl nähren könnte.

      Aber zuerst, meint diese, vertrage das »Vögelchen« ihre fette Milch nicht – also läßt sie es an Kamillensäckchen lutschen und streut einen Hauch Zucker dazu. Sie ist selber glücklich, als die strichschmalen blauen Lippen sich regen, wölben, spitzen, und ein winziges Zünglein anfängt zu probieren.

      Die Mama, die Schloßherrin, Therese von Droste-Hülshoff, ist erleichtert, das mühsame Locken und Probieren loszusein; sie hat nur widerwillig ihre vielerlei Anordnungen und Übersichten im Schloß und im Gut und Garten zurückgestellt. Es dauerte alles viel länger als bei Jennys Geburt, die »zur Zeit« und »wie es sich gehörte« ankam und aufwuchs. Als Therese dann aufstehen und herumgehen konnte und endlich auch auf den Gartenwegen auf- und abwanderte und Knechte und Mägde kontrollierte, war das winzige, halbtot geborene Kind schon so weit erholt, daß es als ein Menschlein gelten konnte.

      Und da die Mama, fromme Katholikin, des Glaubens war, solch ein Seelchen sei im Himmel und von Gott ausgewählt für dieses und gerade dieses Haus und Elternpaar, hielt sie es endlich auch für wichtig und dringlich, daß man es sorgsam aufziehe und mit ein wenig Wärme umhege, zumal die Pettendorfsche mit einem zärtlichen Seufzer sagte, das allerkleinste und kaum lebensfähige Kind spüre, wie man es aufnehme und umsorge, und werde erst gedeihlich und »wohlhäbig«, wenn es fühle, daß es geliebt sei.

      Annette hockt jetzt in ihrer Sofaecke im »Gehäus« in Meersburg und zieht die Decken um sich herum, wie Schalen und Windungen eines Schneckenhauses.

      Sie sieht sich selber als Vierjährige mit dem wenig jüngeren Bruder um den Wassergraben herumtappen, Hand in Hand zuerst, bis sie sich losmacht, neugierig an den Rand des schwarzen Kanals herangeht, sich darüberbückt, und sie – die Alternde – ist’s jetzt selber, wie sie da in das blasige Sumpfloch schaut und das weißlich verquollene Gesicht der Wasserfrau auftauchen sieht, mit bleichen Fingerspitzen herauflangend. Und zugleich ist sie gewiß, daß die nicht da sein kann – die Schwankende, Zauberische, Verborgene – nicht damals und nicht jetzt.

      Damals, vor so vielen Jahren, ist sie, den Bruder mitziehend, in den flachen Sumpf hineingewatet, langsam, Schritt für Schritt, und hat gewartet, ob das Gesicht noch einmal auftauche. Der Junge hat dann den weichen schwammigen Boden unter den bloßen Füßen gleiten gespürt und sie zum Umkehren überredet. Gern ging sie nicht mit, aber aus Angst vor der Strafe der Mutter trat sie in die schnell quellenden Fußstapfen des Kleinen; und doch blieb der Sog und Zug wie eine unwiderstehliche Strömung in ihr und um sie her, immer als Lockung und Drohung und Gefahr und, ja, als unwiderstehliches Verlangen.

      Kathinka hat es gut verstehen können, was Annette schon als Mädchen aus dem Heidemoor steigen sah, Unerlöste und Irrlichternde und düstere mörderische Gespenster, und auch die schwebend-schwankenden Wasserjungfern, die immer auf- und eintauchen und Irrlichter zünden, wenn sie die Menschen locken wollen.

      Kathinka, Katharina – war die eigentliche »Mutter«. Drüben im Salon saß die Mama, Spitzen häkelnd oder mit dem Rechenstift über dem Kassenbuch. Aber Kathinka, die liebe alte Frau war’s, deren breite warme Brust das Vögelchen angenommen und gewärmt und genährt und allezeit, auch als ihr eigenes Söhnchen fünfjährig gestorben war, als »ihr« Kind behalten und gepflegt hatte, sogar mit einem kühnen rechthaberischen Widerspruch gegen die Mama gehütet, manchmal auch aus dem naiven halbheidnischen Glauben mit märchen- und bildersatten Visionen gefüttert hatte.

      Die Mama war der Gegenpol: die strenge Ordnung, die Selbstdisziplin. Dazu erzog sie Annette, das war das nötige Rückgrat für das überquellende, von Ängsten und Ahnungen phantastisch-gefährdete Wesen der Tochter.

      Vierjährig erzählt Annette ihren Traum der Schwester Jenny: Sie sei – und sie habe sich stolz als Siebenjährige gefühlt – eine lange schnurgerade Allee entlanggewandert, immer geradezu, und immer flankiert von kleinen Gräben und großen Bäumen, alles exakt und zielgenau; und hätte doch immer darauf gewartet, daß irgendwo etwas Neues, Unerwartetes auftauche und sie fordere zur Unternehmung, zur Tat, zu Angst oder Bewunderung – aber da sei nichts Ungewöhnliches gewesen, nichts Aufregendes oder Besonderes.

      Das war damals, als sie mit dem Bruder Werner ausriß …

      Ausreißen – heute muß sie darüber lachen: sich freimachen, ganz anders sein und doch immer wieder um- und einkehren in den warmen strenggeregelten, unentrinnbaren Kreis, der sie hervorgebracht und gehalten hatte, bisher und weiterhin – es brauchte nicht einmal der geraunten und geflüsterten Geschichten von Ahnentaten und Ritterkämpfen.

      Sie gehörte dazu, sie war aus der alten Sippe, die schon seit dem Jahr 1000 im Münsterland saß; sie delektierte sich gern an den schön klingenden alten Namen, sagte sie sich vor und liebte, ohne ihn zu kennen, den Engelbert von Deckenbrock, der um’s Jahr 1200 Drost beim Münsterschen Domkapitel gewesen war … und daß »Drost« mit dem russischen Starost zusammenhänge, war ihre spielerische Wortphantasie; sie wußte wohl, daß das Wort mit »Truchseß« zu tun haben müsse.

      Wasserschloß, Dunst und Kühle und feuchte Mauern … da wächst leicht aus dem harmlosen Husten ein wucherndes Übel – und daß Jenny gesund blieb, war beinahe ein Wunder – die praktische, fröhliche, nüchterne Jenny, die dennoch so hübsch aquarellierte, so »artig« zeichnete, wie der alte Goethe das nannte. Sie schlug nach der Mutter Art, und sie, Annette, Anna Elisabeth, wäre nur dem Vater nachgeartet?

      In ihm war vielerlei zusammengeflossen, vielleicht war das Blut ein wenig zu alt, zu müde, und kein ritterlichkampffrohes Lebensgefühl konnte sich mehr darin halten: Clemens August II. war eine der weichen, beinah skurrilen Figuren, wie sie die Romantik oft hervorbrachte. Leute, die – ob sie arm oder reich waren – ihren manchmal verdrehten, verschnörkelten Neigungen nachgingen.

      Clemens August von Droste-Hülshoff hatte einen Raum seines Hauses mit Sand ausstreuen und darin Bäumchen anpflanzen lassen, dazu eine Voliere mit allerlei zwitscherndem, flatterndem und kleckerndem Gevögel bestückt, ohne auf Schmutz und Geruch zu achten und auch nicht zum Entzücken seiner sorgsamen Frau.

      Er geigte, der Vater, er zog seltene Planzen, er schrieb an einem »liber mirabilis«, in das er ungewöhnliche Begebenheiten und weitgeschwungene Gedankenketten eintrug, in einigen Sprachen und sogar gereimt, wie es ihn eben ankam, er beobachtete einfühlsam und immer bedacht die größeren Zusammenhänge. Von seinen Mineralien zu den seltenen Planzen, von Urtieren, Ammoniten und Medusenhäuptern zog er Fäden und Linien, die sie verbanden und zu Welt und Wissen führten.

      Sein »liber mirabilis« blieb ein verschlossenes Geheimnis, in das er die »Vorschau« und Ahnung seiner halbentrückten Sinne und die Rätselgeschichten eintrug, die ihm seine Dörfler erzählten, und er verglich und maß solche im uralten Bilderdenken wurzelnden Vorstellungen mit den historischen Ereignissen. –

      Wenn da die huschenden »Reiter auf Gäulen