Der neue Sonnenwinkel Box 11 – Familienroman. Michaela Dornberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michaela Dornberg
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Sonnenwinkel Box
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740977429
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schweigen konnte, aber er hatte keine Lust, dieses Gespräch fortzusetzen, es gefiel ihm nicht, weil Inge recht hatte. Also begann er, einfach von etwas anderem zu sprechen.

      Doch darauf ging Inge jetzt nicht ein, da gab es noch etwas, was ihr schon länger auf der Seele brannte.

      »Werner, die Rückerts sind zu beneiden, wir zwei sollten auch wieder mal Urlaub machen. Findest du nicht, dass es an der Zeit ist, endlich mal eine gemeinsame Reise zu unternehmen? Wann immer wir es wollten, hat es sich zerschlagen.« Am liebsten hätte sie hinzugefügt – oder wir waren miteinander verkracht. Das verkniff sie sich, Werner konnte ganz gut austeilen, einstecken konnte er überhaupt nicht, da war er wie ein Mimöschen.

      »Es war in den meisten Fällen nicht meine Schuld«, wandte Werner ein, und da konnte Inge nicht widersprechen, weil es zutraf.

      »Jetzt könnten wir etwas unternehmen, Pamela würde sich sehr freuen, weil sie sich dann bei den Großeltern einmieten kann. Und wenn wir nur nach Schweden fliegen, um uns unsere neue Enkelin endlich anzusehen. Jörg und Charlotte laden uns immer wieder ein. Es ist schon richtig peinlich, dass wir keiner dieser Einladungen folgen. Ich glaube, Jörg ist schon sauer, denn er kommt kaum noch vorbei, wenn er in Deutschland zu tun hat.«

      »Er kommt nicht, weil es keine Projekte gibt, die eine Reise nach Deutschland erforderlich machen.«

      Das traf zu, da hatte Werner recht.

      »Na ja, es geht auch eher um eine Reise zu ihnen, ich fühle mich schlecht, weil wir die kleine Lena noch nicht gesehen haben, wenn wir den Besuch weiter hinausschieben, dann geht die Kleine zur Schule, und wir haben sie als die Großeltern noch immer nicht gesehen, allmählich beginnt es peinlich zu werden.«

      Der Professor seufzte.

      Dass Inge immer so maßlos übertreiben musste.

      »Du meine Güte, das Kind wurde gerade erst geboren, es ist also noch hinreichend Zeit, es uns irgendwann mal anzusehen. Babys schreien, und anfangen kann man mit ihnen auch nicht sehr viel. Wir bekommen doch gefühlte tausende von Fotos der kleinen Lena in allen Lebenslagen, wenn sie lacht, wenn sie weint, wenn sie schläft.«

      »Werner, es ist etwas anderes, ein Kind im Arm zu halten, seine Wärme zu spüren, es zu riechen, gerade, wenn sie so klein sind, sind Kinder etwas Besonderes.«

      Werner begann sich unbehaglich zu fühlen.

      »Inge, können wir über etwas anderes sprechen?«

      Nein, so schnell gab sie nicht auf.

      »Weil du das alles nicht wirklich kennst, Werner. Du warst ja meistens unterwegs, und wenn es mal anders war, wenn du nach Hause kamst, dann warst du stets genervt, als die Kinder klein waren, weinten, nachts schrien, weil sie beispielsweise ihre Zähnchen bekamen …, du hast dann das Weite gesucht und wenn nicht, dann bist du ins Gästezimmer geflüchtet, um bloß nichts mitzubekommen. Jetzt bei der kleinen Lena kannst du wenigstens ansatzweise erleben, was du bei deinen eigenen Kindern versäumt hast.«

      Nach diesen Worten war es still. Als sie in das Gesicht ihres Mannes schaute, bekam Inge sofort ein schlechtes Gewissen. Sie hätte jetzt die ollen Kamellen, die Vergangenheit nicht hervorkramen sollen. Zu allem gehörten immer zwei. Sie hatte es die ganzen Jahre über mitgemacht, und es war für niemanden hilfreich, jetzt davon anzufangen. Schon wollte sie ihm sagen, wie sehr sie ihre Worte von eben bedauerte, als Werner anfing zu sprechen.

      »Inge, mir ist schon bewusst, was für ein Egoist ich war, dich mit allem allein zu lassen. Bitte glaub mir, dass das nichts damit zu tun hatte, dass ich von den Kindern genervt war, ja, das war ich streckenweise, doch das nur, weil ich damit nicht umgehen konnte. Ich habe mir immer eine Familie gewünscht, und ich bin über jedes unserer Kinder glücklich, auch über unsere Enkelkinder. Ich liebe sie alle, bin stolz und glücklich, aber …«, er schenkte ihr einen Blick voller Liebe. »Inge, ich bin mir sicher, dass ich mich auch heute nicht anders verhalten würde. Ich bewundere dich unglaublich dafür, wie du das alles gemanagt hast, du besitzt meine ganze Hochachtung, was für prachtvolle Menschen du aus unseren Kindern gemacht hast …, ich …, ich bin nur gut in dem, was ich mein Leben lang gemacht habe, was ich auch, so glaube ich, perfekt beherrsche. Kein Mensch kann über seinen Schatten springen, beruflich bin ich auf der Erfolgsleiter ganz oben angekommen, privat …, da habe ich nicht mal die erste Sprosse der Leiter erklommen. Und das macht mir Angst. Inge, mein ganzes Leben fliegt mir derzeit um die Ohren. Das, was mein Leben ausgemacht hat, in dem ich mich wohlgefühlt habe, in dem ich unersetzlich war, das gibt es nicht mehr.« Als er ihren entsetzten Blick bemerkte, fügte er rasch hinzu: »Inge, das hat nichts damit zu tun, dass ich dir versprochen habe, kürzerzutreten, nein. Es war ganz angenehm für mich, es vorzuschieben, um mich der Wahrheit nicht stellen zu müssen. In Wirklichkeit ist es nämlich so, dass alles seine Zeit hat, jüngere Wissenschaftler nachrücken, die verdammt gut sind und gefragt …, vielleicht habe ich deswegen zugegriffen, wenn man mich noch haben wollte. Auch das wiederum war egoistisch, weil ich nur an mich dachte, doch, Inge …«, er blickte sie an, zögerte, »ich beneide dich darum, wie fest du in deinem Leben verankert bist, verankert und von allen geliebt. Ich habe den Boden unter den Füßen verloren, und auch wenn mein Verstand mir sagt, dass nichts für die Ewigkeit bestimmt ist, so kann und will ich es nicht einsehen, dass meine Zeit vorüber ist, dass ich nicht mehr gebraucht werde, zum alten Eisen gehöre. Es ist so, im regulären Berufsleben in der Wissenschaft, alles hat ein Verfallsdatum, und nach dem wird man ausgemustert, ohne Vorwarnung, da haben es die Selbstständigen einfacher, die können arbeiten, solange es ihnen Spaß macht.«

      »Oder solange sie es müssen, weil sie für ihr Alter nicht vorgesorgt haben, aber wie kommst du denn bei dir nur auf einen derartigen Unsinn, Werner? Du bist ein weltweit gefragter Wissenschaftler, man reißt sich um dich, du kannst Säle voller Menschen begeistern, und wenn …«

      Er unterbrach sie, winkte ab.

      »Das war einmal, Inge, das war einmal.«

      Musste sie sich jetzt Sorgen machen? Was war denn plötzlich mit Werner los? So kannte sie ihn nicht. Es ging nicht anders, sie beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, ihn zu fragen, statt aufzuzählen, welche Verdienste er für die Wissenschaft errungen hatte, wie erfolgreich seine Bücher waren. Das schien augenblicklich für Werner nicht zu zählen.

      »Werner, warum bist du jetzt so negativ?«

      Die Frage stand im Raum, doch Werner antwortete lange nicht darauf, und obwohl sie es wissen wollte, drängte sie ihn nicht. Sie merkte aber, wie unbehaglich ihr war, und das verstärkte sich, je länger Werner schwieg.

      Endlich begann er zu reden.

      »Du weißt doch, dass ich diese Anfrage aus San Francisco hatte, nicht wahr?«

      Sie nickte.

      »Und wir beschlossen, dass du der auf jeden Fall folgen wirst, weil es eine ganz besondere Ehre ist, dort zu reden.«

      Wieder erfolgte eine Pause, Inge wurde immer nervöser, trank Kaffee, obwohl das ihre Nervosität nur noch steigerte.

      »Es kam eine Absage, Inge«, seine Stimme klang dumpf, »man hat sich für einen wesentlich jüngeren Kollegen entschieden, der dabei ist, sich einen Namen zu machen, und der überall begehrt ist.«

      Was sollte sie jetzt dazu sagen? Freuen konnte sie sich nicht, obwohl sie das am liebsten getan hätte, weil es bedeutete, dass Werner nicht verreisen würde. Ganz nachvollziehen konnte sie nicht, warum er jetzt so am Boden zerstört war. Manchmal wurden Programme umgestellt, da passte das ursprünglich Geplante nicht mehr. Gerade Werner musste das wissen, denn in der Vergangenheit hatte er mehrfach von solchen Änderungen profitiert, dann war er ausgewählt worden, weil das, was er zu sagen hatte, besser in das neue Konzept passte. Ganz vorsichtig erinnerte sie ihn daran, doch Werner wollte einfach nichts davon wissen. Er hatte sich etwas in den Kopf gesetzt, und daran hielt er fest. Inge wusste, wie stur Werner manchmal sein konnte, wie er auf seiner vorgefassten Meinung beharren konnte.

      »Nein, nein, Inge, es war jetzt ein netter Versuch, mich zu trösten. Das war jetzt wieder mal ein Beweis dafür, dass meine Zeit einfach vorbei ist.«

      »Unsinn,