Auch der Professor erwies sich heute als nicht sehr einfallsreich. Er wollte wissen, ob die Walfischfängersgattin Schnee liebe. Während die allgemeine Unterhaltung sich des Schneethemas bemächtigte, suchte ich mir über den Reiz klarzuwerden, der unleugbar von der Gattin des Walfischfängers ausging, so stark, daß sich die Atmosphäre seit ihrem Erscheinen verändert hatte. Ihr blasses Gesicht war hübsch auf jene stille Art, die sich dem Auge nicht sofort erschließt; das wellige, blonde Haar trug sie, der Mode entgegen, in einem kleinen Knoten im Nacken. Sie hatte offenbar die Gewohnheit, den Menschen, mit dem sie gerade sprach, von unten herauf anzusehen, mit einem Blick, der ein hilfloses kleines Mädchen aus ihr machte. Im übrigen schien sie zu frieren, denn sie saß mit zusammengezogenen Schultern in ihrer Tweedjacke da. Befragt, ob sie den Skisport liebe, gab sie mit sanfter Stimme zur Antwort, sie habe in ihrer norddeutschen Heimat wenig Gelegenheit dazu gehabt, aber sie hoffe –
»Wir haben von Ihrem schweren Schicksal gehört«, unterbrach Pompe funèbre mit Grabesstimme.
Die Gattin des Walfischfängers sah verwundert auf.
»Oder ist es etwa eine Kleinigkeit für eine junge Frau«, fuhr Pompe funèbre herausfordernd fort, »monatelang von ihrem Gatten getrennt zu sein?«
Ein Schatten flog über Nina Grolls Gesicht. Frau Major Quante sandte einen warnenden Blick über den Tisch, der jedoch seine Wirkung verfehlte, denn zarte Hinweise dieser Art prallten an Pompe funèbre ab wie Nadelstiche an einem Krokodil.
»Mein verewigter Gatte«, begann sie aufs neue, aber nun griff Frau Sörensen als rettender Engel ein. Die Sorge um den kleinen Markus in seinem Waschkorb ließ ihr keine Ruhe mehr.
Wir brachen alle auf.
»Hoffen wir, daß wir bald Skifahren können, gnädige Frau«, sagte Sörensen und schüttelte der Gattin des Walfischfängersherzhaft die Hand.
Das schüchterne Lächeln erblühte in ihrem Gesicht.
»Ja«, sagte sie und sah zuerst Sörensen und dann Stefan an. »Ich freue mich schon darauf.«
Draußen war die Nacht unwirtlich und ohne das kleinste Sternlein. Es hatte den ganzen Tag geregnet, der Morast der Zugspitzstraße heftete sich zäh an unsere Sohlen. Stefan zog eine Taschenlampe hervor – zu irgendeiner Art von Beleuchttung hatten die »Straßen« der Kolonie es noch nicht gebracht – und übernahm mit Pompe funèbre die Führung. Der Professor und ich stolperten im irrlichternden Schein des kleinen Lichtkegeis hinterdrein.
»Unerhört weibliche Frau, diese Walfischfängersgattin«, sagte der Professor nachdenklich.
Ich blieb mitten in einer Pfütze stehen. »Vielleicht ist es das«, rief ich.
Der Professor, um einen halben Kopf kleiner als ich, schielte unter seinem vergilbten Filz fragend zu mir auf.
»Sie hat irgend etwas, und ich konnte nicht darauf kommen, was es ist«, erklärte ich. »Vielleicht ist es das, was Sie das unerhört Weibliche nennen.«
»Ja. Es wirkt erstaunlich im Zeitalter der sportgestählten und zielbewußten Frau. Natürlich ist sie ganz unsportlich, obwohl sie vom Skifahren redet. Ich könnte sie mir in einem spitzenbesetzten Morgengewand auf einem Diwan vorstellen, Süßigkeiten knabbernd und schmökernd, wie die Heldin eines verschollenen Romans. Wie gefällt sie Ihnen übrigens?«
»Ich weiß nicht. Warum fragen Sie?«
»Weil eine Frau, die alle Männer sofort auf ihrer Seite hat, Frauen im allgemeinen nicht zu gefallen pflegt.«
»Hat sie das?«
»Ich glaube, ja. Sie gehört zu der Art von Frauen, die den Beschützerinstinkt im Manne wachrufen. Es ist das beste, was eine Frau tun kann, denn jeder Mann möchte beschützen. Die Frauen von heute machen viel zu wenig Gebrauch von dieser schätzenswerten Eigenschaft.«
»Was wissen Sie davon?« fragte ich und wurde aus unbekannten Gründen ärgerlich. »Mir scheint, Sie reden wie der Blinde von der Farbe.«
Der Professor lachte. »Es ist nicht hübsch von Ihnen, mich daran zu erinnern, daß ich keine Chancen bei Frauen habe.«
»Aber so habe ich es doch nicht gemeint!« Ich war verwirrt und erschrocken. »Nur, wenn man verheiratet ist –«
»O Sie kluge Frau! Was haben diese Dinge mit Ehe zu tun? Was mich betrifft, so schätze ich übrigens Frauen, die das Leben wie einen Stier bei den Hörnern packen, so wie Sie zum Beispiel.«
Nun muße auch ich lachen. »Wenn Sie wüßten, wie ich mich manchmal vor dem Stier fürchte! Aber was bleibt einem übrig, wenn man mit einem Mann verheiratet ist, der die Unbilden des Alltags als persönlichen Tort empfindet!«
Wir waren in der Benediktenwandstraße angekommen. Pompe funèbre und Stefan warteten vor dem Hause.
»Ich sage gerade zu Ihrem Gatten«, rief Pompe funèbre mir entgegen, »eine reizende Frau, sage ich, diese junge Frau Groll.«
»Sehen Sie«, raunte ich dem Professor zu. »Sie haben unrecht. Sogar Pompe funèbre ist entzückt.«
Der Professor grinste. »Wenn der ›Verewigte‹ noch unter uns weilte«, raunte er zurück, »würde sie es weniger sein!«
»Hallo, Professor«, rief Stefan, »kommen Sie noch ein wenig mit herein!«
Aber der Professor verabschiedete sich; er habe noch zu arbeiten.
»Nun, und wie gefällt dir die Gattin des Walfischfängers?« fragte ich, als wir in die Wohnstube gekommen waren.
Stefan lief im Zimmer umher. Er war nicht zu Mitteilungen aufgelegt, und ich konnte mir denken, warum. Seine Gedanken weilten bei einem Beitrag, um den die Zeitschrift »Trautes Heim« ihn gebeten hatte. Er war in den nächsten Tagen fällig, und soviel ich wußte, stand noch kein Buchstabe auf dem Papier.
»Unsere Mitarbeiter plaudern über den Herbst!« Stefan schnitt eine Grimasse. »Wie ich diese Pamperlschreiberei hasse!«
»Immerhin wird das Herbstgeplauder dir fünfzig Mark einbringen«, gab ich zu bedenken.
Stefans Antwort bestand in einem Knurren.
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