»Ist es nicht gefährlich«, setzte Pompe funèbre das Gespräch fort, »eine junge Frau so lange allein zu lassen?«
Der Major sah sie unter seinen buschigen Augenbrauen hervor mißbilligend an. »Pflicht ist Pflicht«, knurrte er. »Da wird nicht lange gefackelt, verehrte Frau Oberpostrat. Was, glauben Sie, wäre geschehen, wenn im Kriege die Frauen gejammert hätten!«
»Aber Nina jammert ja gär nicht.« Frau Quante lenkte ab. Wenn der Major auf den Weltkrieg zu sprechen kam, war kein Ende abzusehen. »Unser Neffe – das heißt, eigentlich ist er kein richtiger Neffe, der Sohn einer Base, verstehen Sie. – Er und Nina heirateten vor fünf Jahren. Damals fuhr er mit der Hamburg-Amerika-Linie. Eines Tages, als ihm das zu langweilig wurde – er hat ein bißchen den Hang zum Abenteuerlichen, müssen Sie wissen – ließ er sich zu dieser Walfangexpedition an-an–«
»Anheuern«, vollendete Sörensen, »Das wollten Sie sagen, nicht wahr, gnädige Frau? Nun, ich könnte mir vorstellen, daß er gut daran tat. Zweifellos ist es interessanter, Walfische zu harpunieren, als Vergnügungsreisende über den Ozean zu schaukeln.«
Frau Quante lächelte säuerlich. Sörensen hatte eine burschikose Art, sich auszudrücken, die ihr mißfiel.
»Ich denke es mir recht angenehm, einen Seefahrer zum Mann zu haben«, sagte Frau Willbrandt-Schrödl. »Jede Ehe gewinnt durch Trennungen. Mein zweiter Mann war als Syndikus eines großen Industrieunternehmens fast immer auf Reisen. Wir führten eine prachtvolle Ehe. Wenn er nicht gestorben wäre, lebten wir heute noch zusammen, und der dritte wäre mir erspart geblieben.«
Schallendes Gelächter. Sogar Quantes schmunzelten. Nur Pompe funèbre wahrte eine Miene sittlicher Entrüstung.
Frau Willbrandt-Schrödl machte aus ihrem bunten Lebenslauf kein Geheimnis, und die humorvolle Art, in der sie davon sprach, überrannte alle etwa vorhandenen moralischen Bedenken im Sturm. Zweifellos war sie im Anfang ihrer Laufbahn als Frau und Sängerin bezaubernd gewesen. Noch heute vergaß man über ihrem unwiderstehlichen Lächeln, daß man eine Frau von fünfzig vor sich hatte, mit reichlich barocken Formen und einem Doppelkinn. Man vergaß das künstliche Goldblond der Haare und die Schlaffheit der Haut vor dem Charme einer Dame, die sich dem Leben niemals versagt hatte und mit der heiteren Überlegenheit des Wissenden daraus hervorgegangen war. Frau Willbrandt-Schrödls erster Mann war ein junger Kollege gewesen – »Tenor und Windhund von Gottes Gnaden«, sagte sie, »nach einem Jahr liefen wir wie ungezogene Kinder auseinander.« – Der zweite war eben jener Syndikus, dessen Namen sie pietätvoll dem ihren beigesellt und auch nicht abgelegt hatte, als der dritte in Erscheinung trat, ein Kaufmann, der wegen Bigamie ins Gefängnis wanderte. Nachdem Frau Willbrandt-Schrödl ihm die Hand zum Bunde gereicht hatte, stellte sich heraus, daß irgendwo in der Provinz eine Frau und zwei Kinder lebten, die seinen Namen trugen.
»Man hat mir vorgeworfen, daß ich keine Erkundigungen eingezogen habe«, erzählte Frau Willbrandt-Schrödl, »aber ich war verliebt wie ein Backfisch. Er war schwarzhaarig und dämonisch, und dem Dämonischen habe ich zeitlebens nicht widerstehen können. Der gute Willbrandt hatte gar nichts davon, Gott hab ihn selig!«
Das Häuschen in der Ludwig-Thoma-Straße und eine kleine Rente aus dem Nachlaß des seligen Herrn Willbrandt waren alles, was Frau Willbrandt-Schrödl aus einem glanzvollen, an künstlerischen. Erfolgen reichen Leben gerettet hatte; es war ihr nicht gegeben, zu sparen.
»Der eine kann’s, der andere nicht«, sagte sie gleichmütig. »Ich habe es nie gekonnt. Aber ich habe mein Leben gelebt.«
Ihr Wohnzimmer sprach davon mit dem großen Konzertflügel, mit raschelnden Lorbeerkränzen an den Wänden, mit vergilbten Schleifen und zahllosen Fotografien berühmter Kollegen und Dirigenten. Der »Erste« war darunter, blondgelockt im Kostüm des Schwanenritters, neben Herrn Willbrandt, der vertrauenerweckend aussah, einen dunklen Anzug trug und eine Perle in der diskret gestreiften Krawatte. Der Dritte aber fehlte, und wir begriffen durchaus, daß es für Frau Willbrandt-Schrödl peinlich sein müsse, das Bild eines Bigamisten vor Augen zu haben, obwohl er, sie betonte es seufzend immer wieder, glänzend ausgesehen habe.
»Ich fürchte, ich muß nach Hause«, sagte zaghaft die kleine Frau Sörensen, nachdem die allgemeine Heiterkeit sich gelegt hatte. »Wenn Markele aufwacht –«
»Er wird nicht so bald aufwachen«, beschwichtigte Sörensen, »nachdem ich ihn in Schlaf gesungen habe. Ein verdammt lebhafter Bursche ist er übrigens« – Sörensens Augen leuchteten vor Vaterstolz –, »der Waschkorb wird bald zu eng für ihn sein.«
»Der Waschkorb!« rief Pompe funèbre mit einem anklagenden Blick gen Himmel. Nicht genug damit, sagte dieser Blick, daß Sörensens eine »Hundehütte« bewohnen, in der nirgends ein ordentliches Bett zu finden ist, sie scheuen sich nicht, ihren Erstgeborenen in einen Waschkorb zu legen!«
»Wo schlafen Sie eigentlich, wenn man fragen darf?« erkundigte sie sich, froh über die Gelegenheit, etwas zu erfahren, das zu wissen sie schon lange gelüstete.
»Wir schlafen auf der Couch«, sagte Frau Sörensen errötend. »Sie ist sehr breit, und ich brauche nicht viel Platz.«
Nein, das tat sie bestimmt nicht. Eva Sörensen wirkte wie eine Vierzehnjährige, kleiner und schmächtiger als Julia in ihrem dunklen Kleidchen mit dem weißen Bubikragen. Sie sah schmal und ein bißchen unterernährt aus. Kein Wunder, wenn man bedachte, daß Sörensen kaum jemals eines seiner bemerkenswert eigenwilligen Bilder an den Mann brachte. Niemand wußte, wovon sie lebten, aber es schien, als sorgten sie sich selher am wenigsten darum. Sie waren jung und voller Idealismus, namentlich Sörensen, der die »Hundehütte« einem Kollegen abgemietet hatte, der in Italien malte, nur damit das Kind in einer schönen Umgebung zur Welt kommen solle.
Die allerersten Eindrücke seien entscheidend, hatte er uns eifrig erklärt. Das menschliche Auge könne nicht früh genug an Schönheit gewöhnt werden, und er pfeife auf den sogenannten Komfort, wenn er nur vor die Türe zu treten brauche, um die lieblichste Landschaft, die Gott erschaffen habe, zu seinen Füßen liegen zu sehen.
Auf der Treppe erklangen leichte Schritte. Ein, befreites Lächeln flog über Frau Quantes Gesicht. »Achtung!« flüsterte der Professor mir zu, »die große Sensation!«
Die Tür tat sich auf und ließ die Gattin des Walfischfängers ein.
NINA GROLL
Wir sahen eine zierliche Frau von etwa dreißig Jahren, die eine grüne Tweedjacke auf eine lässige Art über die Schultern gehängt trug, wir sahen ein schmales Gesicht von sanft gewelltem Haar umrahmt und hörten eine angenehme Stimme entschuldigend sagen: »Ich habe wahrhaftig verschlafen. Die Zeit steht still auf dem Lande.«
Der Major übernahm die Vorstellung. Unsere Namen klangen nacheinander im Ton einer dienstlichen Meldung auf. Nachdem das vorüber war, sank Frau Nina Groll sichtlich erleichtert auf den Stuhl zwischen Major Quante und dem Professor. Frau Quante versorgte sie geschäftig mit Tee; Kuchen lehnte sie ab.
»Darf ich rauchen?« fragte sie statt dessen. Der Professor, Stefan und Sörensen überboten sich in dem Bestreben, ihr Feuer zu geben. Stefan machte das Rennen und wurde mit einem schüchternen Lächeln belohnt.
»Sie sind Herr Lorentz, nicht wahr?« Ihre Stimme war wirklich ungewöhnlich angenehm. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ihre Bücher sind wundervoll!«
Stefan gab einen grunzenden Laut von sich, und ich wunderte mich wieder einmal darüber,