„Ruf die Reporter, Myers“, sagte er. „Wie es scheint, arbeiten wir neuerdings mit amerikanischem Tempo!“
Wieder eine Woche später. Joe, Barry, unter der Bezeichnung Privatdetektiv Joe Barry in der Unterwelt gefürchtet, schloß spätabends seine Wohnungstür auf. Er machte einen Schritt vorwärts und erstarrte.
Etwas Hartes preßte sich zwischen seine Schulterblätter. Joe brauchte nicht lange zu überlegen, um zu wissen, was es war. Eine Revolvermündung.
„Flossen hoch, KX, aber dalli!“ sagte eine träge Stimme in Brooklyner Dialekt.
„Was soll das heißen?“
„War ich nicht deutlich genug? Nimm die Hände hoch und geh weiter.“
Joe blieb nichts anderes übrig, als dem Befehl zu folgen. Der Unbekannte trat hinter ihm über die Schwelle und schlug die Tür zü. Er knipste das Licht an.
„Setz dich hin!“ befahl er. „Und laß die Finger von der Schulterhalfter. Ich weiß genau, daß du da eine Automatic stecken hast, aber ehe du hingelangt hast, habe ich dreimal abgedrückt.“
Joe setzte sich hin und sah Sich dann den Unbekannten an. Er erkannte ihn sofort.
„Champ Wilson“, sagte er gedehnt, „Na, wenn das keine Überraschung ist!“ „Wie ich sehe, kennst du mich noch.“ „Klar, ich erinnere mich an die meisten meiner alten Kunden. Ist zwar schon vier Jahre her, daß wir dich eingelocht haben, aber deswegen haben wir dich noch lange nicht vergessen. Wie war’s in Scranton?“ „Beschissen!“ knurrte Champ Wilson. „Haben sie dich ordnungsgemäß entlassen, oder bist du geflohen?“
„Entlassen“, knurrte der Gangster. „Man hat mir ein Jahr geschenkt, wegen guter Führung.“
Joe wies mit dem Kinn auf den schußbereiten Revolver.
„Und das willst du dir jetzt verkümmeln, was? Bist du gekommen, um dich an mir zu rächen?“
„No, KX. Darum geht es mir nicht. Ich gebe zwar zu, daß ich davon ein paar hundert Nächte lang geträumt habe, aber den Gedanken habe ich mir inzwischen aus dem Kopf geschlagen. Ich bin aus einem anderen Grund gekommen. Ich brauche deine Hilfe.“
Joe hob die Augenbrauen.
„Habe ich recht gehört?“
„Hast du. Ich will, daß du für mich arbeitest. Du hast damals dafür gesorgt, daß ich vier. Jahre im Knast verbringen durfte. Ich meine, jetzt wäre es an der Zeit, daß du mal was Positives für mich tust.“
„Und du bildest dir ein, ich wäre dazu bereit?“
„Warum nicht? Oder stört dich etwa meine Vergangenheit?“
„Mich stört nur die Kanone, die du in der Hand hast, Champ“, meinte Joe. „Solange du das Ding auf mich gerichtet hältst, bin ich nicht bereit, mit dir darüber zu diskutieren, ob ich etwas für dich tun kann oder nicht.“
Der entlassene Sträfling zog die Oberlippe hoch und entblößte ein gelbes Pferdegebiß.
„Die Kanone ist leider nötig. Reiner Selbstschutz. Könnte ja sein, daß du auf die Idee kommst, mich verhaften zu lassen.“
„Dich verhaften? Warum?“
„Um deinem Freund Starr einen Gefallen zu tun. Der sucht mich nämlich.“ Joe stieß einen leisen Pfiff aus und betrachtete Champ Wilson nachdenklich.
„Yeah, Mord. Das ist es, was man mir vorwirft.“
„Keine Kleinigkeit.“
„Sicher nicht. Aber bei der Geschichte ist ein Haken.“
„Und der wäre?“
„Ich bin unschuldig.“
„Das sagen alle!“
„Aber ich bin es wirklich!“
„Das sagen auch alle“, knurrte Joe. „Hast du was dagegen, wenn ich mir einen Drink nehme?“
„Nicht, wenn kein Trick dabei ist!“
Joe erhob sich, nahm die Flasche heraus und bediente sich.
„Warum gehst du nicht zum Captain und erzählst ihm das?“ fragte er.
„Weil der Captain ein sturer Polizist ist, ein engstirniger Bulle, der nichts sieht auner meinem Vorstrafenregister und dem Beweismaterial, das scheinbar gegen mich spricht. Der Captain hat in letzter Zeit sowieso die fixe Idee, alle Mordfälle in weniger als acht Stunden aufzuklären und ist Sauer auf mich, weil ihm das bei mir bisher nicht geglückt ist. Der hört nicht auf meine Argumente. Der locht mich ein und überweist den Fall ans Gericht.“
„Wenn das so ist, muß ja eine Menge gegen dich sprechen“, sagte Joe.
„Tut es auch. Das Material gegen mich ist handfest wie ein Henkerstrick.“
„Na also!“ sagte Joe. „Worüber diskutieren wir dann noch? Meinst du vielleicht, ich hätte Grund, dir irgend etwas zu glauben? Du bist vor vier Jahren haarscharf an einer Anklage wegen versuchten Mordes vorbeigekommen, vergiß das nicht, mp.“
„Aber ich bin unschuldig, Barry, Ich habe dich damals kennengelernt und habe Zeit gehabt, mir über deine Arbeitsweise Gedanken zu machen. Du gehst nicht wie die sturen Bullen vor, die auf der Polizeischule schon lernen, daß ein Verdächtiger So gut wie überführt ist, wenn, er ein Dutzend Vorstrafen hat. Für dich steht nichts fest, bevor du nicht selbst davon überzeugt bist. Deshalb bin ich zu dir gekommen. Du bist der einzige, der mir helfen kann.“
Joe betrachtete nachdenklich sein Glas. „Ich verspreche dir überhaupt nichts, Champ. Aber laß deine Geschichte mal hören.“
„Es ist nur eine kurze Geschichte“, sagte der entlassene Sträfling. „Vorgestern nacht wurde ein Mann im Brooklyn Battery Park ermordet und beraubt.“ „Handelt es sich um den Mann, der das I Schnellimbißlokal am Hyde Gate betrieb?“
„Ja, genau den. Kennst du den Fall?“
„Ich habe in der Zeitung davon gelesen“, brummte Joe.
„Der Mann hatte gegen Mitternacht sein Lokal geschlossen und wollte das Bargeld aus der Kasse zum Nachttresor seiner Bank bringen. Da es schon ziemlich spät war, ging er durch den Park. Dort wurde er überfallen und niedergeschossen. Der Täter schnappte sich die Tasche mit dem Geld und verschwand. Die Beute betrug etwa zehntausend Dollar, die gesamten Wocheneinnahmen ans dem Restaurant.“
„Und weiter?“
„Mehrere Zeugen hatten den Mörder gesehen und gaben eine Beschreibung von ihm ab. Diese Beschreibung trifft ungefähr auf mich zu. Sie gaben außerdem an, der Mörder habe einen schwarzen Ford, Baujahr 59, benutzt. Einer hatte sich sogar die Nummer des Wagons notiert.“
„Und?“
„Es war mein Wagen“, knurrte Champ Wilson. „Ich hatte ihn mir am Tag meiner Entlassung für zweihundertfünfzig Dollar gekauft – von meinem Arbeitsverdienst.“
„Willst du mir erzählen, daß der Wagen ohne dich dorthin gefahren ist?“
„No, er wurde gestohlen.“
„Hattest du Anzeige erstattet?“
Champ Wilson schüttelte den Kopf.
„Ich hatte ja den Diebstahl überhaupt nicht bemerkt. Die Diebe haben den Wagen nach der Tat zu meiner Wohnung zurückgebracht – in die Hyde Avenue in Brooklyn. Ich bewohne dort ein Zimmer.“
„Woher weißt du, daß er gestohlen war?“
„Als die Cops kamen, war ich nicht da“, sagte Champ. „Sie nahmen sich als erstes den Wagon vor und fanden im Handschuhfach den Revolver, mit dem der Mord verübt Worden War. Sie durchsuchten dann mein Zimmer und warteten auf mich. Aber ich hatte Glück. Ich habe einen Freund in der Nachbarschaft, der mich Warnte,