Wir setzten uns nun alle drei nieder, und Bogga sagte:
»Jetzt kann aber auch ich dir etwas Neues erzählen; ich habe es heute gehört. Das Schiff, welches heute morgen von England hierher kam, hat die Neuigkeit mitgebracht, und augenblicklich spricht man in der ganzen Stadt von nichts anderem.«
»Ja, was ist denn das, Bogga?«
»Eine Neuigkeit, auf die du sehr gespannt sein wirst. Denk dir, Frankreich, das Land, wohin du reisen sollst, hat Deutschland den Krieg erklärt!«
»Wie? Frankreich hat Deutschland den Krieg erklärt? Das ist doch wohl nicht wahr?«
»Doch, Nonni, das ist ganz gewiß wahr. Kaiser Napoleon will gegen die Preußen kämpfen. Vor kaum zwei Wochen, am 19. Juli, hat er den Krieg erklärt. Als die Nachricht heute nachmittag bei den französischen Seeleuten, die sich zur Zeit hier aufhalten, bekannt wurde, waren sie alle rein wild vor Begeisterung. Sie wollen so bald als möglich nach Frankreich zurücksegeln, um für ihr Vaterland zu kämpfen.«
»Nein, ist das aber auch wirklich wahr? So komme ich ja nach Frankreich mitten in den Krieg! Ist das nicht schrecklich?«
»Ja, wahrhaftig, das ist bedenklich. Aber glaubst du nicht, daß es gefährlich für dich werden könnte, eben jetzt während des Krieges nach Frankreich zu reisen?«
»Allerdings, das kann schon sein. Aber das Schlimmste wäre doch, wenn dieser Krieg meine Reise verhinderte, so daß ich überhaupt gar nicht abreisen könnte.«
»Gewiß. Unmöglich ist es nicht, daß es so kommen könnte und daß aus deiner Reise wegen des Krieges nichts würde.«
»Aber dann bekäme ich ja die Holzschuhe nicht«, wandte Manni ganz ernsthaft ein.
»O Manni, du wirst schon sehen, ich reise ganz sicher fort.«
Sowohl mir als Manni wurde es eigentlich doch etwas unbehaglich zumute bei dem Gedanken an diesen unseligen deutsch-französischen Krieg: mir, weil ich dachte, meine Reise könnte schließlich doch verhindert werden; Manni, weil er fürchtete, er bekäme vielleicht die schönen Holzschuhe nicht.
Wir blieben noch eine Weile oben mitten im blühenden Kraut sitzen, unterhielten uns über die bevorstehende Reise und bauten Luftschlösser.
Endlich standen wir auf. Wir mußten uns beeilen.
Wir nahmen den kleinen Manni in die Mitte und sprangen in vollem Lauf über Blumen und Kräuter den steilen Berg hinab, bis wir an unserem Hause waren, wo die Mutter schon lange auf uns wartete.
Abschiedsbesuche
»Lieber Nonni«, sagte ein paar Wochen später meine Mutter zu mir, »es wird Zeit, daß du einige Abschiedsbesuche bei Freunden und Verwandten machst. Du könntest heute hinaufreiten zum Hof Hals zu unserem Freund, Herrn Thorson. Sag ihm Lebewohl und danke ihm für alle Liebe, die er dir erwiesen hat.«
Schnell war ich zu diesem Ausflug bereit. Ich war gern unterwegs, mochte es kurz oder lang sein.
Sofort holte ich eines von unseren zwei Pferden, sattelte es, und bald ging es im Galopp den Berg hinauf, der zum Hofe Hals führte. Schon oft hatte ich den hübsch gelegenen Hof besucht.
Sobald ich mich dem Hause näherte, erkannten mich die Kinder, die alle meine Freunde waren.
Erwartungsvoll liefen sie mir entgegen, umringten mich, griffen in die Zügel meines Pferdes und hielten es an.
»Wohin geht’s?« rief Julius, der älteste Sohn des Herrn Thorson, gleich alt wie ich und einer meiner besten Freunde.
Wir waren schon oft zusammen auf die Jagd gegangen und hatten eine Menge wilder Enten geschossen, einmal sogar einen wilden Schwan.
»Vorläufig«, sagte ich, »will ich nicht weiter als hierher, Julius. – Ist dein Vater zu Hause?«
»Ja, was führt dich denn heute zu uns, Nonni?«
»Ich komme, um euch Lebewohl zu sagen, denn ich soll bald ins Ausland.«
»Ich habe schon davon gehört«, erwiderte Julius. »Aber nun will ich dir auch etwas sagen, was du sicher noch nicht weißt. Es war nämlich die Rede davon, daß ich nach Frankreich gehen sollte.«
»Nein, davon habe ich nichts gewußt. Hast du wirklich dieselbe Einladung erhalten wie ich?«
»Ja, das habe ich.«
»Weshalb hast du sie denn nicht angenommen?«
»Mein Vater war dagegen, und so mußte natürlich auch ich nein sagten. – Aber bestimmt werde ich es später bereuen«, fügte er traurig hinzu.
Ich sprang vom Pferd. Sofort kletterten vier, fünf kleine Reiter auf seinen Rücken. Das kleine Pony ließ es ruhig geschehen.
Julius bat nun die anderen, sie möchten uns allein lassen. Wir gingen eine kleine Strecke schweigend. Dann begann ich zu reden und fragte:
»Weshalb will dein Vater dich eigentlich nicht gehen lassen?«
»Er glaubt nicht, daß ich dann glücklich sein würde.«
»Genauso wie Thorhalls Mutter!«
»Ja, das habe ich auch gehört.«
»Sonderbar! Meine Mutter scheint keine Furcht zu haben.«
»Nonni, ich glaube, sie hat recht. Du kannst von Glück sprechen. Aber du verstehst sicher, daß ich nicht anders handeln konnte. Mein Vater ließ mir zwar volle Freiheit; doch gegen seinen ausdrücklichen Wunsch wollte ich nicht reisen.«
»Was hält deinen Vater denn ab?«
»Ja, ich weiß nicht recht, wie ich das ausdrücken soll. Er fürchtet, daß die Reise zu gefährlich für mich sei.«
»Das begreife ich nicht.«
»Ich auch nicht, Nonni. Aber es ist nun mal so.«
»Was meint er eigentlich damit?«
»Ich vermute, es hängt unter anderem mit der Religion zusammen. Du weißt ja, es gibt draußen in der großen Welt so viele Menschen, die keinen Glauben haben und die über jede Religion spotten.«
»Das hat meine Mutter mir auch schon gesagt. Aber sie hat hinzugefügt, daß es überall auch viele gute Menschen gibt, und zu solchen soll ich reisen.«
»Das weiß ich, Nonni. Und gerade der französische Edelmann, der uns zu sich einlädt, soll ein außerordentlich guter Mann sein. Aber trotzdem ist mein Vater nun einmal sehr besorgt.«
Inzwischen waren wir zum Eingangstor des Hofes gekommen, und Julius lief ins Haus, um seinen Vater zu rufen.
Gleich darauf kam Herr Thorson, grüßte freundlich und bat mich, ihm in sein Zimmer zu folgen.
Ich hatte vor, ihm sofort zu erzählen, weshalb ich gekommen sei. Aber nach dem, was ich eben von Julius gehört hatte, wußte ich nicht recht, wie ich anfangen sollte. Doch half er mir bald aus meiner Verlegenheit.
»Den Grund deines Besuches kann ich wohl erraten«, begann er, »du willst gewiß Abschied nehmen.«
»Ja, Herr Thorson, und Ihnen dafür danken, daß Sie immer so freundlich zu mir waren.«
»Das laß schon gut sein. Du willst also nach Frankreich reisen. Wann wirst du uns denn verlassen?«
»In einigen Tagen mit dem kleinen Schiff von Rönne, das nach Kopenhagen fährt.«
»Du meinst wohl das kleine Handelsschiff ›Valdemar‹, mit Kapitän Foß? – Das ist allerdings ein sehr kleines Schiff, ein Einmaster mit drei Matrosen.«
»Und einem Jungen«, fügte ich bei.
»Ja, ja; aber der zählt nicht mit. Er wird wohl Koch sein und ist nicht viel älter als du.«
»Ja, aber dann sind noch der Kapitän und der Steuermann da.«
»Ohne