Nonni - Erlebnisse eines jungen Isländers von ihm selbst erzählt. Jón Svensson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jón Svensson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711446096
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Schule dort!

      Ich war so betroffen, daß ich nichts zu sagen wußte.

      Die Mutter sah mich lächelnd an und sagte: »Nun, Nonni, was denkst du davon? Möchtest du studieren und ein gelehrter Mann werden?«

      »Mutter, das möchte ich wirklich sehr gern. – Aber dann müßte ich ja bis nach Reykjavik reisen!«

      »Und wenn dir angeboten würde«, die Mutter sprach die Worte langsam, »wenn dir angeboten würde, noch weiter zu reisen als nach Reykjavik, was würdest du dann wohl sagen?«

      Ich schaute die Mutter mit großen Augen an.

      Noch weiter als nach Reykjavik? – Aber, lieber Himmel, das hieße ja, ins Ausland! In die weite, große Welt, an deren äußerster Grenze mein Vaterland, Island, lag? Ja, von der es getrennt war durch den Atlantischen Ozean, Hunderte von Meilen entfernt!

      Die große Welt! Dänemark, Norwegen, Schweden, England, Deutschland – weiter wagten meine kühnsten Gedanken sich nicht.

      Eine höhere Schule im Ausland! – Aber da konnte doch eigentlich nur die Rede sein von einer Schule in Dänemark, dem Lande, mit dem wir ja in engerer Verbindung standen.

      »Mutter, soll ich wirklich daran denken, nach Dänemark zu reisen, und dort eine höhere Schule besuchen?«

      »Nein, mein Kind, es handelt sich nicht um Dänemark. Es handelt sich um ein Land, das noch viel weiter entfernt liegt. Es ist eines jener großen Länder im Süden, wo die Sonne viel stärker leuchtet und brennt als bei uns; wo alles wächst und blüht in einer Üppigkeit und Frische, von der wir uns kaum eine Vorstellung machen können; wo es kaum einen Winter gibt, wo fast immer der wärmste Sommer herrscht oder Frühjahr und Herbst; wo die Bäume sich beugen unter der Last der köstlichen Früchte: Feigen, Apfelsinen, Pfirsiche, Weintrauben und viele andere, deren Namen du nicht einmal kennst.

      Überleg mal, Nonni, hast du Lust, in ein solches Land zu reisen? Nicht aber, um das Leben zu genießen in all diesen Herrlichkeiten, sondern um etwas zu lernen, Jahr um Jahr fleißig zu studieren, ein tüchtiger Mann zu werden und dann wieder heimzukehren als Arzt oder Jurist oder Schriftsteller oder zu irgendeiner anderen Stellung, die du dann selber wählen kannst.

      Was denkst du von dem Plan? Hast du Lust zu dieser großen Reise? – Antworte mir nicht gleich. Überleg es dir gut.«

      Mir wurde beinahe schwindlig.

      Ich lehnte mich zurück und versuchte nachzudenken.

      Wirr schossen mir die Gedanken durch den Kopf.

      Verlassen meine liebe Mutter, das Liebste, was ich auf der Welt hatte, meine guten Geschwister, Manni und Bogga, alle meine Freunde und Bekannten, mein Vaterland, und das vielleicht für immer!

      Denn daß ich je wieder zurückkehren würde nach einer so langen Studienzeit, das war mir doch sehr ungewiß.

      War es nicht gerade so, als sollte ich mit der Wurzel ausgerissen und in einen neuen Boden, in eine neue Welt eingepflanzt werden?

      Ja, es war fast so, als müßte ich sterben und dann neu geboren werden und das Leben von neuem anfangen in einem fernen, unbekannten Land.

      Es kam mir vor, als stürzte ich mich in einen gähnenden, bodenlosen Abgrund!

      Ich schreckte davor zurück.

      Und doch von der anderen Seite, welch lockende Aussicht!

      Eine Reise in die weite Welt, ein langer Aufenthalt in einem der schönsten Länder des Südens! Oh, wie herrlich!

      Ich hatte schon immer eine unwiderstehliche Sehnsucht gefühlt, hinauszuwandern, weit, weit weg.

      Schon oft hatte ich den Entschluß gefaßt, nach dem Beispiel meiner Vorväter, der alten Normannen, das Vaterland zu verlassen und rund um die Welt zu reisen, die Sitten und Gebräuche anderer Völker kennenzulernen.

      Und nun kommt plötzlich ein geheimnisvolles Angebot, das es mir möglich macht, diesen Plan auszuführen, ihn auszuführen auf die beste Weise, die ich mir denken konnte.

      Ja, ich muß reisen, je eher, desto lieber! Es ist doch allzu schön; es ist eine Gelegenheit, die mir kaum je wieder geboten wird. Ich muß mit beiden Händen zugreifen.

      Jetzt unterbrach ich das Stillschweigen, und in der Meinung, lange genug überlegt zu haben, sagte ich mit Bestimmtheit:

      »Ja, Mutter, ich möchte gern reisen, gern studieren.

      Aber um welches Land handelt es sich, Mutter? Und wer ist es, der uns dieses Angebot macht?«

      »Ich ahnte es, mein lieber Nonni, daß du Lust dazu hättest. Gleich werde ich dir erzählen, wie das alles zusammenhängt.

      Aber sag mir nun erst: Kannst du das betreffende Land nicht selbst herausfinden? Welches von den großen Ländern des Südens ist dir am meisten bekannt?«

      Ich dachte etwas nach.

      Die verschiedenen Länder, die ich in der Schule kennengelernt hatte, kamen mir nun nacheinander in den Sinn. Es konnte, dachte ich, wohl nur die Rede sein von Spanien, Italien, Deutschland oder Frankreich.

      Frankreich! Das Land der »Großen Revolution«, das Land Napoleons und der Jungfrau von Orléans. Frankreich mit der Hauptstadt Paris, worüber ich so vieles gelesen hatte. Ein Mann, der in Paris gewesen war, hatte mir kurz vorher Wunderdinge von dieser Stadt erzählt.

      Spanien! Das warme, weinreiche Land mit dem königlichen, stolzen Volke. Das Land mit den Wunderpalästen Eskorial und Alhambra und den großen Kathedralen.

      Italien! Das Land der mächtigen Römer mit den großen Erinnerungen an die alte Zeit. Italien mit dem ewigen Rom, dem Vatikan, der Peterskirche und dem Flavischen Amphitheater, dem riesengroßen Kolosseum.

      Deutschland! Das geschichtsreiche, weit ausgestreckte Land der Germanen, mit den verschiedenartigen Völkern. Deutschland! Das gewaltige Land mit den tiefen Wäldern, dem Rhein und seinen Weinbergen und alten starken Burgen.

      Ich konnte mich noch immer nicht entscheiden. Meine Mutter warf mir lächelnd einen Blick zu.

      Es wird sich wohl entweder um Deutschland oder Frankreich handeln, dachte ich.

      Ich selbst gehörte ja zu der großen deutschen Völkerfamilie. Wir Isländer waren ja ein goto-germanisches Volk, und ich hätte nicht wenig Lust gehabt, nach dem herrlichen Lande der Deutschen zu reisen.

      Doch merkwürdig! Immer wieder kam es mir in den Sinn: Es ist Frankreich, wohin du reisen sollst.

      Frankreich war ja auch das Land, dessen Einwohner ich nächst Dänemark am besten kannte.

      Jeden Sommer kamen nämlich viele französische Schiffe nach Island. Sie lagen oft lange Zeit im Eyjafjördur, gerade unserem Haus gegenüber. Vor allem waren es große französische Kriegsschiffe. Aber auch zahlreiche französische Fischkutter legten in den Sommermonaten an unserer Küste an.

      Ich spielte gern mit den französischen Kindern, die manchmal ans Land kamen. Auch besuchten sie uns und wurden immer freundlich empfangen.

      Zwar verstanden wir unsere Sprache gegenseitig nicht; aber wir halfen uns durch Zeichen und Bewegungen.

      Zuweilen holte ich unsere Pferde und machte mit den fremden Jungen Spazierritte.

      Ich hinwieder war ein häufiger Gast draußen auf den Kriegsschiffen. Kein Wunder, daß ich die Franzosen so gut kannte.

      Alle diese Gedanken schwebten mir wie lichte Traumbilder vor Augen.

      Endlich sagte ich zu der Mutter:

      »Ich glaube, es ist nach Frankreich, wohin ich reisen soll.«

      Bei diesen Worten mußte die Mutter lächeln.

      »Nun«, sagte sie, »du hast das Richtige getroffen, lieber Nonni. Nach Frankreich, dem Vaterland deiner kleinen fremden Spielkameraden, sollst du wirklich reisen.«

      »Aber wie ist das alles so gekommen,