Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ambrosius von Mailand
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659677
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Wort durch die Stimme ertönte; denn wenn nicht jenes Wort in uns wirkt, ist null und nichtig der Ton der Stimme. Eine Stimme nur ist Johannes, „die Stimme des Rufenden in der Wüste"187. Christus ist das Wort188. Dieses Wort ist das Wirksame; sobald es daher zu wirken aufhört, verstummt auch schon mit einem Mal, gleichsam des Geistes bar, der Seele Zunge. Auf uns ging nämlich Gottes Wort über, und in uns schweigt es nicht. So kann denn der Jude jetzt nicht mehr sprechen, was der Christ sprechen kann: „Eine Bewährung dessen verlangt ihr, der in mir spricht: Christus"189.

       41.

      „Und er gab es ihnen durch Winke zu verstehen"190. Es blieb nun Zacharias stumm und gab es durch Winke ihnen zu verstehen. Was ist ein Wink anderes als eine stumme Körperbewegung, die sich bemüht, das Gewünschte anzudeuten, ohne es ausdrücken zu können, gleichsam die stumme Sprache der Sterbenden, denen die Stimme im letzten Todesröcheln erstickte? Scheint dir nicht das Volk der Juden einem solchen Sterbenden ähnlich zu sein, so unvernünftig, daß es für sein Handeln keinen vernünftigen Grund angeben kann? Mit seiner Lebenshoffnung in den letzten Zügen liegend verlor es die Sprache, die es hatte; mit tastender Körpergeste trachtet es ein Zeichen für das Wort, nicht das Wort selbst zum Ausdruck zu bringen: ein stummes Volk, ohne die Vernunft, ohne das Wort. Warum denn wolltest du den, der keinen Laut hervorzubringen versteht, in höherem Grade für stumm halten als den, welcher den mystischen Sinn (des Wortlautes) nicht versieht? Fürwahr auch die Werke haben ihre Stimme und der Glaube sein lautes Rufen. So steht zu lesen: „Das Blut deines Bruders ruft laut zu mir"191. Auch jener ruft laut, der „tagüber aus seinem Herzen ruft"192. Wer sonach des Herzens Rufen verloren, hat auch das der Zunge verloren; denn wie könnte einer, der keinen Unterschied im Glauben festhält, unterschiedliche Worte festhalten? Zuvor hatte auch Moses bekannt, er vermöge nicht zu sprechen193, aber nachdem er’s bekannt hatte, empfing er das Wort194 und vollbrachte herrliche, gute Werke. Wie nun Moses hierin der Typus des Volkes und der Typus des Gesetzes war, so in seinem Verstummen auch Zacharias.

       42.

      [Forts. ] Die einzelnen Momente sind nun in ihrem Zusammenhang wohl zu beachten: Das Wort im Mutterschoß, das Gesetz im Verstummen; der Name ‚Johannes' wird ausgesprochen und Zacharias vermag zu sprechen; das Wort wird verkündet195 und das Gesetz beendet. Es liegt aber des Gesetzes Beendigung gerade in des Wortes Verkündigung. Die Sprache besitzt demnach, wer das Wort spricht, auch wenn er sie vorher nicht besessen196. Auf des Engels Befehl verstummt Zacharias, von des Engels Hand wird den Juden die Sprache verschlagen; denn nicht menschliches, sondern göttliches Machtgebot ist es, daß der, welcher Christus nicht glaubt, zu Gott nicht sprechen kann. Laßt und darum glauben, um sprechen zu können! Glauben soll auch der Jude, um sprechen zu können! Laßt uns im Geiste die Geheimnisse aussprechen, die tiefere Bedeutung der alttestamentlichen Opfer, die dunkle Sprache der Propheten verstehen! Stumm ist, wer das Gesetz nicht versteht; stumm ist, wer den Inhalt der göttlichen Schriften nicht versteht. Denn unsere Sprache ist der Glaube. Darum „will ich lieber in der Kirche fünf Worte kraft meines Geistes reden, um andere zu unterweisen, als zehntausend Worte in Sprachen"; denn „das Zungenreden ist zum Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen, die Weissagung aber nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen"197.

      5. Die Empfängnis des Täufers, Luk. 1,24-25

      

       Jedes Ding hat seine Zeit, auch der eheliche Geschlechtsverkehr, der einzig der Kindererzeugung dienen sollte (43). Tier- und Pflanzenreich sind Beweis und Vorbild hierfür (44). Elisabeth schämte sich der Empfängnis eines Kindes im Alter (45), freute sich der Empfängnis eines Propheten aus Gnade (46).

       43.

      * „Nach diesen Tagen aber empfing Elisabeth, sein Weib, und sie verbarg sich fünf Monate lang, indem sie sprach: Was hat der Herr mir also getan in diesen Tagen, da er mich angesehen, um meine Schmach vor den Menschen von mir zu nehmen?"198.*

      Die Heiligen halten viel auf Wohlanständigkeit; selbst in erwünschten Dingen verrät sich schamhafte Zurückhaltung. So sehen wir an unserer Stelle die heilige Elisabeth, die sich doch Kindersegen wünschte, fünf Monate lang sich verbergen. Welch anderen Grund hatte ihre Verborgenheit als Schamhaftigkeit? Jedes Ding hat seine Zeit199, und was sich zu einer Zeit schickt, schickt sich nicht zu einer anderen, und das wechselnde Alter läßt oft die Natur des Handelns in verändertem Lichte erscheinen. So sind gerade auch der Ehe bestimmte Zeiten gesetzt, zu welchen die Kindererzeugung wohl am Platze ist: solange die Vollkraft der Jahre dauert200, solange Hoffnung auf Kindersegen besteht, solange erfahrungsgemäß Zeugungsfähigkeit statthat, mag auch dem Verlangen nach Geschlechtsverkehr stattgegeben werden. Sobald hingegen raschen Schrittes das Greisenalter genaht und damit die Zeit, die mehr für Kindererziehung als für Kindererzeugung sich eignet, sind die Anzeichen selbst eines erlaubten Beischlafes: die Schwangerschaft, die einem anderen Alter zusteht, der Schoß, der von einer Leibesfrucht schwillt, die nicht zu ihrer Zeit reift, etwas Beschämendes. Betagten Gatten zieht ja das Alter selbst die Grenze für die Verrichtung der ehelichen Werke und mahnt der mit Recht beschämende Verdacht der Unenthaltsamkeit hiervon ab. Selbst junge Gatten schützen zumeist das Verlangen nach Kindern vor und glauben so das Feuer ihres Alters mit dem Wunsche nach Kindersegen entschuldigen zu sollen: wieviel schmachvoller wäre für Betagte ein Tun, das selbst Jugendliche einzugestehen sich genieren! Noch mehr: selbst jugendliche Gatten, die in Entsagung ihr Herz aus Gottesfurcht abtöten, verzichten, sobald sie Nachkommen empfangen, gar häufig auf jene Werke der Jugend.

       44.

      [Forts. ] Und was darf uns das von Menschen wundernehmen, wenn selbst Tiere durch die stumme Sprache ihres Verhaltens zu verstehen geben, daß sie der Trieb nach Geschlechtserhaltung, nicht die Gier nach Geschlechtsbefriedigung beseelt? Denn sobald sie einmal merken, daß sie begattet sind und den Samen in ihr Geschlechtsorgan201 aufgenommen haben, frönen sie nicht mehr geschlechtlichem Umgang und ist es nicht mehr sinnliche Lüsternheit, sondern die elterliche Sorge, die sie auf sich nehmen. Die Menschen dagegen kennen keine Rücksicht weder auf das Kind im Leibe noch auf Gott. Ersteres beflecken, letzteres verletzen sie. „Ehe ich dich bildete im Mutterleibe, spricht er, habe ich dich gekannt und im Mutterschoße dich geheiligt"202. Deiner Geilheit wehrend gewahrst du gleichsam die Hand deines Schöpfers, der im Mutterleibe den Menschen bildet. Er schafft darin: und du willst das stille Heiligtum des Mutterleibes durch Wollust schänden? Nimm dir entweder das Tier zum Beispiel, oder aber fürchte Gott! Doch was rede ich von den Tieren? Sogar auch die Erde ruht oftmals aus vom Werke der Fruchterzeugung und straft, wenn ungestüme menschliche Gier sie mit zu häufiger Samenart vergewaltigt, den unverschämten Landmann und kehrt ihre Fruchtbarkeit in Unfruchtbarkeit. So beseelt denn das Natur- wie das Tierreich eine Art natürliche Scham, die ein Abweichen vom Zeugungszweck verhütet.

       45.

      Mit Recht genierte sich also die heilige Elisabeth über ihre Begnadigung, obwohl sie sich keiner Schuld bewußt war. Denn wenn sie auch vom Manne empfing ― anders über den Ursprung eines Menschen zu denken, wäre ja nicht recht ―, so schämte sie sich doch des Alters, in welchem sie Mutter geworden. Und andernteils freute sie sich, der Schmach ledig zu sein; denn Frauen empfinden es als beschämend, der lohnenden Früchte der Ehe entbehren zu müssen, wenn sie allein aus diesem Grund die Ehe eingegangen hatten. So war denn die Wegnahme dieser Schmach ein Trost (für Elisabeth), ob sie auch mit Beschämung für sie verbunden war, mit jener Beschämung, wie gesagt, die sie wegen des Alters empfand. Es läßt sich daraus ersehen, daß die beiden Gatten nicht mehr den ehelichen Umgang unter sich pflegten; denn ein Weib, das im hohen Alter des Beischlafes sich nicht geschämt hätte, würde auch der Mutterschaft sich nicht geschämt haben; und doch schämt sich Elisabeth der Mutterschaft, solange sie das religiöse Geheimnis nicht kennt.

       46.

      [Forts.